15/04/2007
15/04/2007

DI Oliver Elser

sonnTAG 171

Laudatio von Oliver Elser anlässlich der Verleihung des Architekturpreises des Landes Steiermark 2006 an Arch. DI Simon Speigner für die Lagerhalle Wallner in Scheifling, am 22.03.2007 in der Grazer Burg.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Architekt Speigner,
sehr geehrter Dr. Flecker,

herzlichen Dank für die Einladung.

Ich muss meine Laudatio gleich mit einem Geständnis beginnen.

Es ist eigentlich die Pflicht jedes Architekturkritikers, das Gebäude über das er schreibt - oder spricht - aufzusuchen und es sich vor Ort anzuschauen. Berichte, die nur auf Fotos basieren, sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.

Nachdem ich angefragt wurde, hier die Laudatio zu halten, habe ich mich entschlossen, in diesem Fall eine Ausnahme zu machen und nicht nach Scheifling zu reisen. Ich habe mir auch die Fotos zunächst nicht angeschaut

Bevor sich jetzt aber Empörung regt, kann ich sie beruhigen:

Ich kannte die Lagerhalle der Firma Wallner bereits. Und zwar nicht, weil ich bereits darüber geschrieben hätte.

Sie ist mir "einfach so" in Erinnerung geblieben. Als ein markantes Bauwerk, dass bei einer Autofahrt für einen kurzen Augenblick aufgetaucht, aber im Unterschied zu vielem anderen, was man so sieht, im Gedächtnis geblieben ist.

An jenem Tag war ich unterwegs, um mir einige Höhepunkte der Steirischen Architektur der letzten Jahre leibhaftig anzusehen. Die Reise ging zuerst nach Leoben, Justizzentrum von Josef Hohensinn. Gleich noch mitgenommen wurde das Institutsgebäude von Günther Domenig, dass natürlich jeder in Leoben kennt.

Wenn man auf dem Hauptplatz fragt, wo denn die Montanuniversität sich befindet, denn da gäbe es doch dieses Gebäude, das aussieht wie ... - dann kommt von den Bewohnern sofort wie aus der Pistole geschossen: "Aha, das Rostschwammerl meinen sie. Ja, es geht da und da lang..."

Von Leoben führte die Fahrt dann weiter nach Murau, Grund: Endlich die Brücke von Meili anschauen und die Bezirkshauptmannschaft von Tschapeller.

Und mittendrin, an der Abzweigung von der Bundesstraße, die weiter nach Klagenfurt führen würde, und genau dort, wo ich Richtung Murau abgebogen bin, da steht die Halle, die heute mit dem Steirischen Architekturpreis geehrt wird.

Ich bin mir sicher, dass die Halle in der Scheiflinger Umgebung so bekannt ist, wie das Rostschwammerl auf dem Leobener Hauptplatz.

Man könnte sich an dieser Stelle eigentlich den Wegweiser sparen. In der Stadt zumindest funktioniert die Kommunikation auch oft so: "Geh' an der Oper rechts vorbei und beim Stephansdom dann links."

Architektur, die nicht schrill ist, aber trotzdem eine Form von "Merkbarkeit" produziert (Hermann Czech), ist besonders in den Zwischenbereichen, die nicht Stadt oder Dorf sind, aber auch nicht Land, von großem Wert.

Denn die Grenzen von Stadt und Land haben sich längst verflüchtigt.

Die Zersiedelung ist der räumliche Ausdruck einer auseinanderdriftenden Gesellschaft: Auseinanderfahrende Gesellschaft wäre der passendere Begriff. Das Auto macht's möglich.

Statt sozialem Zusammenhang suchen viele das Glück im Häuschen mit Garten.

Statt einer Kulturlandschaft, die über Jahrhunderte gewachsen ist, finden wir Industriebauten und Supermärkte, die erst wenige Jahrzehnte alt sind.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Kulturpessimist, der meint, dass es vor der Industrialisierung besser war.

Aber man muss sich schon fragen, ob neben der tatsächlichen Umweltverschmutzung nicht auch die ästhetische Umweltverschmutzung zu berücksichtigen ist.

Dazu Kriterien zu finden und Vorschläge zu machen ist eine heikle Angelegenheit.

Emissionen kann man messen. Architektur hingegen ist das Resultat kultureller Verabredungen.

Ein Beispiel zu dieser heiklen Frage:
Ich fahre häufig auf der Strecke Wien-Graz an den Böhlerwerken vorbei. Diese massive Ballung im Mürztal: Wunderbar. Es sind wuchtige graue, qualmende Kisten, bar jeder Gestaltungsidee, fast eine zweite Form von Natur.

Hätte da ein Gestaltungsbeirat mit entschieden: Ich möchte nicht wissen, wie das aussehen würde.

Ich denke, da nicht nur für mich alleine zu sprechen, wenn ich das schön finde. Künstler haben seit den 1920er Jahren die Industrie als heroischen Ausdruck unserer Zeit portraitiert.

Die ästhetische Umweltverschmutzung, die ich meine, geht eher von diesen Anballungen am Saum der Städte und Dörfer aus, wo nicht rohe Kräfte walten, sondern der Farbpinsel von Marketingabteilungen sichtbar wird. Supermarkte, Baumärkte: Diese Bauten, die alle nach Aufmerksamkeit schreien. Kauf mich, kauf meine Produkte!

Als Architekt meiner Generation hat man gelernt, dass das schon okay ist. Ein sehr wichtiger amerikanischer Architekturkritiker, Robert Venturi, hat uns gelehrt, den Blick zu öffnen auch für dieses Phänomen.

Aber wenn man ehrlich ist: Was in Amerika wunderbar funktioniert, das muss für hiesige Verhältnisse kein Vorbild sein.

Diese ewig langen Ausfall-Straßen, die aus einer amerikanischen Stadt hinausführen: Erst die Möbelhändler, dann die Neuwagen, dann die Gebrauchtwagen, schließlich die Wohnwagen, für alle, die es nicht geschafft haben. Wenn das die Bilder sind, die wir toll finden, dann besteht das Land aus gar nichts anderem mehr. Es gibt in Österreich schlicht nicht den Platz dafür.

Was sind die Gegenkonzepte?

 Gewerbe und Wohnen werden verbunden: das Tiroler Modellprojekt Aldrans-Lans-Sistrans.

 Supermärkte, die trotz ihrer Randlage einen Beitrag zum öffentlichen Raum leisten. Beispiel SPAR, Leibnitz, von Riegler-Riewe. Dort ist das Bekenntnis zum "Ort" vorhanden in der Geste des Vordachs. Es ist ein gutes Gebäude, aber warum fehlt dort das Café, die selbstverständliche Zutat der Tiroler MPreis-Märkte? Diese sind ja nicht nur architektonische Perlen, sondern begegnen dem Problem der auseinanderfließenden Städte auch von Seiten der Lebenswirklichkeit, und nicht nur mit den Mitteln der Architektur: Wenn der Supermarkt schon ein Dorfzentrum ist, faktisch, dann muss es dort ein Café geben.

Wer kümmert sich um solche Frage? Sind es Unternehmen? Oder wäre das nicht ein Fall für die Stadt- und Regionalplanung?

Noch ein Beispiel: Eine Schlosserei mit einer integrierten Bar, von den Caramel-Architekten aus Wien, realisiert in Niederösterreich: Wenn man akzeptiert, dass alle mit dem Auto unterwegs sind, warum dann nicht ein Gasthaus im Industriegebiet?

Architekten sind einerseits sehr gut darin, unkonventionelle Programme anzubieten.

Andererseits besteht das Hauptproblem vieler Werken der Gegenwartsarchitektur in ihrem schnellen Altern. Nicht allein im physischen Sinne, das ohnehin auch.

Aber vor allem auch in gestalterischer Hinsicht.

Den Bauernhäusern, Scheunen und landwirtschaftlichen Schuppen sehen wir nicht an, wie alt sie sind. Den Kirchen schon. Im Unterschied zu diesen war die profane Architektur jahrhundertelang mehr oder weniger ohne Alter, sie wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

Heute diktiert uns die mächtige Industrie, dass es ständig neue Dinge gibt, die wir kaufen sollen. Es fängt im privaten Bereich an. Dabei ändern sich bloß meist die Oberflächen.

Bei der Architektur ist es nicht anders: Auch hier lockt die Katalogware mit immer neuen Erfindungen.

Der Architekt Speigner hingegen hat sich der Tradition besonnen und eine Schindelfassade gemacht. Man kennt das von der Wetterseite alter Häuser, ausgeführt in Schiefer. Es ist ein traditionelles Verfahren und ist imstande, auch mit einem neuen Bauwerk sozusagen Freundschaft zu schließen, weil es Elemente enthält, die man kennt.

Man muss dieses Prinzip einmal ganz grundsätzlich benennen, weil es eine Möglichkeit ist, das zunehmende Kommunikationsproblem von Architektur zu lösen:

Ich meine, dass Architekten eigentlich dazu verurteilt sind, Traditionalisten zu sein, sich das aber nicht eingestehen wollen.

Es gibt Elemente, die einfach fixiert sind: Treppen, Steigungsverhältnisse, das Maß einer Tür.

Und es gibt kollektive Bilder, wie etwa die geschindelte Fassade.

Wenn ich mir die gegenwärtige Stararchitektur ansehe, dann gibt es dort niemanden, der in der Lage wäre, solche Bilder zu verwenden. Wolf Prix von Coop Himmelblau spricht gerne von den "großen Aschenbecher", die seine Kollegen (Zaha, Foster, wie auch immer) entworfen hätten. Also Designobjekte, nicht Bauten. Natürlich muss er sich die Frage gefallen lassen, was er denn eigentlich selber macht, wenn nicht eben zu groß geratene Aschenbecher.

Die Ermüdung des Publikums, das die Reize dieser Riege allmählich satt hat, ist deutlich zu spüren.

Die einzigen Provokationen, die man heute als Architekt überhaupt noch machen kann - und Architekten sollten provozieren! -, das sind die ganz stillen: Weg von der Designerware, hin zu Alltag, Tradition und zur Frage, wie wir an dem weiterbauen, was es bereits gibt. Es geht nicht darum, jeden Montagmorgen eine neue Architektur zu erfinden, hat Mies van der Rohe einmal gesagt. Deswegen ist es wichtig, dass solche Preise nicht dazu dienen, das spektakulärste Bauwerk des Jahres auszusuchen. Sondern dass gewürdigt wird, dass sich ein Unternehmen und ein Architekt wagen, in einer nicht besonders attraktiven Umgebung ein Zeichen zu setzen, dass man sich merken kann.

Nicht weil es schrill ist und laut, sondern weil hier gleichermaßen nach vorne und zurück geschaut wurde.

Herzlichen Glückwunsch Simon Speigner und vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
OLIVER ELSER ist Architekturkritiker, Ausstellungsmacher und Archivar.
Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Standard, Texte zur Kunst, Frankfurter Rundschau, Bauwelt, db, Baumeister) sowie in diversen Katalogen und Büchern. Elser ist Österreich-Korrespondent der Architekturzeitschrift A10 und lehrt bei Prof. Hild am Institut für Gebäudelehre der TU Graz.
Webseite: www.architekturtexte.ch

Verfasser/in:
DI Oliver Elser
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