15/01/2024

Die Ausstellung „Hollein Calling“ im Architekturzentrum Wien konfrontiert 15 Schlüsselwerke Holleins mit 15 Projekten europäischer Architekturbüros der Gegenwart. Die Auswahl wirkt willkürlich, doch die Suche nach Bezügen macht großen Spaß. Allein die Exponate aus Holleins Archiv sind einen Besuch wert.
 

15/01/2024

"Hollein Calling. Architektonische Dialoge" im AzW, Wien 2023, ©Reiner Riedler 

Ausstellungsansicht mit originalen Exponaten, "Hollein Calling. Architektonische Dialoge" im AzW, Wien 2023, ©Reiner Riedler 

Originale Skizzen und Modelle in der Ausstellung "Hollein Calling. Architektonische Dialoge", AzW, Wien 2023, ©Reiner Riedler 

Hans Hollein Kerzengeschäft Retti, Wien, 1964-1965 
© Archiv Hans Hollein, Az W und MAK, Wien

Studierendenwohnheim, Weimar, Deutschland, 2017–2025, Wettbewerbsentwurf  © Almannai Fischer Architekten  

Bahrain Pavillon, Milano EXPO, Mailand, Italien, 2014, Querschnitt  ©baukuh 

„Alles ist Architektur!“ postulierte Hans Hollein 1967 in einem Manifest, das die Grenzen der Disziplin ins Unendliche ausdehnte. Es liest sich heute noch visionär, war damals eine Provokation und erschien im „Bau“. Hans Hollein, Gustav Peichl und andere junge Architekten hatten die Redaktion übernommen und die Zeitschrift der ZV (Zentralvereinigung der Architekten und Architektinnen Österreichs) zu einem Sprachrohr der Avantgarde umgewandelt.

Hans Hollein machte als Ausstellungskurator ebenso Furore wie als Architekt, Künstler und Designer. Der streitbare Universalist in puncto Gestaltung wurde als erster und bis dato einziger österreichischer Architekt 1985 mit dem Pritzker Preis ausgezeichnet, 1996 kuratierte er die Architekturbiennale unter dem bezeichnenden Motto „Die Zukunft erahnen. Der Architekt als Seismograph.“ Hollein war eine Größe für sich, bezog Haltung, setzte Themen und scheute keine Diskussion.

Die Ausstellung „Hollein Calling! Architektonische Dialoge“ im Architekturzentrum Wien nimmt diesen Faden auf. Hollein starb am 24. April 2014, er hinterließ ein umfassendes gebautes und intellektuelles Lebenswerk. Das Kuratorentrio Lorenzo De Chiffre, Benni Eder und Theresia Krenn wählte 15 Schlüsselbauten daraus aus und stellte sie 15 Projekten von zeitgenössischen europäischen Büros gegenüber. Diese treten wechselweise miteinander und mit Holleins Werk in einen Dialog. 

Die Exponate ermöglichen es, Bezüge herzustellen. „Für uns war er ein Gegenüber“, so Theresa Krenn. „Wir entdeckten ihn in seinen gebauten Projekten wieder.“ Die Ausstellung ist mit Werktischen auf Böcken wie der Zeichensaal einer Architekturfakultät gestaltet: ein kreativer Denkraum. „Wir wollten einen Anlass finden, über Architektur zu diskutieren“, sagt Lorenzo De Chiffre.

Die Auswahl der Büros wirkt willkürlich, der vorgeschlagenen Parcours mitunter ziemlich platt und sehr konstruiert. Wie beispielsweise der Verweis der Palmen in Holleins Verkehrsbüro (1976 – 1978) zu den sehr reduzierten Palmen-Duschen im Centre Aquatique Intercommunal in Balsan'éo im französischen Châteauroux. 

Die Gegenüberstellung der Vitrinen von Holleins Glas- und Keramikmuseum in Teheran und einer Ausstellungsgestaltung von Asli Çiçek in Brüssel hingegen scheint sehr schlüssig. Sobald man alle Objekte in der Zusammenschau betrachtet und beginnt, nach Querverweisen und Analogien zu suchen, macht es wirklich Spaß und führt zu erstaunlichen Erkenntnissen.

Zwei Jahre nach Holleins Ableben 2016, kaufte das Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) seinen Nachlass an und übergab ihn dem Architekturzentrum Wien (AzW). Holleins archivarisches Vermächtnis war von epischem Ausmaß: 263 Paletten voller Pläne, Collagen, Fotos, Zeichnungen, Skizzen, Modellen in allen erdenklichen Maßstäben und Materialien langten im Archiv des AzW in Möllersdorf ein und stehen seither der Forschung offen. „Zu Lebzeiten haben Architekten auch die Deutungsoberhoheit über ihr Werk“, so Monika Platzer, die Leiterin der Sammlung des AzW.  Hollein war ein begnadeter Selbstdarsteller, der die Rezeption seiner Person und seines Werkes genau lenkte. Archive aber sind unbestechliche, historische Quellen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven befragen lassen – genau das geschieht.

Das größte Faszinosum dieser Ausstellung sind die Originale aus dem Archiv. Die kondensierte Zeit, die Hingabe und der Detailreichtum der handgezeichneten Pläne, Modelle, Fotos, Collagen und Skizzen aus Holleins Archiv entwickelt einen Sog, in dem man sich verlieren kann. Diese Originale legen eine Fährte in Holleins Gedankenwelt. Sie machen Projekte, die es nicht mehr gibt (wie das Verkehrsbüro) und eine Planungskultur, die sich den Luxus von Detailentwicklung leistete, wieder gegenwärtig. So ruft ein Arbeitsmodell aus Karton die opulente räumliche Vielfalt des Haas-Hauses mit seinen Galerien, Lufträumen und Brücken in Erinnerung.

Die Ausstellung beginnt mit Holleins erstem Werk, dem Kerzengeschäft Retti am Wiener Kohlmarkt. Hollein hatte durchaus Sinn für Theatralik, er dachte an jedes Detail und inszenierte auch die Baustelle. Ein Modell des Bauzauns zeigt höchst attraktive Astronautinnen. Es stimmt auf das futuristisch anmutende Ambiente des Geschäftes ein, das ausgerechnet so ein archaisches Produkt wie Kerzen verkauft. Selbstbewusst reichte Hollein sein Erstlingswerk beim renommierten Reynolds Memorial Award des American Institute of Architects (AIA) ein, das Foto hatte Franz Hubmann gemacht. Gerade einmal 17m2 groß, wurde es 1966 prompt mit dieser damals wichtigen Auszeichnung für Architektur geehrt. Diesem Projekt steht eine kleine, sehr raffinierte Arbeit von OFFICE von Kersten Geers und David Van Severen gegenüber. Ein absoluter Illusionsraum aus verspiegelten Flächen, das vom Fotografen Bas Princen so fotografiert wurde, dass es ganz abstrakt wird. 

Es ist das Foyer einer Anwaltskanzlei. 

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