08/10/2021

Kolumne
Filmpalast – 24

DUNE

Regie
Denis Villeneuve, 2021

Filmkritik von Wilhelm Hengstler

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08/10/2021

DUNE. Bild: Screenshot Red. GAT, siehe Link > uncut.at

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Denis Villeneuves Version von DUNE (Der Wüstenplanet) ist die dritte und vermutlich ultimative Verfilmung des gleichnamigen Kultbuches von Frank Herbert, das jede Menge Menschheitsthemen beinhaltet. Tatsächlich erwartet den Kinogeher eine Megaproduktion des franko-kanadischen Regisseurs – gut zweieinhalb Stunden zwischen Profit und künstlerischer Hybris, Kitsch und Kunst, Prophetie und Plattitüde.

Die Story
Der Wüstenplanet Arrakis ist ein öder Planet im Universum (Dritte  Welt), auf dem sich allerdings „Spice“, ein unentbehrlicher Rohstoff (Erdöl, Droge) findet, der das Universum am Laufen hält. Die „Fremen“ als Ureinwohner bekommen nichts von ihrem Reichtum (Kolonialismus), und müssen sich der lebensfeindlichen Wüste anpassen (Guerrilla). Die Spiceförderung überträgt der Imperator des Universums seinen Vasallen zum Lehen; erst dem sadistischen Harkonnen und im Jahr 10191, jenem Jahr, in dem die Geschichte spielt, dem Atreidesherzog Leto. Der Imperator hofft, indem er seine Vasallen gegeneinander ausspielt, die eigene Macht zu sichern. Und damit die Sache nicht zu einfach wird, mischt noch ein geheimnisvoller Frauenorden mit, die Bene-Gesserit (Feminismus, Matriarchat). Eine von Ihnen, Lady Jessica (Rebecca Ferguson) soll dem Herzog Leto eine Tochter schenken, damit endlich bessere Politik im Universum gemacht wird. Aber weil sich Leto so sehr einen Sohn wünscht, schenkt ihm die Konkubine befehlswidrig einen Paul. Der junge Mann (Timothee Chalamet) weiß wenig von seinen, über die Mutter vererbten Fähigkeiten, leidet aber epilepsieartig unter Traumvisionen. Sie verweisen darauf, dass er unfreiwilliger Probant eines über Jahrtausende laufenden Eugenikprogrammes ist, an dessen Ende er selber als Übermensch namens Kwisatz Haderach steht. (Christ goes Biotech). Vorher überfallen die Hakkonen aber noch, wie es das Genre befiehlt, Arrakis und löschen die Atreides aus. Paul und seine Mutter entkommen und werden in der Wüste von den Fremen aufgenommen, Paul mausert sich zu ihrem Führer und mutiert, seine Traumbilder erfüllend, zu Kwisatz Haderach, dem  Erlöser des Universums. Diesen zweiten Teil muss Villeneuve allerdings erst noch drehen.  

Die Geschichte all der Verfilmungen von Frank Herberts fiktiven Welten ergäbe ihrerseits schon ein gewaltiges Epos. Die Regisseure, die sich an DUNE abgearbeitet haben, zählten bezeichnenderweise zu den genialen Grenzgängern des Kinos.  Die Faszination dieses Stoffes aus der Zeit der Gegenkultur (1966) hat auch dem Neokapitalismus getrotzt. Vielleicht ist es aber gerade der in ihm inhärente, kapitalistische Feudalismus plus christlich verbrämter Utopie, die ihn für Hollywood brauchbar und die Gegenwart relevant macht.

Jodorowskys Quest
Als dem chilenischen Regisseur Alejandro Jodorowsky Mitte der Siebziger die eigenen von Narzissmus und Symbolen geschwängerten Filme (El Topo) nicht mehr genügten, verfiel er auf DUNE. Für ihn wurde das Projekt zu einer „Quest“, zur Sinnsuche, und sein Heiliger Gral war die Verfilmung dieser SF-Bibel. Als Ritter der Tafelrunde nahm er die Besten ihres Faches: Den französischn Zeichner Jean Giraud, den Designer Chris Foss aus London und der Schweizer HR Giger, später berühmt durch Alien, sollte das Reich der Harkonnen, das Reich des Bösen entwerfen. Die Liste der Hauptdarsteller war mit David Carradine, Salvador Dali, Orson Welles, Amanda Lear und Mick Jagger auch nicht übel. Die Materialien und ein kiloschweres Storyboard bildeten schließlich die Grundlage für Jodorowskys „größten Film aller Zeiten“. Aber am Ende war sein überbordende Engagement sogar Hollywood zu viel.

Restart mit Lynch
Das Buch DUNE war ein ungeheurer Bestseller, bis zu Frank Heberts Tod 1986 wurden mehr als zwölf Millionen verkauft. Auf dieses enorme Publikumspotenzial wollte Hollywood nicht verzichten. 1984 heuerte man David Lynch an, nachdem zuvor Regisseur Riddley Scott w/o gegeben hatte. Lynch bemühte sich redlich, Frank Herberts wuchernde Themenvielfalt auf Linie zu bringen. Er besetzte die messianische Figur des Paul Atreides etwas unglücklich mit dem, duch Tewin Peaks berühmten, Beamtentypus Kyle MacLachlan, der später durch Twin Peaks berühmt werden sollte. Zudem übernahm er vieles aus Jodorowskys Storyboard. Das lässt sich an der Spieldokumentation „Jodorowsky`s Dune“ ablesen, die der Regisseur Frank Pavich 2013 mit dem immer noch flamboyanten Jodorowsky drehte. Wenn die Filmbauten auch wie aus einer englischen Spionageserie entliehen wirken, ist David Lynch Wüstenplanet, aus zeitlichem Abstand gesehen, besser als sein Ruf und manchmal sogar witzig.  

Tempo und Witz kann man DUNE mit seinen 151 Minuten nicht vorwerfen. Waren für Jodorowskys Film fünfzehn Millionen Dollar geplant, so durfte Denis Villeneuve für DUNE schon hundertfünfzig kosten. Der Kanado-Amerikaner wurde spätestens mit Sicario, dem definitiven Film über das amerikanisch-mexikanische Drogenproblem, ein angesagter Regiestar. In seinen Filmen zeigt er ein bemerkenswertes Talent philosophische Implikationen aus knallharten Genrefilmen heraus zu präparieren. In seinen letzten beiden Filmen Arrival und Blade Runner 2 nahmen diese philosophischen Ambitionen leider überhand. DUNE ist wieder diskursschwächer geraten. Villeneuve dehnt seine Neuversion im Vergleich zu der von David Lynch auf die doppelte Zeit und erzählt nur die Hälfte. Den größten Teil des Filmtextes bekommt man schon in dem fünf Minuten langen Trailer serviert. Seine Schauspieler werden zu einsamen Figuren in unermesslichen Landschaften, bewegen sich im Halbschatten oder bleiben wie Charlotte Rampling als ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam unter ihrer Maske ein gesichtsloses Marketingversprechen. Die Wohnräume sind von der Größe mittlerer Kirchenschiffe, Festungen entsprechend größer. Die gigantische Architektur entspricht einem Wüstenplaneten, unter dessen Sand vierhundert Meter lange Würmer krabbeln, hat jedoch, sofern man nicht grade auf verdichteten Flachbau besteht, eine bemerkenswerte architektonische Qualität.

Vom Kintopp zur Avantgarde
Bei aller aufwändigen Utopie versucht Villeneuve seine Bilder analog zu kreieren ohne daraus ein Dogma zu machen. Z.B. drehte er in einer echten, der jordanischen Wüste, obwohl eine getrickste wesentlich billiger gekommen wäre. Es ging ihm um den Einfluss der Wüste auf Schauspieler und Technik. „Mich fasziniert die Idee, dass man, je tiefer man in der Wüste voranschreitet, umso tiefer in sich selbst vordringt. Der Raum wird zur Metapher einer inneren Reise“. Villeneuves virtuoser Umgang mit filmischen Mitteln und komplizierten Produktionsprozessen ermöglicht, Bilder zu generieren, denen man sich nur schwer entziehen kann. Vor den atemberaubenden Landschaften in DUNE kann sich sogar die Natur verstecken, selbst wenn sie in ihr aufgenommen worden sind. Die Massenszenen und Zweikämpfe sind phänomenal choreografiert, die raue, hypnotisierende Zwangssprache der Bene Gesserit, überfallsartig eingesetzt, schockiert. Anders als bei Lynch werden die Protagonisten nicht über Kostüme inszeniert, sondern als Modelle, wofür sie stehen. Villeneuve lädt seine Bilder und Szenen, ob sie nun „echt“ oder trickgeneriert sind, derart mit Atmosphäre und Dichte auf, dass sie gleichsam zu einer anderen Wirklichkeit transzendieren.
Schwer zu sagen, ob er mit DUNE ein spätkapitalistisches Mysterienspiel gedreht oder das SF-Genre für ein neues Kino jenseits des Streamens gekapert hat. Kritiker, die ihm leere Schönheit, Werbeästhetik vorhalten, sollten sich daran erinnern, dass man Riddley Scott das gleiche bei Blade Runner vorgehalten hat, der nun als Klassiker gilt. Villeneuve bewegt sich mit DUNE vom Kintopp zur Avantgarde und landet vielleicht bei einer Opera Nuova, in der reines Kino und Massenkultur als Alternative zum Streamen ineinander fallen.

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