10/05/2007
10/05/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Tanz am Kulm: Die neue "Regionale" soll den Spagat zwischen Tradition und Gegenwartskunst schaffen. Foto: Max Wegscheidler

REGIONALE Zwischen Deutschlandsberg und Hartberg brüten die besten Kulturköpfe des Landes über zeitgenössischen Ideen für das neue steirische Kulturfestival. Der Preis für so viel Nachdenken: ein Vier-Millionen-Euro-Budget. Die Risikofaktoren: die Zeit. Und die Kunst.

Die Polen sind aus dem Autobus gesprungen und haben sofort zu singen begonnen!" Über so viel Vitalität freut sich Karl Mayer, Obmann des Kunstforums Stubenberg, während er am Parkplatz des Schnitzelwirts am Kulm seine Gäste begrüßt. An schönen Tagen lässt sich dort, nahe des Gipfels des oststeirischen Inselbergs, nach allen Richtungen weit ins Land hineinschauen, bis zu den Karawanken und tief in die Pannonische Tiefebene reicht der Blick. An diesem Samstag, am Europatag, sind Mayers Gäste aus dem polnischen Tschenstochau auf den Kulm angereist, um mit den Schuhplattlern aus Anger bei Weiz und der Volkstanzgruppe aus Puch in bunten Trachten durch den Nachmittag zu tanzen und einander bei Polonaise, Bandeltanz, Brathendl und Bier ein wenig näher zu kommen.

Das Besondere an diesem Nachmittag, der Teil eines größeren, bis in den Sommer reichenden Polen-Schwerpunktes ist: Einige der Kulm-Kulturinitiativen haben sich dafür erstmals zusammengetan, um gemeinsam etwas zu bewegen. "Die Polen haben uns zusammengebracht", sagt Mayer. "Sie haben es geschafft, den Kulm abzutragen." Gekannt haben sie einander zwar schon seit Jahren - der kultursinnige Rechtsanwalt Karl Mayer aus Stubenberg am See, Alois Almer, der seit 27 Jahren den bemühten "Angerer Frühling" ausrichtet, und Gerlinde Schneider, Kulturreferentin (ÖVP) der Apfelgemeinde Puch -, für gemeinsame Projekte hat es bisher aber nicht gereicht. Was die Zusammenarbeit plötzlich beflügelt: Das Land Steiermark hat ein neues regionales Kulturfestival ausgeschrieben. Und wer die Bewerbung, die seit diesem Montag läuft, für sich entscheidet, darf mit einem fetten Sonderbudget in der Höhe von vier Millionen Euro rechnen. Ihren Polen-Schwerpunkt sehen die Kulm-Gemeinden da durchaus als Probegalopp für künftige, viel großzügiger dimensionierte Kulturtaten.

Auch in anderen steirischen Regionen rauchen derzeit die Köpfe, diskutieren Bürgermeister, Kulturtreibende und Künstler stundenlang in Dorfgasthäusern und Seminarräumen, um zündende Ideen für das von Kulturlandesrat Kurt Flecker (SPÖ) initiierte, biennal angelegte Kulturfestival zu entwickeln. Schon ab 2008 soll die "Regionale" die alten Landesausstellungen ersetzen. Spätestens am 21. Mai will die Landesregierung den künstlerischen Intendanten küren, bis zum 4. Juni müssen die Regionen ihre Ideen einreichen, noch vor dem Sommer soll das beste Festivalkonzept den Zuschlag erhalten (Informationen erhalten Sie über den LINK am Ende dieser Seite). Dann bleibt gerade noch ein knappes Jahr Zeit, um das Millionen-Budget sinnvoll zu verplanen. "Es ist ein Risiko, aber ein ambitioniertes und gescheites", meinte Flecker im steirischen Landtag. Besonders riskant: Anders als bei den in die Jahre gekommenen Landesausstellungen soll bei der Regionale die "Gegenwartskunst" im Vordergrund stehen - für viele steirische Gemeinden eine echte Herausforderung.

Dass die Neuausrichtung notwendig geworden war, darüber herrschte weitgehend Einigkeit, als Flecker am 24. November des Vorjahres die Grundzüge des neuen Festivals präsentierte. Die Landesausstellungen, die seit 1959 fix zum steirischen Jahresablauf gehörten, hätten sich "überholt", sagte Flecker damals. Tatsächlich wurden die Leistungsschauen inhaltlich immer dünner, thematisierten "Narren und Visionäre mit einer Prise Salz" genauso wie den "Mythos Pferd - Zauber der Lipizzaner", die Besucher blieben zusehends aus. Und die Gemeinden investierten die durchschnittlich 5,5 Millionen Euro, die das Land zuletzt jährlich springen ließ, oft ohnehin lieber in die Ortsbehübschung als in nachhaltige Regionalentwicklung. Das alles soll nun anders werden: "Mir geht es darum, dass die Gelder aus dem Kulturressort regionalen Initiativen zugute kommen", sagte Flecker im November, "und dass die Kunst nicht nur als Steigbügelhalter für Tourismus und Wirtschaft dient". Der steirische Landeskulturbeirat hatte schon im Juni des Vorjahres ein 14 Punkte umfassendes "Arbeitspapier" zur Neupositionierung ausgearbeitet, nach den Nationalratswahlen im Herbst stimmte schließlich auch die steirische ÖVP zu, die sich zuvor monatelang geziert hatte. Seit Montag liegt nun die offizielle Ausschreibung vor und erwartet sich von den Einreichern "ideenreiche Projekte mit den Schwerpunkten künstlerische Qualität sowie Förderung der Weiterentwicklung von Gegenwartskunst und -kultur".

Die Gemeinden um den Kulm, denen sich im Februar auch noch Pöllau angeschlossen hat, haben damit zunächst kein Problem: "Zeitgenössische Kunst steht im Mittelpunkt", sagt Alois Almer, der heuer eine Ausstellung mit dem farblich durchaus expressiv arbeitenden polnischen Maler Janusz Janczy oder eine Lesung mit dem Schriftsteller Radek Knapp ebenso in seinen kunterbunten "Angerer Frühling" programmiert hat wie das "Angerer Bauerngartl" mit Korbflechten, Schnapsbrennen und Nasenpfeifenschnitzen oder das Konzert "Blasmusik hier und heute". Ähnlich bunt sind die Festivalideen der Projektwerber, die schon Ende 2006 ein einseitiges Konzept an Flecker geschickt hatten, um ihre Ansprüche als Erste geltend zu machen. "Kunst im Naturraum rund um den Rabenwald" wollten sie thematisieren, Bergfeuer entzünden, Kunststücke mit Heißluftballons vollführen lassen und eine Bühne in den Stubenbergsee setzen. "Wir wollen auch auf die Wurzeln Bedacht geben", sagt Karl Mayer zur Zeitgenossenschaft. "Kunst ist die Einbindung von allen." Erst vergangene Woche hatten sie daher alle künstlerisch tätigen Menschen der Region zum Gespräch in ein Angerer Gasthaus geladen, Musiker und Maler, Denker wie Köche, dazu einen Moderator. Fast alle: Der Pöllauer Maler Josef Schützenhöfer (siehe Falter Smk.-Artikel S. 10) war nicht geladen. "Er hat sich uns nicht angedient", sagt Mayer. Schützenhöfer selbst steht der regionalen Initiative ohnehin skeptisch gegenüber: "Die lokalen Künstler hier werfen nicht einmal Schatten", meint er. Und: "Die Region könnte man ohne weiteres zehn Jahre lang umfahren, die Qualität ein bisserl fördern, von außen hie und da etwas hereinbringen. Aber gleich dieses Geld herwerfen, das wäre ein Wahnsinn."

Nicht nur aus Sorge vor Kritik sind Almer, Mayer, Schneider und der Pöllauer Kulturreferent Heribert Hirschegger (SPÖ) zuletzt etwas vorsichtiger in Bezug auf öffentliche Äußerungen über ihr Projekt geworden. Sondern auch, weil sie am Buffet mit dem Vier-Millionen-Kuchen natürlich nicht alleine anstehen. Zumindest vier weitere Regionen bereiten derzeit eifrig ihre Festivalideen vor, in der Obersteiermark wird erst noch gründlich überlegt. Sogar in unmittelbarer Nachbarschaft droht Konkurrenz. Dort, in Pischelsdorf, ist Richard Frankenberger mit seiner Initiative K.U.L.M. seit Jahren, wiederholt auch im Rahmen des Steirischen Herbstes, um zeitgenössische Kunst und Diskurs bemüht. Seit Monaten arbeitet er schon mit den Künstlern Martin Krusche (Gleisdorf), Walter Kratner (Weiz) und dem Philosophen Erwin Fiala im Arbeitskreis "Kunst und Kultur in regionalen Räumen/Topographien" an einer eigenen Bewerbung. Um das Themenfeld "Leben - Kunst - Geschwindigkeit", um Be- und Entschleunigung soll es dabei gehen, dazu liegt inzwischen auch ein internes "Hundert-Seiten-Werk" vor. Details wollen die Herren derzeit - aus Konkurrenzgründen - nicht verraten.

Weniger um die Konkurrenz als um den knappen Bewerbungszeitraum sorgen sich die Bewerber einer dritten oststeirischen Region. In Hartberg bemüht sich zwar Vizebürgermeister Wolfgang Böhmer (SPÖ) redlich darum, ein paar Tausend Euro aufzutreiben, damit am Konzept "Hartberger Fakten" gefeilt werden kann. "Nach meinem Gefühl sollte die Bewerbung aber auf 2010 gerichtet sein", sagt Böhmer, "auch weil wir von der Höhe des Betrags überrascht waren". Profitiert habe die Region aber auch so schon, meint der Hartberger Kulturreferent. Die regelmäßigen Treffen von bis zu vierzig interessierten Kulturschaffenden im Stüberl des Cafés Sonne hätten erstmals in der Geschichte das regionale Potenzial der Region zutage gefördert. "Die Kreativität und der Ehrgeiz des Oststeirers haben Fuß gefasst." Dieser Schwung soll jedenfalls erhalten bleiben.

Knapp wird es für die Formierung der Kulturfront auch in Voitsberg. Dort hat man sich schon vor Jahren um eine Landesausstellung angestellt, aber nie das große Los gezogen. Bürgermeister Erwin Meixner, erneut ein Mann der SPÖ, will dafür jetzt das erste Kulturfestival an Land ziehen. Seinen Zugang zur Gegenwartskunst umreißt Meixner wie folgt: "Arbeit, Soziales und Kunst", sagt der Mann, der einst als Obmann des Arbeitersängerbundes auch selbst kulturell wirkte, "vor dem Hintergrund von Bertolt Brechts, Fragen eines lesenden Arbeiters' und der, Proletenpassion' der Schmetterlinge". Geomantische Wege, eine Kunststraße sollen am Schlossberg entstehen, der sich überhaupt zu einem "Berg der Künste" verdichten ließe, Arik Brauer und Ernst Fuchs, die bereits öffentliche Bauten in der Region behübscht haben, könnten als "Protektoren" zum Einsatz kommen. Damit sei eine Neuorientierung der ehemaligen Bergbauregion zu schaffen, ist Meixner überzeugt.

Wirklich gut im Rennen liegt derzeit aber Deutschlandsberg. Wolfgang Pollanz, der die Konzepterstellung im Auftrag des SPÖ-Bezirksvorsitzenden, zugleich Klubobmann im Landtag, Walter Kröpfl, übernommen hat, ist gut in der Zeit, hat sich exzellent vernetzt und eine schlaue Idee. Aber auch die ÖVP ist hier im Boot, und in die Nähe einer Landesausstellung ist der Bezirk zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren gekommen. Das erhöht die Chancen. Pollanz, Motor der seit einem Vierteljahrhundert umtriebigen Kulturinitiative Kürbis im weststeirischen Wies, Musiker, Label- und Verlagsbetreiber, hat mit allen Playern der Region Ideen ausgetauscht und Mitte April sein Konzept "B76 - 50 Kilometer Kultur" im Theaterzentrum Deutschlandsberg zur Diskussion gestellt. Als roter Faden zieht sich die Radlpass Straße durchs Konzept wie durch den Bezirk. "Wie eine Perlenschnur", sagt Pollanz. Kunstprojekte im öffentlichen Raum will er daran auffädeln, vielleicht auch die zahlreichen Kreisverkehre der B76 bespielen, die von Lieboch bis ins slowenische Sloven Gradec, das "slowenische Graz", führt. Wie von selbst ergeben sich daraus Themen wie das Verhältnis von Peripherie und Zentrum oder die frühere Zweisprachigkeit der Region. Herbert Brandl würde eine Ausstellung im Feuerwehrmuseum von Groß St. Florian beisteuern. Auch andere aus der Region stammende Künstler wie Olga Neuwirth oder das Postrockorchester Thalija, ergänzt um internationale Positionen, sollen eine Rolle spielen.

Der Schwierigkeiten des Unterfangens ist sich Pollanz aber bewusst, als Mitglied des Landeskulturbeirates war er auch an der Erfindung der Regionale beteiligt. "Wir wollen ein breites Spektrum anbieten, aber keine Beliebigkeit", sagt Pollanz. "Das Programm muss der Bevölkerung genauso taugen wie Kunstkritikern." Das größte Problem sieht Pollanz aber weniger in der Zeitgenossenschaft als im Faktor Zeit. Gerade Projekte im öffentlichen Raum müsse man ordentlich entwickeln. "Der Zeitraum von einem Jahr ist ein Wahnsinn", sagt er. "Das Festival ist nicht der Steirische Herbst am Land, es ist ein völlig neues Format. Und die Ersten, die es ausrichten, sind sicher Versuchskaninchen."
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Verfasser/in:
Thomas Wolkinger, Bericht; erschienen im Falter Stmk. 19/07, am 09.05.2007
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