07/01/2008
07/01/2008

Das Luftbild zeigt das Kernstück der Grazer Liegenschaften, die Reininghausgründe (weißer Fleck), ein beinahe unbebautes Areal im Westen der Stadt, 537.000 Quadtratmeter groß und nicht mehr als eineinhalb Kilometer entfernt vom innenstadtbegrenzenden Gürtel der Stadt.

...Der Immobilienentwickler Asset one auf der Suche nach der neuen Stadt mit hoher Lebensqualität. Wo? In Graz.

Wer sein Unternehmen Asset One nennt, legt bereits mit der Namensgebung einen Offenbarungseid ab. Das englische „asset“ hat mehrere Bedeutungen, alle mit Ausnahme von „Vorzug“ verweisen auf materielle Werte, auf Gewinn. Hier plant jemand, Vermögenswert zu steigern, sein Anlagegut zum Bestseller zu machen.

Asset One ist ein privater Immobilienentwickler mit Sitz in Graz. Von anderen Unternehmen seiner Branche unterscheidet er sich schon durch die Gesamtgröße seiner Liegenschaften. Das Unternehmen besitzt 1,2 Millionen Quadratmeter Grund an vier Standorten in Österreich. Mehr als Dreiviertel der Flächen sind als Bauland ausgewiesen, etwa 96 Prozent davon liegen in Graz. Der Liegenschaftsbesitz von Asset One in Graz beträgt fast ein Prozent der städtischen Gesamtfläche ohne Waldanteil. Er stammt aus nicht mehr betriebsnotwendigen, großteils unbebaut belassenen Flächen, die nach dem Verkauf der österreichischen Brau Union an den Heineken Konzern veräußert wurden. Das war 2005.

Seit damals ist das Unternehmen höchst aktiv. Ein Kernstück der Grazer Liegenschaften bilden die Reininghausgründe, ein beinahe unbebautes Areal im Westen der Stadt, 537.000 Quadtratmeter groß und nicht mehr als eineinhalb Kilometer entfernt vom innenstadtbegrenzenden Gürtel der Stadt. Doch nicht Bebauungspläne wurden entwickelt oder Parzellierungen vorgenommen. Zum Nachdenken über die adäquate Form der Stadt, eines lebenswerten Quartiers, investiert das Unternehmen viel Geld und verordnet sich Zeit. Ins Leben gerufen wurde das Projekt werkstadt 017, das schon im Titel auf ein Ergebnis erst im Jahr 2017 verweist. Als Output einer ersten prozesshaften Nachdenkphase liegt ein Buch vor: 32 Grazer und Grazerinnen wurden ersucht, eine Redaktion zu gründen und in vier Gruppen „Konzeptionen des Wünschenswerten“ zu erarbeiten. Interviews wurden durchgeführt, von außergewöhnlichen innovativen Projekten berichtet und eine abschließende Reise in eine europäische Stadt unternommen. Leben, Arbeit, Bildung und Urbanität waren die Themen der Ressorts - Kopenhagen, Cambridge, London und Barcelona das Ziel der Erkundungen vor Ort.

Als Sukkus dieses Prozesses wurde ein „Netzwerk an Wertebündeln, die zentrale Wünsche an Zukunft verdichtet darstellen“, herausgefiltert. Schlagworte wie „Magie des Unnormierten, die Kultur des Scheiterns, maximale Differenz, Kunst als Lebensmittel, die Neubewertung der Arbeit, Widerständigkeit, rasche Entschleunigung, Überschreitung kultureller Grenzen, das Recht auf Lebenswertorientierung, neue Formen von Sicherheiten, Prozesse des Mitgestaltens und gemeinsame Rituale“ lesen sich wie ein Gegenentwurf zur heutigen europäischen Gesellschaft. Spätestens hier stellt man sich angesichts der Komplexität der angesprochenen Themen die Frage, wie es gelingen kann, daraus konkrete Eigenschaften des urbanen Lebens zu generieren und diese auf den zu konzipierenden Stadtteil zu übertragen. Wie, einen Rahmen zu definieren, der „ein gewünschtes Maß an Sicherheit und Orientierung gibt, aber auch Raum für gestalterische Freiheiten in Hinblick auf unser Leben lässt ...“

Asset one plant für die Dauer der Nachdenkphase noch zwei bis vier Jahre. Die Grazer Stadtplanung ist in diesen Prozess durch regelmäßige monatliche Gespräche eingebunden. Sie stand der Initiative der Investoren, die in die Hand nahmen, was eigentlich Aufgabe ihrer Ressorts wäre, von Anfang an wohlwollend gegenüber. Schon bei den Zukunftsgesprächen waren Stadtbaudirektor Bertram Werle und Michael Redik, der Leiter der Stadtplanung, dabei. Pikanterie am Rande: beide waren nicht in ihrer offiziellen Funktion tätig, sondern als Privatpersonen und Bürger der Stadt. Ein kluger Schachzug des Unternehmens?
Jedenfalls ein ungewöhnlicher Schritt wie alles, was bisher an Entwicklungsplanung geschah. Mit der Stadtplanung muss kooperiert werden, weil ihre Vorgaben vom Gemeinderat als beschlussfähiges politisches Organ sanktioniert werden müssen. Gesetzt den Fall, es gelänge, die vorhandenen Liegenschaften durch einen ebenso klugen wie marktwirtschaftlich attraktiven Bebauungsplan aufzuwerten und den neuen Stadtteil zum Hotspot zu machen, so wäre das Ziel, das hinter all den Anstrengungen des Developers steht, erreicht: die Wertsteigerung der Liegenschaften und ein gewinnbringender Weiterverkauf.

Die Garantie für eine „gute Stadt“ wäre damit noch nicht gegeben, schreibt doch ein Bebauungsplan nur einen groben Rahmen vor. Ihr Gelingen hängt von weiteren Faktoren ab: von der Verwertungslogik der neu hinzukommenden Investoren und ihrem guten Willen, die vorweg definierten Rahmenbedingungen einzuhalten. Dazu zählen Bau- und Niedrigenergiestandards, architektonische und freiräumliche Qualitäten und die Bereitschaft zur Investition in infrastrukturelle Einrichtungen des täglichen Bedarfs – für eine vitale Durchmischung, wie sie Citoyens an der gewachsenen Stadt schätzen. Innovative Modelle der Wohnbauförderung müssten gefunden werden und Anreize, auch Wohnraum für mittellose Menschen zu schaffen. Will dieses Projekt als Modell zukunftsweisend sein, muss die Kommune, also die Stadt Graz, ihre Aufgabe, für soziale und öffentliche infrastrukturelle Einrichtungen zu sorgen, vorausschauend erfüllen. Wer baut Kindergärten, Schulen, Büchereien, Begegnungsorte ohne Konsumzwang? Was tun, wenn die finanzielle Ausstattung der Kommunen fehlt? Um Anreize für Bauträger zu schaffen, auch in das Gemeinwohl zu investieren, ist Phantasie vonnöten. Unkonventionelle Modelle - zum Beispiel Punktevergabesysteme - sind denkbar und Ideen, wie sie in einem verbindlichen, gesetzlich abgesicherten Regelwerk zu verankern wären.

Anderswo gibt es Ansätze dazu, etwa beim mehrjährigen prozesshaften Verfahren zur Bebauung des Stadtwerkeareals in Salzburgs Stadtteil Lehen, doch selbst dort fällt es der städtebaulichen Begleitgruppe schwer, Bauträger vom Vorteil innovativer Denk- und Handlungsweisen zu überzeugen. Die „Konzeptionen des Wünschenswerten“, propagieren Lebensraum für eine große Gemengelage an Stadtbewohnern, ohne Segmentierung oder Ausgrenzung. „Nicht die maximale finanzielle Verwertung der Liegenschaften ist Ziel, sondern deren zukunftsträchtige und nachhaltige Entwicklung. An erster Stelle der Projekte steht die Suche nach Lebensqualität“, ließ Asset one anlässlich des Spatenstichs beim Bauvorhaben „Sternbrauerei“ in Salzburg verlautbaren. Ob die geplanten Quartiere diesen, erstmals monetär präzisierten Anspruch des Immobilienentwicklers wirklich erfüllen können, wird sich zeigen. In Salzburg schon 2009, in Graz erst 2017.
Gekürzte Version eines Beitrags, den Karin Tschavgova für die db., Heft 1/2008, im Dezember 2007 verfasst hat.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova, Bericht

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