13/10/2004
13/10/2004

Erklärung des Künstlers, mit der er sich öffentlich vom Objekt distanziert.

Das Objekt, das der Künstler Erwin Wurm nicht als sein geistiges Werk anerkennt.

Am Brunnen vor dem sogenannten Marko-Spitz am Ende der Sackstraße ließ der von der Stadt Graz mit einem Brunnen-Werk beauftragte Künstler Erwin Wurm eine Tafel mit folgendem Wortlaut anbringen:
„Die Ausführung dieses Brunnens als Kunstwerk wurde durch die Bürokratie der Stadt Graz derart behindert und verfälscht, dass das hier ausgeführte Werk in keiner Weise meiner Idee und meinem Entwurf entspricht.“ Erwin Wurm.
Mit dieser scharfen Distanzierung protestiert Wurm gegen die Veränderung seines Entwurfs, der in dieser Form weder seinen Intentionen entspricht, noch an dem ursprünglich dafür vorgesehenen Ort errichtet wurde. Wie viele ähnlich lautende Tafeln müsste man an Gebäuden finden können, hätten die Architekten ein ähnliches Selbstverständnis vom Urheberschutz ihres geistigen Werkes?

Früher, als die Zeitschrift „Wettbewerbe“ noch eine repräsentative Übersicht über die österreichische Wettbewerbslandschaft gab, war sie ein brauchbares Instrument zum Vergleich zwischen dem siegreichen Entwurf und der Ausführung wesentlicher Projekte.
Was aus einem Vergleich zu schließen ist? Eine ganze Menge.
Etwa, ob die Absichtserklärung des Auslobers mit der Beauftragung des Gewinners inhaltlich und im Umfang übereinstimmt. Immer wieder kommt vor, dass der siegreiche Architekt nur einen Bruchteil der Bauaufgabe übertragen bekommt und sich den Auftrag mit Nachgereihten teilen muss. Oder mit dem Hausarchitekten des Auslobers. Es kommt auch vor, dass ein Architekt nur mit einem Teil der versprochenen Leistungen beauftragt wird.
Im Vergleich sieht man auch, ob ein Projekt verzögert oder im Umfang erheblich reduziert wurde, was entweder auf veränderte Rahmenbedingungen wie geringeren Bedarf oder fehlende Mittel schließen lässt oder auf schlechte - weil nicht sorgfältige - Wettbewerbsvorbereitung. In jedem Fall zahlt der Planer, der mit einem bestimmten Auftragsvolumen rechnet und Büroressourcen bereithalten muss, drauf.
Augenscheinlich wird im Vergleich, ob ein Bauträger den Wert der geistigen Arbeit eines Entwurfs respektiert und ihn im Sinne seines Erfinders realisiert. Tut er das nicht und „räumt“ den Entwurf ab, bleibt ein Torso zurück, dem die ursprüngliche Idee nicht mehr abzulesen ist. Gelegentlich sind solche Projekte nicht wiederzuerkennen.
Einem generellen Bekenntnis zu Baukultur im Sinne von hoher Qualität sollte also auch die Bereitschaft folgen, jedes Projekt bzw. seine Realisierung von Dritten evaluieren zu lassen. Das gilt überall dort besonders, wo mit öffentlichen Geldern gebaut wird. Wozu das? Es ist eine Kontrolle und dient der Transparenz der Vergabe und Durchführung, dem Lernen aus Fehlern und nicht zuletzt auch dem Vertrauensaufbau zwischen Planern und Bauherren.
Distanzierungen wie jene von Erwin Wurm werden damit irgendwann einmal obsolet, vielleicht.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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