08/12/2023

Ein berührender Roman über die Transformation der Trauer und den schwierigen Weg zurück ins Leben. Sabine Grubers Roman zeichnet Bilder einer Protagonistin, die sich als gebürtige Südtirolerin auf Spurensuche bis zu den Pontinischen Sümpfen Italiens begibt.

08/12/2023

Sabine Gruber Die Dauer der Liebe, ©Verlag C.H. Beck

Der Titel verrät es: in erster Linie ist dieses Buch die Aufzeichnung einer Liebe, die jäh beendet wurde in ihrem gelebten Miteinander. „Aus dem Leben gerissen“ trifft es punktgenau, vor allem für die zurückbleibende Hauptperson, die mit dem plötzlichen Tod viel mehr verliert als den Geliebten. Es ist ein Buch über Unverständnis und eine damit verbundene „Leichenfledderei“ der offiziellen Angehörigen, aber auch eines über Fragen der Protagonistin, die sich erst nach dem Tod des Geliebten auftun. Was bedeutet der in italienischer Sprache verfasste kleine Zettel, gefunden in der Tasche einer alten Hose, auf der eine Unbekannte oder ein Unbekannter namens C. wortreich beteuert, wie sehr sie/er den nun Abwesenden vermisst?

Für Architekten und Architektinnen ist dieses Buch empfehlenswert, weil es in die schmerzvolle Geschichte eines Nicht-Abschied-Nehmen-Wollens eine zweite Ebene einflicht, die so beschrieben wird, dass man in der Autorin Sabine Gruber fundierte Sachkenntnis erkennen kann. Sie beschreibt, die Liebe des Partners Konrad, der Architekt und Fotokünstler war, zu den sogenannten Pontinischen Sümpfen im Latium, jener Region in Mittelitalien, deren Hauptstadt Rom ist und die ans Tyrrhenische Meer grenzt.

Aber es sind nicht etwa Reiseberichte, die wir hier lesen können, die Region wird als etwas „hinterwäldlerisch anmutende, untouristische und kontrastreiche“ Gegend beschrieben. Nein, Konrads Interesse galt den città nuove in den Pontinischen Sümpfen, die Mussolini trockenlegen ließ, um sie anschließend in fünf neu angelegten faschistischen Idealstädten durch verarmte Bauern aus der Emilia Romagna besiedeln zu lassen. Diese Städte mit ihren neoklassizistischen Monumentalbauten, die angeblich auch heute noch wenig verändert erhalten sind, machen die architekturtheoretische Schwierigkeit, oder sogar das Dilemma der Wissenschaftler anschaulich, denn das Attribut faschistisch passt bei der Kategorisierung der faschistischen italienischen Architektur nur bedingt. 

Die Bauten eines Giuseppe Terragni (Casa del Fascio in Como) oder eines Adalberto Libera, der Mussolinis künstlerischer Berater war und zugleich der geniale Entwerfer der Villa Malaparte auf Capri, interessierten den abwesenden und im Buch doch auf jeder Seite präsenten Konrad besonders, weil sie die Verbindung des italienischen faschistischen Regimes mit der Moderne aufzeigen. Die unrühmliche Verbindung, so schreibt es Sabine Gruber, und man erfährt nicht, ob diese Bezeichnung eine des Lebensgefährten ist. Aber wir können (als durch Architektur Enthusiasmierte) so viel und so anschaulich über dieses Interesse Konrads erfahren, dass ich zumindest animiert wurde, Region und Städte des Latiums selbst zu erkunden.

Doch auch für nicht speziell daran Interessierte empfehle ich diesen Roman als meine Nummer 1 des Jahres, denn allein der sprachliche Ausdruck, die Poetik von Sabine Gruber ist wunderbar: unaufgeregt, nie elaboriert, dabei abwechslungsreich (kurze Sätze und ausdrucksstarke Beschreibungen folgen aufeinander) und nie banal. Nicht zuletzt ist Die Dauer der Liebe ein Buch über Abschied und Verlust in all ihren Formen: von Trauer und Zorn bis zu unstillbarer Sehnsucht. Etwas, das uns alle trifft und betrifft.

www.chbeck.de/gruber-dauer-liebe/product/35514107

 

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