25/01/2012

Der Universalkünstler Hans Hollein

Neuen Galerie Graz
bis 9. April 2012
DI-SO 10:00-17:00 Uhr

HINWEIS
Kuratorenführung
Freitag, 03.02.2012
15.30-16.30 Uhr

Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel
8010 Graz

25/01/2012

Ausstellungsansicht, Foto UMJ

Städtisches Museum Abteiberg, Mönchengladbach, Deutschland 1972-1982. Auftraggeber: Stadt Mönchengladbach, Deutschland. Foto: Marlies Darsow

Mobiles Büro, 1969. Foto: Atelier Hollein

Non-physical Environment, 1967. Foto: Atelier Hollein

Kaffeeservice, Foto UMJ

Modelle, Foto UMJ

Objekt Hans Hollein: Car Sculpture Zeichnung CARS, 1960. Ausstellung: CAR CULTURE. Medien der Mobilität ZKM Karlsruhe, Deutschland, 2011.Foto: Atelier Hollein/Erich Pedevilla

Das goldene Kalb, 2004, Foto: wm

Im neuen Joanneumsviertel ist Peter Weibels letzte kuratorische Arbeit am steirischen Universalmuseum zu sehen. Die enzyklopädische Darstellung des Gesamtwerks von Hans Hollein. Bis 09.04.2012.

Schon lange vor Zeiten des Internets kulminierte offenbar zu Ende der 1960er Jahre die Idee einer Art Basiszelle mit Weltanschluss. Was Oswald Wiener in „Die Verbesserung von Mitteleuropa, Roman“, 1969 „für w. pichler“ als „bio-adapter“ beschrieb, kommt einem Wirklichkeits-Simulationsanzug mit allen erdenklichen Kommunikationsmöglichkeiten gleich. Aus der Zeit stammt auch Walter Pichlers „TV-Helm“ als „Tragbares Wohnzimmer“ (1967) und im Vergleich dazu die ebenfalls in den 60ern entworfenen Kompaktwohnungen eines Joe Collombo. Tatsächlich haben Hans Hollein und Walter Pichler 1963 gemeinsam „Architektur“ in der Galerie St. Stephan ausgestellt.

Holleins Kompaktkonzepte, angedeutet auch in einem Essay von 1965, manifestieren sich, wie in der Ausstellung zu sehen ist, als Minimalbehausung Telefonzelle; nicht nur wegen ihrer Grundfläche von einem Quadratmeter, sondern als Idee zur Erweiterung der Architektur ins Unendliche durch Telekommunikation entsprechend seinem Programm „Alles ist Architektur“ (1966). Der Astronautenanzug, sagt Hollein in einem Video, sei ohnehin schon das perfekte Habitat. Dass „Architekten aufhören müssen, nur in Bauwerken zu denken“ führt bei dem Universalkünstler Hollein in die Reduktion bzw. Erweiterung etwa des „mobilen Büros“ (1969) – Reißbrett, Papier, Stifte, Telefon unter Kunststoffblase mit Luftzufuhr, heute vielleicht entsprechend Smartphone und Tablet-PC. Noch radikaler, und damit der Fiktion Oswald Wieners wiederum näher, wenn Architektur durch einzunehmende Mittel, Vermittler, individuell entsteht, nämlich durch eine Pille aus dem „environmental control kit“. Verschiedene Pillen dienen der Herstellung von nicht baulich formulierten Umweltsituationen.

Günther Holler-Schuster und Peter Weibel haben diese umfassende Werkschau im ersten Obergeschoß des Joanneums recherchiert und eingerichtet. Man wird durch Themenbereiche geführt, die in Modellen, Entwürfen und Plänen von den amorphen Raumkonstruktionen der Master Dissertation „space in space in space“ (Berkeley 1960) über ausgeführte und nicht ausgeführte Hochbauprojekte bis zu den Wiener Geschäftslokalen reichen. Auffallend, dass bestehende Formen wie Flugzeugträger als Design im Kaffeeservice und dann wieder in Makroansichten für utopische Stadtlandschaften Verwendung finden. Gerade an diesen Utopien – formale Transfers von Theodoliten, Zigarette oder Zündkerze, als Gebäude montiert in Landschaftsfotografien – scheint die Reverenz an Futuristen, Avantgarde respektive Picabia gegeben zu sein. Dazwischen „Türdrücker“, Möbel, Lampen, Schmuck und Fassadenentwürfe, die immer wieder an Moderne, Wiener Werkstätten, Art deco denken lassen, dann wieder, in der 60ern und 70ern, in Farben und Flächen Pop anklingen lassen.

Hollein, schreibt Peter Weibel in der drei Kilo schweren Publikation zur Ausstellung, „gehört zu den zentralen Figuren Europas, die nach 1945 den Anschluss an die frühen Avantgarden suchten. Er gehört also zu den Begründern der Neo-Avantgarde“. Umfassende Kenntnisse der Avantgarde-Architektur – und darüber hinaus – hatte sich Hollein in den 1950er-Jahren angeeignet, als er an der Wiener Akademie der Bildenden Künste studierte und dort 1956 mit Diplom abschloss. 1958 ging er als Stipendiat in die USA und studierte bis 1959 am Illinois Institute of Technology in Chicago Architektur und Städtebau. In Berkeley, an der University of California, beendete er 1960 ein weiteres Studium mit dem Master of Architecture.

Bis in die nun wieder eindeutig dem Bereich der bildenden Kunst zuzuordnenden, betriebskritischen Arbeiten reicht die Schau. Der Beitrag zur documenta 8 (1987), wo auf formatgleichen monochromen Tafeln kunsthistorisch relevante Malerei als Text in ihren Parametern wiedergegeben wird, kann durchaus als Beispiel für Konzeptkunst gelten. Großformatige Fotos dokumentieren Holleins Beiträge zur Ausstellung „TOD“, 1970 in Mönchengladbach. Mit dem „Archäologischen Grabungsfeld“ wird auch die nicht allein geistige Nähe zu Joseph Beuys plausibel. Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist eine aus Paris stammende Postkarte vom 17. 7. 1974, auf der Beuys festgehalten hat: „Hiermit erkläre ich [sic.], daß Hans Hollein Künstler ist“. Und wenn das auch gewissermaßen spaßig erscheint, ist dem nichts hinzuzufügen, vielmehr wird die Deklaration belegt durch kalligraphisch anmutende Tuschemalerei bzw. Akte oder Objekte und Plastiken wie „Wagen“, Paraphrasen auf Mantegna oder den hier auch installierten „Raum mit durchschreitbaren Wänden“.

Im Außenraum an der Neutorgasse, im inzwischen ehemaligen Eingangsbereich des Joanneums, ist die Großplastik „Das goldene Kalb“ geparkt. Realisiert für Genua, Kulturhauptstadt Europas 2004, steht der goldfarbene Eisenbahn-Tankwaggon wohl nicht ganz zufällig nun an der Rückseite des neuen Joanneum-Komplexes, nachdem sich der Besucherzugang in der Kalchberggasse befindet. Was zum Besuch der Ausstellung motivieren soll, steht damit im Hintergrund und ist durch ein Fenster mit Podestzugang von den Ausstellungsräumen her zu sehen.

Der Universalkünstler Hans Hollein in der Neuen Galerie im Joanneumsviertel Graz; zu sehen bis 9. April 2012. Geöffnet DI-SO 10.00-17.00 Uhr.

VERANSTALTUNGSHINWEIS
Kuratorenführung - Hans Hollein
Freitag, 03.02.2012, 15.30-16.30 Uhr
Kunst/Ausstellungen Ausstellung, Lernen & Wissen Führungen

Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel
8010 Graz
T +43 (0)699/1780-9500
joanneumsviertel@museum-joanneum.at

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