28/06/2004
28/06/2004

Hofrat DI Dr. Friedrich Bouvier

"Gemaltes Haus", Innenhof

vormals Kommod-Haus

"Gemaltes Haus", Innenhof

Mehlplatz

Glockenspielplatz Nr. 5

Ratskeller

Ein Rundgang durch das Grazer Weltkulturerbe mit Friedrich Bouvier

Seit dem Jahr 1999 ist die Grazer Altstadt in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen und befindet sich so in österreichischer Gesellschaft mit weiteren sieben Objekten wie den Altstädten von Salzburg und Wien (seit 1996 und 2001), Schloss und Park von Schönbrunn (1996), der Semmering-Bahn mit umgebender Landschaft (1998), den Kulturlandschaften Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut (1997), der Wachau (2000) und dem Neusiedlersee (seit 2001, mit Ungarn).
Diese Auszeichnung wirkt sich zweifellos günstig hinsichtlich touristischer Attraktivität aus, führte in den vergangenen zwei Jahren aber auch zu heftigen Diskussionen über differente Ansichten von Städteplanern und Denkmalschützern, wie Hochhausbauten in Wien oder der Umbau der Thalia in Graz gezeigt haben. Die Ernennung zum Weltkulturerbe hat keinerlei Rechtswirksamkeit zur Folge, kann aber nach Evaluierung im Abstand von fünf Jahren wieder aberkannt werden. In Graz existiert seit 1974 das Altstadterhaltungsgesetz, nach dem eine Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) Gutachten über alle Bauvorhaben in vier Altstadtzonen erstellt. Anders als in Salzburg aber sind diese Gutachten für Graz rechtlich nicht bindend. Das Bundesdenkmalamt dagegen ist erst für Objekte oder Ensembles zuständig, wenn diese unter Denkmalschutz gestellt wurden. Alle öffentlichen Gebäude hingegen oder solche von Religionsgemeinschaften stehen automatisch unter Denkmalschutz.

Auf Anregung des Kulturvereins Clio und des Monatsmagazins Korso führte der Landeskonservator und Leiter der Abteilung Steiermark des Bundesdenkmalamtes HR Friedrich Bouvier zu ausgewählten Objekten in der Grazer Altstadt.

Friedrich Bouvier: „Man kauft ein altes Haus in guter Lage zu günstigen Konditionen und lässt es verfallen. Niemand kann Sie zwingen, in das Haus zu investieren.“
Am Treffpunkt des Rundgangs erinnert höchstens noch die im Verputz erhaltene Silhouette am Nebengebäude an das glücklose Schicksal des unter Denkmalschutz gestellten Hauses Burggasse, Ecke Einspinnergasse, das so genannte Kommod-Haus, das nach einem Entwurf des Biedermeier-Architekten Georg Hauberrisser d. Ä. zu Anfang des 19. Jahrhunderts errichtet worden war. Friedrich Bouvier führt den vollständigen Abbruch dieses Hauses im vergangenen Jahr auf einen bestehenden Gesetzeskonflikt zurück. Durch den Passus der „wirtschaftlichen Zumutbarkeit“, verankert im Bau- wie im Denkmalschutzgesetz, wird ein Objekt vom Denkmalschutz befreit, wenn eine Renovierung nachweisbar unwirtschaftlich ist. Dieser Status wurde im Fall des Kommod-Hauses durch jahrelange Desavouierung bei gleichzeitiger Unterlassung jeglicher erhaltender Maßnahmen durch die Eigentümer herbeigeführt, bis schließlich ein Abbruchbescheid erging, dem zwischen 6. und 13. Oktober 2003 Folge geleistet wurde. Interessant ist die Vorgangsweise der Eigentümer: Solange keine Baumaßnahmen beantragt werden, das als Denkmal geschützte Objekt also dem Verfall preisgegeben wird, hat das Denkmalamt keine Handlungsbefugnis. Wenn die öffentliche Sicherheit durch abfallende Bauteile gefährdet ist, können durch die Baupolizei Sicherungsmaßnahmen verordnet werden, wie im Fall des Kommod-Hauses durch Abschlagen der Fassade geschehen. Schließlich - und in Zusammenhang mit wirtschaftlicher Unzumutbarkeit – wurde aus Sicherheitsgründen der Abbruchauftrag exekutiert. Die nun von Werbeflächen gesäumte Parzelle soll, vorerst für die nächsten zwei Jahre, als Parkplatz dienen. – Besser?

„Das Besondere an Graz ist, dass es seine Altstadt nicht in eine Vitrine stellt, sondern durch qualitativ hochwertige Neubauten lebenswert macht.“
Soweit ein Auszug aus dem Gutachten des ungarischen UNESCO-Kommissärs anlässlich der Ernennung zum Weltkulturerbe. Bouvier führt als Beispiele die gelungenen Adaptierungen der Thonethöfe, das Gebäude der Grazer Wechselseitigen oder das Bankgebäude der BA/CA in der Herrengasse an, die alle aus dem 19. Jahrhundert stammen. Angesichts des Umbaues der Thalia hält er dagegen fest, dass die ASVK ein negatives Gutachten hinsichtlich des im Ensemble zu großen Bauvolumens erstellte, dem positiven der Baupolizei dagegen wurde stattgegeben. Der Neubau betrifft eine Probebühne der Vereinigten Bühnen, die - als österreichisches Unikat und auf Initiative der vormaligen Intendantin Karen Stone - gleich groß wie die Hauptbühne der Oper ist. Aus Gründen der Rentabilität wurde dazu ein Hotelkomplex geplant, statt diesem sollen nun aber Büroflächen errichtet werden. Das noch existierende Café im Stil der 50er-Jahre „liegt im Dornröschenschlaf“. Bouvier gibt ein Bonmot eines Besuchers aus Wien zum Besten, der in einer Reaktion auf seinen Eindruck erzählte, die Wiener hätten vergeblich versucht, sich ihrer Flaktürme durch Sprengung zu entledigen, Graz dagegen baut neue auf.

Positive Beispiele für Platzgestaltungen
Der Tummelplatz war ursprünglich das Portal zur Innenstadt. Nach Bombeneinschlägen des zweiten Weltkriegs wurden umgebende Bauten in der Mehlgrube und der Schlossergasse Nr. 2 entfernt. 1967 wurde das Gebäude der Raiffeisenkasse an dieser Stelle errichtet und der Platz gestaltet. Bouvier bezeichnet den Tummelplatz unter den neu gestalteten als „einen der schönsten“, er hätte zwar Stein- anstatt der Betonplatten bevorzugt, befindet aber den maßvollen Entwurf des Architekten Bramberger - unter Verzicht auf Bänke oder Papierkörbe - als der Funktion und Topografie adäquat. So lebt der Platz durch die Menschen, die anliegende Cafés frequentieren oder die Stände der Kunsthandwerker.
Ebenso positiv sieht der Landeskonservator die Neugestaltung des ursprünglich klassizistischen Freiheitsplatzes in zwei Phasen: Die Parkplätze werden reduziert, der Bereich um das Denkmal zur bekiesten Fußgängerzone umgestaltet und im Jahr 2005 werden Schatten spendende Bäume gepflanzt.
Ebenso gelungen sei die Renovierung und Erhaltung des Mehlplatzes, an dem die typisch barocke Trapezform erhalten blieb und der damit einhergehende Effekt der Perspektivenkorrektur in der Sichtachse von der Prokopigasse zum Schubertkino unbeeinträchtigt ist.

Renovierung von und Zubauten in Innenhöfen
Der Innenhof des Hauses Nr. 5 am Glockenspielplatz wurde im Barock durch ein Stiegenhaus mit Arkaden ergänzt, um ehemalige Durchgangsräume von außen zugänglich zu machen. ASVK und Denkmalamt sprechen sich gegen eine zunehmende Überdachung der Innenhöfe aus, wodurch anstatt des Hofes ein Hallencharakter entsteht. In diesem Sinn vorbildlich gelöst nennt Bouvier den Hinterhof des Gemalten Hauses, in dem von Architekt Gangoly zum Teil die Arkaden verglast wurden, um Büroräume zu schaffen. Die Grazer Stockfenster über einem ehemaligen Pferdestall an der Nordostseite wurden erhalten und ein an die Hoffassade angelehnter Glaslift fügt sich unauffällig in das historische Ensemble.
Bis vor ungefähr zehn Jahren dachte man, in Graz existierten keine Sgraffitifassaden. In den 90er-Jahren stieß man bei Bauarbeiten zuerst im Hof des Franziskanerklosters, dann in der Sackstraße und der Bürgergasse – im Stainzerbauer-Hof – auf figurale Sgraffiti oder wie im Hof des Ratskellers auf solche in Form von Scheinbalustraden aus dem 16. Jahrhundert. Auf Initiative des Denkmalamtes wurden diese Hoffassaden renoviert, wobei man im Hof des Ratskellers auch noch toskanische Halbsäulen an bis dahin zu Fensterlaibungen überbauten Arkaden fand.

Verfall als Modus Operandi
Ein ganz ähnliches Schicksal wie dem oben beschriebenen Kommod-Haus droht zwei unter Denkmalschutz gestellten Barockgebäuden in der Sackstraße Nr. 28 und 30. Die Eigentümer – und es ist dieselbe Immobiliengesellschaft, die das besagte Haus in der Einspinnergasse abbrechen konnte - gehen offenbar nach bewährtem, wenngleich legalem Modus vor, indem sie sich auch hier den Zahn der Zeit zunutze machen. Aufgrund der nahezu vollständigen Durchnässung ist der an den Schlossberg grenzende Querriegel der Hofgebäude nicht mehr zu retten. Wohl aber könnte man die Wohngebäude quer zur Sackstraße revitalisieren. Zudem existiert ein für barocke Zimmermannsarbeit inzwischen einzigartiger Dachstuhl. – Allein, ASVK und Denkmalamt fehlt die Handhabe und der Besitzer wird in den nächsten Jahren wohl die wirtschaftliche Unzumutbarkeit ins Treffen führen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek
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