11/01/2024

Architektin und emeritierte Universitätsprofessorin Irmgard Frank gibt Einblick in die ganz normale Baukultur, die sie im Burgenland beobachtet. Neben der Feststellung einer gewissen Schizophrenie – zwischen Individualismus und Gemeinschaftssinn – und deren baulichen Auswirkungen, schlägt sie Lösungsansätze vor, wie interdisziplinäres Entscheiden und positive Kommunikation uns guter Baukultur ein Stück näherbringen könnten.

11/01/2024

Thujenhecke vor einem Einfamilienhaus im Burgenland, 2023

©: Univ.-Prof.i.R. Mag.arch. Mag.art. Architektin Irmgard Frank

Durch Hausbau entstandene befestigte Böschung, Burgenland, 2023

©: Univ.-Prof.i.R. Mag.arch. Mag.art. Architektin Irmgard Frank

Angeregt durch die diesjährige Teilnahme an der Jurierung des alle zwei Jahre ausgelobten Architekturpreis Burgenland einige Gedanken zur Lage der Baukultur im spezifischen im Burgenland. Dieser Preis wurde 2002 ins Leben gerufen und heuer mit einer Verzögerung um ein Jahr erneut vergeben. Liest man die Protokolle der letzten 21 Jahre, so hat sich die Grundproblematik nicht wesentlich verändert. Noch immer gilt es darauf hinzuweisen, dass die Qualität der alten Baustrukturen, deren Erhaltung und Neuinterpretation eine Aufwertung nicht nur für die Eigentümer:innen und Bewohner:innen solcher Liegenschaften bedeutet. Noch immer gilt es darauf hinzuweisen, dass die Auslagerung von Infrastruktur durch die Etablierung von Lebensmittelmärkten an den Dorfrändern eine damit einhergehende Entleerung der Dorfzentren mit allen daraus folgenden Problemen erzeugt. Es ist jedoch – ohne Zweifel – die gebaute Manifestation dessen, was unsere Gesellschaft für notwendig und wünschenswert hält.


Individualität versus Gemeinschaft

Wir Menschen gehören einer Spezies an, die sich ihrer Individualität bewusst ist. Gleichzeitig sind wir aber auch Teil eines Gemeinwesens. Wir brauchen die Gemeinschaft nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Das prägt unser Handeln. Der Individualismus kann aber auch in Richtung Egoismus gehen, und es gibt Zeiten – ich denke, wir leben gerade in einer solchen – wo der Drang zur Individualität auch verstärkt gelebt wird, oder uns durch die Konsumwelt suggeriert wird. Dabei stößt das Modell des Wirtschaftswachstums, das uns in der westlichen Welt zweifelsohne Wohlstand gebracht hat, an seine Grenzen.

Die Schizophrenie unseres Verhaltens lässt sich gut am Beispiel des Automobils erläutern. Der Wunsch einer bestimmten suggerierten Lebensweise zu entsprechen, führt dazu, dass immer mehr SUVs gekauft werden, die obendrein vom Design immer aggressivere größere Schnauzen bekommen. Als Individuum können wir mit einem solchen Fahrzeug ausdrücken, dass wir uns scheinbar von der Masse abheben, etwas Besseres sind, begüterter, potent sind. Geschickt wird dieser Mechanismus von der Wirtschaftsmacht, der Autoindustrie befeuert.

Überträgt man nun das System des immerwährenden Wachstums auf das Bauen, so führte das dazu, dass auch die Vorstellung der Größe und Ausstattung eines Eigenheimes kontinuierlich gewachsen ist. Aus meiner eigenen Zeit als Architektin kann ich davon berichten, dass die Nutzfläche eines Eigenheimes in den 1980er Jahren für eine vierköpfige Familie, 130m2 betrug. Diese Größe war außerdem das Limit für die Bewilligung möglicher Förderungen. Heute werden selbst Fertigteilhäuser nicht selten mit einer Größe von an die 150m2 und mehr angeboten und haben einen hohen Stellenwert am Markt. Im gehobenen Sektor hat sich die Wohnfläche gar verdoppelt. Waren es vor 40 Jahren um die 150m2, so sind es inzwischen um die 300m2. Dennoch ist es nicht allein der Wunsch nach mehr Nutzfläche, der zu denken gibt. Es ist vielmehr das zu beobachtende Bedürfnis der Abschottung.

Wie geht man um mit den Bedürfnissen der Teilhabe an einer Gemeinschaft einerseits und dem Bedürfnis und der Notwendigkeit von Privatsphäre anderseits?

Gewachsene Ortsgebiete, vor allem das typisch burgenländische Straßendorf, vermitteln eine zusammengehörige Einheit bei gleichzeitig – durch die Hofhaustypologie – gewährleisteter größtmöglicher Privatheit. Die seit der Nachkriegszeit betriebene Umwidmung von Grünland zum Zwecke der Parzellierung für den Bau von Eigenheimen kann man als Notwendigkeit sehen, dem steigenden Bedürfnis auf ein Eigenheim gerecht zu werden. Im Gegensatz zu einem Dorfgefüge stehen diese Häuser jedoch frei auf den jeweiligen Grundstücken, die in der Regel meist aus Kostengründen nicht sehr groß sind. Das führt dazu, dass versucht wird, mit Abschottung nach außen, das Bedürfnis nach Privatheit zu bedienen. Vermehrt werden perfekt geschnittene Thujenhecken gesetzt oder, weil keine Arbeit damit anfällig wird, Gabionen, die jegliche Einsicht in den und Aussicht aus dem Garten verhindern. 
Darüber hinaus hat der Effizienzgedanke Einzug gehalten: Man will zwar ein Haus im Grünen, das Grün darf aber keine Arbeit machen. Zuhauf eingesetzte Rasenroboter erledigen die Mäharbeit, wenn nicht überhaupt Zierkies die Vorgärten bedeckt und in Hanglagen wird der Aushub für den Keller, gleich einem Bauchladen, vor dem Haus angeschüttet. Das erspart die Entsorgung des Aushubmaterials und erzeugt gleichzeitig eine Terrasse. Die gewachsene Bestandstopografie wird ignoriert. Stattdessen entstehen kleine künstliche Sublandschaften, die in Summe zu landschaftsprägenden Elementen werden. Die Neigung der neuen Kleinsthänge ist pflegetechnisch schwer zu meistern. Daher bringt man groben Schotter an, versetzt große Steinblöcke oder bedeckt die Fläche mit Unkrautvlies, durch welches in kleinen gesetzten Öffnungen Bodendecker sprießen.

Ein weiteres Beispiel der erwähnten Schizophrenie: Auch im Tourismus findet man vermehrt eine Entwicklung zur Deprivation. Sowohl auf gesellschaftlicher wie raumplanerisch-architektonischer Ebene ist der ungebrochene Trend zu Chaletdörfern bedenklich. Das Hotelzimmer ist nicht mehr Teil eines Gebäudes mit entsprechender Infrastruktur wie Lobby, Frühstücksraum und Restaurant, sondern wird zum eigenständigen Kleinsthaus. Das Interesse an Kommunikation mit anderen Menschen scheint abhandengekommen zu sein. Die Zersiedelung der Landschaft schreitet auch auf dieser Ebene fort und beginnt im Burgenland gerade erst Fuß zu fassen.

Das Problem aber liegt vor allem in der Masse. Der Siedlungsbrei, der sich aus der Ansammlung einzelner Einfamilienhäuser und nun auch einzelner Chalets und Chaletdörfer ergeben hat und ergibt, entbehrt jeglicher Spannung. Dabei ist es das grundlegende gestalterische Prinzip der Spannung, die zwischen Gegensätzen entsteht, was Menschen anzieht und dazu führt zum Beispiel alte Ortschaften zu besuchen und zu bestaunen. Die Menschen suchen diese Orte auf, weil sie, wie es scheint, nicht verlernt haben, die Qualität zu spüren, die in spannungsreich gestalteten Orten eingeschrieben ist. Das Verhältnis von groß und klein, weit und eng, Dichte und Leere, hell und dunkel, enge Gassen, die sich zu Plätzen weiten, die Vertikalität eines Kirch- oder Rathausturms, die unsere Blicke nach oben zieht; dieser Reichtum an räumlicher Qualität wird von den Menschen erkannt und die dadurch ermöglichte Lebensqualität (auch für ein Miteinander) gesehen.

Das Beobachtete wirft Fragen über Fragen auf:

Warum gibt es diese Diskrepanz und was können wir, die Fachleute, mit unserer Kompetenz dagegenhalten? Woran liegt es, dass gesetzte Maßnahmen zu wenig greifen, sei es die Auslobung von Architekturpreisen und -wettbewerben, seien es Zusammenhänge aufzeigende Vorträge und Ausstellungen, seien es die Bemühungen um Vermittlung dessen, was zu einem besseren Verständnis der Problematik beiträgt? Was sind die Mechanismen, die zu solchen Entwicklungen führen? Wie könnte man gegensteuern? Wie entstehen überhaupt die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger, die zu derartigen Ergebnisse führen?


Breites Umdenken notwendig

Es bedarf einer Anstrengung und eines Umdenkens auf allen Ebenen, sei es seitens der Politik und der Behörden, sei es von Fachdisziplinen wie Raumplanung und Architektur, aber auch seitens der Industrie. Wir müssen unser schizophrenes Verhalten ernst nehmen und dort gegensteuern, wo wir einerseits den Ernst der Lage erkennen, aber wider besseres Wissen selbst entgegengesetzt handeln. Nicht nur für die Politik bedeutet das Mut, längerfristig wirksame Entscheidungen zu treffen. Dazu gehört auch eine positive Terminologie zu etablieren, die nicht auf Angst, sondern auf Gestaltungswille für die Zukunft aufbaut. Nicht der Verzicht auf Gewohntes sollte also im Vordergrund stehen, sondern der Gewinn von neuen Möglichkeiten. 

Konkret wäre die Verschiebung von Kompetenzen hin zu fachlich Qualifizierten unumgänglich, obschon das auf Gemeindeebene, wo die Bürgermeister oberste Bauinstanz sind, ein schwieriges Unterfangen ist. Fachkompetenz braucht einen Blick für das größere Ganze. Bürgermeister:innen bringen diesen eher selten aus ihrer Situation heraus mit. Die Gründe, warum es seit Jahren nicht gelingt, müssen hier nicht gesondert ausgeführt werden. Dennoch wäre es ein wichtiger Schritt, um längerfristige und räumlich übergeordnete Entwicklungen einleiten und umsetzen zu können. Nicht selten gelingen Dinge besser, wenn man diese in Etappen gliedert. Eine verpflichtende Beiziehung von fachlich Ausgebildeten, ähnlich wie es in der Flächenwidmung bereits praktiziert wird, wäre ein erster Schritt.

Die Bauindustrie kann ebenfalls einen Beitrag leisten. Gerade am Land sind Baumärkte mit Ihren Produkten und dem, was sie als „Must-have“ anbieten gefordert. Welche Formen der Kommunikation mit den Verantwortlichen solcher Märkte und Konzerne sich am besten eignen würden wäre eine Überlegung wert. Baumärkte, die auch konzessionierte Bauunternehmen sind, verkaufen und liefern nicht nur Baumaterial, sondern bieten auch behördliche Notwendigkeiten wie Einreichplanungen an. Eine Schulung desjenigen Personals, die diese Pläne zeichnet, wäre ein wichtiger Anfang.

Nicht zuletzt seien auch die Medien genannt, und hier vor allem die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Eine Berichterstattung in regionalen Sendeformaten mit großer Beliebtheit über positive Entwicklungen und Notwendigkeiten anhand von gelungenen Beispielen, wäre eine Möglichkeit, die Menschen dazu zu bewegen, ihre ausgeprägte Schizophrenie ein wenig zu verlassen. Auch mit dem Kleinsten lässt sich eine Änderung bewirken, und seien es nur Blumenwiesen statt Rasenroboter, die jegliche Biodiversität mit ihrem Tun im Keim ersticken.

Landschaft, Ortsbild, Photovoltaik

Die durch das Bewusstsein des Klimawandels und aufgrund dessen mehr und mehr entstehenden Photovoltaikanlagen sind unbestritten gestalterische Aufgaben. Wenn diese nicht von Gestalter:innen mit Lösungsvorschlägen bedacht werden, trägt das massiv zu einer weiteren negativen Beeinflussung der Landschaft und des Ortsbildes bei. Für die Einbeziehung dieser Elemente, sei es großflächig in der Landschaft oder als integraler Teil eines Gebäudes, braucht es dringend Lösungen seitens der Gestalter:innen. In der letzten Zeit ist gerade bei Privathäusern eine unkontrollierte, rein den technischen Notwendigkeiten geschuldete Platzierung von Photovoltaikelementen zu beobachten. Deren Planung obliegt derzeit fast ausschließlich den Firmen, die diese Anlagen verkaufen und installieren.

Annäherung

Im Alltagsgeschäft vieler Gemeinderäte bleibt nicht viel Zeit für längerfristige Planung und daher werden die meisten Entscheidungen in der Lösung von Teilproblemen gefällt. Eine außenstehende Fachkompetenz wird daher eher als Störung gesehen und es scheitert zudem oft an der Verständigung. Das liegt nicht nur an den handelnden Personen und deren Charaktere, sondern auch – vielleicht vor allem – an den konträren Positionen. Eine längerfristige Perspektive steht hier einer auf die Amtszeit fokussierten gegenüber. Ein Problem, das auch aus der Bundespolitik hinlänglich bekannt ist.

Auf dem Weg zur Erreichung gesamtheitlicher Ziele können verpflichtende Anordnungen oder Verordnungen seitens des Landes oder der Bundesregierung hilfreich sein. Als Beispiel sei hier ein 2020 an die Landschaftsplanerin DI Karin Graf beauftragtes Landschaftskonzept für die Gemeinde Jennersdorf genannt. In dieser Studie wird auch für Laien sehr verständlich die Qualität der regionalen Landschaft aufgezeigt und Maßnahmen vorgeschlagen, um diese möglichst zu erhalten. Die Studie beinhaltet einfache Schemaskizzen, die mit schnellem Blick das Wesentliche erfassen lassen. Allerdings steht noch aus, die Umsetzung der Maßnahmen einzufordern, damit sie nicht in der Schublade verschwinden. Die Unterstützung und Begleitung der Maßnahmen wäre fachlich durch die Studienautorin gegeben.
 

Was nun?

Die oben angesprochenen Probleme sind alle nicht neu. Dennoch, scheint mir, braucht es einen erneuten Anlauf, um Veränderung zu bewirken. Der Abstand zwischen dem was alltäglich gebaut wird und dem, was die Fachwelt unter qualitätsvoller Baukultur versteht, ist noch zu groß. Daher denke ich sollte es Zwischenebene geben, die geeignet sind diesen Abstand zu verringern. Im Austausch all der bereits gemachten Erfahrungen können wir Lösungswege finden, davon bin ich überzeugt. Warum nicht in Bezirksblättern regelmäßig kurze Artikel schalten, die auf Problemstellungen hinweisen und gleichzeitig anhand von positiven Beispielen Lösungen aufzeigen. Warum nicht die Architekturpreise eines Bundeslandes, oder auch andere ausgezeichnete Projekte als Wanderausstellung von Ort zu Ort ziehen lassen und damit Präsenz zeigen. Warum nicht in regelmäßigen Abstand Broschüren wie die des Vereines Plattform Baukulturpolitik „Österreich ist schön“ an alle Gemeinden und darüber hinaus versenden und damit die Chance erhöhen nach und nach Bewusstsein zu erzeugen. Warum nicht eine Stelle einrichten mit Außenmitarbeiter:innen, die auf die Gemeinden zugehen und sich derer Probleme annehmen, den großen übergeordneten und den kleinen alltäglichen. Diese Unterstützung müsste wahrscheinlich anfangs eine „verordnete“ sein um etwaige Barrieren und Ängste vor Einmischung abzubauen und könnte in Form eines Kontingents von Beratungseinheiten offeriert werden.

Auch kleine Schritte und niederschwellige Angebote und Maßnahmen benötigen natürlich personelle wie finanzielle Ressourcen. Hier erlaube ich mir mit einem bekannten Sprichwort zu schließen „wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“.

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