27/10/2004
27/10/2004

My home is my castle - die umstrittene Türmchenvilla in Ratsch/Weinstraße. (Naturpark Südsteirisches Weinland)
Foto Denise Leising

Das Gebiet um die Weinstraße in der Süd(west)steiermark ist ein Juwel von unschätzbarem Wert. Viele der dort Ansässigen leben vom Wein oder vom Tourismus und beides erlebt in den letzten Jahren ungeahnte Höhenflüge. Das hat Konsequenzen.
Die Weinanbauflächen werden erweitert, wo es noch geht und es wird allerorts um-, an- und neugebaut. Auf Teufel komm raus wird investiert. In Weinbaubetriebe, in die Gastronomie und in „Anlagewerte“ wie Winzerhäuser, Kellerstöckl und verlassene Höfe, sofern man noch welche ergattern kann. Wer nichts Passendes gefunden hat, kauft Grund und baut sein Reich nach eigenen Vorstellungen.
„My home is my castle“ scheint in der Südsteiermark kein durch irgendwelche Reglements getrübter Wunsch zu sein – vorausgesetzt, man hat genügend Bares. Wie könnte es sonst sein, dass ein schwerreicher Industrieller i.R. aus Graz sich in Ratsch an der Weinstraße seinen Traum vom Schloss - mit Türmen und Arkaden in Hollywoodmanier - ungeniert und ungehindert erfüllen darf. Der Bürgermeister des Ortes, selbst Weinbauer und Abgeordneter im Parlament, findet nichts dabei und die Einwände der Fachleute lächerlich. Wen wundert’s: Angeblich hat der gute Mann der Gemeinde 70.000 Euro für den Bau eines neuen Gemeindeamts geschenkt.
Was man (wieder einmal) daraus schließen muss: „Ortskaiser“ sind als erste Bauinstanz einer Gemeinde ungeeignet, weil sie
a) befangen und/oder
b) unqualifiziert sind.
Man stelle ihnen also entweder qualifizierte Fachleute (Bausachverständige sind das in der Steiermark oft auch nicht) oder einen Gestaltungsbeirat zur Seite, deren Begutachtung und Urteilsspruch verbindlich sind.
Oder man bildet die Bürgermeister (und die Bausachverständigen gleich dazu) zu entscheidungsfähigen Wissenden aus.
Bei den Schweden ist die Weiterbildungsrate fünfmal so hoch wie in Deutschland, schreibt Matthias Horx in der „Presse“. Der Vergleich mit Österreich wird ähnlich ausfallen.
Wer soviel Entscheidungsmacht über die Zukunft „seines“ Dorfes, seiner Region in Händen hat, der muss bestrebt sein, weiterzulernen, aufgeklärt zu werden, um seine Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen zu können.
Architekturvermittlung ist angesagt! Denn: Wenn ein Gast nicht mehr kommen will, weil er in einem disneyisierten, verhunzten Allerwelts-Dorf oder einer verhüttelten Region weder Authentizität und feinfühlige Erneuerung noch landschaftliche Schönheit vorfindet, dann ist es zu spät. Zum Jammern wie zum Lernen.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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