28/03/2024

Seitdem die Bundesregierung zur Unterstützung der strauchelnden Bauwirtschaft ein Subventionspaket von 2,2 Milliarden Euro beschlossen hat, ohne daran allerdings grundlegende Maßnahmen der Klimaverträglichkeit festzumachen, werden Themen wie Leerstandbekämpfung, Bodenversiegelung, Widmungsfragen oder Bodenverbrauch intensiv diskutiert. So auch im Rahmen des jüngsten Turn On Architekturfestivals in Wien.

28/03/2024

Turn On Talk, Bodenverbrauch reduzieren, aber wie? Mit Robert Temel, Elias Molitschnig, Fabian Wallmüller und Renate Hammer

©: TURN ON
©: TURN ON

Die Bodenversiegelung schreitet österreichweit weiter voran: pro Tag werden etwa 12 Hektar meist fruchtbaren Bodens verbaut. Auch 2024 ist das Einfamilienhaus die beliebteste Wohnform vieler Österreicher:innen. Die Erfolge im Kampf um den Schutz unseres Bodens sind überschaubar, die Bundesländer verweigern es, die vom Bund gewünschte Obergrenze von 2,5 Hektar zu berücksichtigen. Die von der Regierung geplante Bodenstrategie droht kläglich zu scheitern.

„Zeitenwende“ lautete das diesjährige Festivalthema. An beiden Tagen wurden Projekte vorgestellt, die allesamt einen Versuch wagen, den aktuellen Herausforderungen, gerecht zu werden und Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen. Die Frage „Bodenverbrauch reduzieren, aber wie?“ suchten Moderator Robert Temel und die Architekt:innen – Renate Hammer, Elias Molitschnig und Fabian Wallmüller beim Turn On Talk zu beantworten. Temel, Architekt und Sprecher der Plattform Baukulturpolitik, suchte die Gesprächspartner mit ein paar beunruhigende Fakten einzustimmen: 

Der Dauersiedlungsraum, also jene Fläche, die grundsätzlich potenziell für Landwirtschaft, Besiedlung und Verkehr nutzbar ist, umfasse in Österreich mit zirka 39 Prozent nur etwas mehr als ein Drittel der gesamten Landesfläche, hiervon sei fast ein Fünftel verbraucht, also bereits in Anspruch genommen und nicht mehr für Landwirtschaft verfügbar. Mehr als die Hälfte dieser in Anspruch genommenen Fläche sei auch versiegelt. Trotz Baulandüberhang – bisher nicht bebautes Bauland im Ausmaß von zirka 25 Prozent – würden weiterhin laufend neue Flächen umgewidmet und verbraucht – aktuell wie erwähnt 12 Hektar pro Tag. Der Verlust wertvollen Ackerlandes erhöhe die Gefährdung durch Naturkatastrophen. Dennoch schreite die Zerstörung wertvoller Kulturlandschaft voran. Und jeder Neubau auf der grünen Wiese hätte einen Dominoeffekt – bedeute neue Verkehrsflächen, neue Infrastruktur, neue versiegelte Bodenflächen.

Wie müssen wir in Zukunft planen und bauen, um weniger Boden in Anspruch zu nehmen?

Für Renate Hammer ist die landwirtschaftliche Fläche am besten geeignet, um Bewusstsein für die dringliche Situation zu schaffen: Denn „auf 54 x 54 Meter pro Person muss unsere Ernährung sichergestellt werden, das sind etwa 2.900 Quadratmeter. Und wir wissen, dass angesichts der aktuellen Klimaentwicklungen, der Ertrag auf diesen Flächen nur rückläufig sein kann“. Planende und Gestaltende müssten ihre Verantwortung wahrnehmen und überlegen, wie Leerstand effektiv und kreativ genutzt werden könnte.

Längst sollte das Thema Bodenverbrauch in unser aller Köpfe Einzug gehalten haben, meint Fabian Wallmüller. Die Zivilgesellschaft sei gefordert, sich einzubringen und nicht alles der Politik zu überlassen. So sei etwa der aktuelle Baulandüberhang Grund genug, über einen Widmungsstopp für Bauland nachzudenken. Vorbild könnte die Schweiz sein, die sich bereits 2013 in einer Volksabstimmung dazu bekannt habe, Versiegelung einzudämmen. Bundesweit schreiben strenge Regeln den Gemeinden Widmungsstopps vor oder Bauland sogar rückzuwidmen. „Ein bundesweites Raumordnungsgesetz wie in Deutschland oder in der Schweiz wäre ein Korrektiv, das dem Wildwuchs in den Bundesländern einen Riegel vorschieben würde“, so Wallmüller.

Siedlungsstrukturen in Österreich seien auch ein Abbild der Baulandspekulation, die einen wichtigen Anteil an der Umwidmungspraxis hat. „Gewinne aus der Baulandwidmung sollten nicht mehr zu 100 Prozent den Grundeigentümern zugutekommen, wenn durch Umwidmung zu Bauland auch Wertgewinne erzielt werden.“ Wallmüller sieht den Planwertausgleich als mögliches Instrument. „Im Zuge einer Umwidmung in Bauland durch die öffentliche Hand könnte ein gewisser Anteil des Verkaufswertes an die Gemeinde abzuführen sein, um diese Gelder sinnstiftend einzusetzen. Das könnte auch bedeuten, notfalls Bauland in Grünland rückzuwidmen“, führt Wallmüller an. Aktuelle Bedenken in Bezug auf das Eigentumsrecht wären zu prüfen.

Elias Molitschnig sieht die Raumplanung als essenzielle Komponente. Es gehe um Zuständigkeiten. Gemeinderatsmandatar:innen müssten sich ihrer Entscheidungen viel bewusster werden, und die Länder müssten ihrer Rolle als Aufsichtsbehörde nachkommen. „Es braucht eine starke Beratung, etwa in Kleingemeinden, um Potenziale und Möglichkeiten aufzuzeigen. Architekt:innen, vor allem jene, die sich mit dem Bestand befassen, spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie könnten aufzeigen, was gestalterisch, räumlich, wirtschaftlich und sozial besser ist. Damit könnte man mehr erreichen als mit Gesetzesänderungen. Es geht darum, Mut zu machen. Ein bodensparendes Ziel wäre es übrigens auch, Fördergelder jenen zu geben, die nicht bauen“.

Sind Bodenschutz und Flächenwidmung bei den Gemeinden, richtig positioniert?

„Es gibt kein Recht auf Widmung, aber ein Recht zu bauen. Wenn Gemeinden das verhindern möchten, wird als letzte Option das Ortsbild herangezogen“, sagt Molitschnig, der lange in einer Kärntner Gemeinde im Gemeinderat saß. „In der Ortsbildkommission wird dann über die Bauhöhe oder gestalterische Aspekte diskutiert, obwohl der ganze Bau falsch ist. Wenn die Rückentwicklung ein zentrales Ziel ist, müsste man zwei Drittel der Flächen für immer sperren. Entscheidungsträger sollten über ihre Pflichten und Haftungsfragen aufgeklärt werden. Es verwundert, wie gering belangbar diese für Entscheidungen sind, die für Generationen katastrophale Auswirkungen haben können“, ergänzt Molitschnig.

Fabian Wallmüller ist einer der Initiator:innen der Petition Klimaplan, die einen Fahrplan der Bundesregierung zur Klimaneutralität fordert. Was wäre aus Sicht der Petition die Aufgabe der Bundesregierung?

Problematisch sei, so Wallmüller, dass die Länder für Gesetze und Kontrolle selbst verantwortlich sind. „Eine bundesweite Raumordnung ist die richtige Lösung.“ Ein großer Anteil der derzeit 653.000 Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung böte Platz für zirka 1,3 Mio Menschen. „Man muss sich mit dem Umbau von Bestand auseinandersetzen und einen gewissen Druck erzeugen, um Leerstand nutzbar zu machen – etwa über die Leerstandsabgabe, die Tirol, Vorarlberg, Steiermark und Salzburg mittlerweile praktizieren. Österreichweit fehlen ein entsprechendes Regulativ und der entsprechende politische Wille“, merkt Wallmüller an. Ortskerne stärken und Bestand nachnutzen, bedeute eine Anpassung der Bauordnung. Man müsse Vorgaben, die für Bestandsobjekte Gültigkeit haben, auch im Umbau anerkennen. Eine Zuständigkeit des Bundes würde Ländern wie Gemeinden sehr viel Druck nehmen.

Was müssten die Länder tun, um den Bodenverbrauch zu reduzieren?

„Als Land würde ich mich dagegen verwehren, für Ernährungssicherheit zuständig zu sein“, sagt Renate Hammer. „Das ist der Hebel schlechthin. Man müsste als erste entscheidende Maßnahme jene Flächen unter Schutz stellen, die diese Ernährungssicherheit garantieren. Die Leerstandsabgabe könnte man mit einem anderen Modell flankieren“, so Hammer und führt „sicher vermieten“ an, das in Vorarlberg erfolgreich funktioniert: „Als Teilnehmer:in an diesem von einer gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft und der Vorarlberger Eigentümervereinigung ins Leben gerufenen Modell, erkläre ich mich bereit, meine leerstehende Immobilie, an diese Vereinigung, die jeglichen Aufwand übernimmt, zur Vermietung zu übergeben. Ich muss mich um nichts kümmern, aber den absolut günstigsten Mietpreis akzeptieren. Eine hohe Leerstandsabgabe würde die Umsetzung dieses Modells anstoßen“, führt Hammer aus.

Welchen Beitrag können Architekt:innen bei dieser Transformation in Richtung Bodenschutz leisten?

Eine Stimme aus dem Publikum antwortet prompt: „Aufträge ablehnen zum Beispiel.“

Renate Hammer setzt nach: „Es gibt zugegeben vieles, von dem man sagen müsste, das darf man eigentlich nicht machen. Ich möchte aber zwei positive Modelle anführen, die man in Österreich gerade umzusetzen versucht. Das deutsche ‚Wächterhaus‘, wobei Einmieter ein ungenutztes oder schwach ausgemietetes Einfamilienhaus zum Betriebskostenanteil übernehmen und sich verpflichten, das Haus auch baulich instand zu halten. Das ‚Ausbauhaus‘ hingegen sieht vor, dass leerstehende oder nur teilvermietete Mehrfamilienhäuser von Menschen bewohnt und verbessert werden können, die sich das Wohnen sonst nicht leisten können. Zwei Möglichkeiten, leistbaren Wohnraum sicherzustellen, am besten unter Begleitung kluger Architekt:innen“, schlägt Hammer vor.

„Wir Architekt:innen müssen Position beziehen, wenn Dinge grundsätzlich falsch sind“, meint auch Fabian Wallmüller. „Natürlich sind wir als Auftragnehmer:innen immer in der blöden Situation, eine fertige Bauaufgabe gestalten zu müssen. Wir sollten vermehrt in die Projektentwicklung gehen, um prinzipiell dort anzusetzen, wo die wichtigen Entscheidungen gefällt werden“, merkt er an. „Eine Möglichkeit wäre es, öffentliche Räume und die Mobilität mit der Nachverdichtung gebauter Siedlungsstrukturen zu stärken, dazu gehört auch die Aufstockung von eingeschoßigen Gewerbebauten, die eingeschoßig viel Fläche verbrauchen. Weil die Städte sich immer mehr ausdehnen, wachsen diese Strukturen in innerstädtische Lagen. Eine Aufstockung im Sinne eines Zusammenspiels von Wohnen, Einkaufen und Arbeiten wäre sinnvoll. Es geht auch um die Frage der produktiven Stadt. Wir sollten das Gewerbliche in der Stadt belassen, aber verdichten und damit die 15 Minutenstadt umsetzen. Genau darin müssen wir Expertise entwickeln“, präzisiert Wallmüller.

„Architekt:innen haben die zentrale Aufgabe zu verändern und können viel bewegen“, meint Elias Molitschnig abschließend. „Förderungen könnten davon abbringen, auf die grüne Wiese neu zu bauen, wenn eine Verdichtung im Bestand attraktiver wird. Und hier braucht es Architekt:innen, um gelungene Beispiele aufzuzeigen und einen Paradigmenwechsel herbeizuführen.“

Die Gesprächsteilnehmer:innen:

Mag arch. Robert Temel, Moderation. Der studierte Architekt ist Architektur- und Stadtforscher und befasst sich mit der Nutzung und Herstellung von Architektur und Stadt mit Schwerpunkt auf Wohnbau, Stadtplanung und öffentlichen Raum.

DI Dr. techn. Renate Hammer, Architektin. Mit Peter Holzer Gründerin des „Institute of Building Research and Innovation“ in Wien. Sie war lange Jahre Sprecherin der Plattform Baukulturpolitik und betreute etwa den 2017 erschienenen dritten Baukulturreport, in dem anhand einer Analyse bisheriger Bundespolitik Szenarien der baukulturellen Entwicklung dargestellt wurden, auch zum Thema Bodenverbrauch.

DI Elias Molitschnig, Architekt, war jahrelang aktiver Betreiber der Baukulturthematik im Amt der Kärntner Landesregierung. Er initiierte und begleitete viele vorbildhafte Projekte. In Kärnten erarbeitete er baukulturelle Leitlinien und betrieb eine erfolgreiche Neuausrichtung auf baukulturelle Qualität. Aktuell ist er Leiter der Abteilung Architektur, Baukultur und Denkmalsschutz im Kulturministerium.

Fabian Wallmüller, von Stoiser Wallmüller Architekten in Wien und Graz, hat 2023 zusammen mit den Architekt:innen Petra Kickenweitz und Wolfgang Feyferlik die Petition Klimaplan initiiert, in der eine Reihe von Forderungen zum Klimaschutz an die Bundesregierung gerichtet wurden, u.a. Maßnahmen zur Eindämmung der Zersiedelung. Die Petition wurde von unzähligen Architekt:innen unterzeichnet, um klar zu machen, dass die Berufsgruppe hinter der nötigen ökologischen Transformation steht.

Karin Tschavgova

.... haben 2023 die Petition Klimaplan initiiert, in der eine Reihe von Forderungen zum Klimaschutz an die Bundesregierung gerichtet wurden,..... Und wie war die Reaktion der Bundesregierung? Hab ich da auf GAT etwas übersehen?

Fr. 29/03/2024 14:46 Permalink
stadtaffe

Antwort auf von Karin Tschavgova

...wird man fündig. Zur Nachlese zB.:
Architekt:innen schließen sich dem Klimaprotest an (20.2.2023)
Bundesministerin antwortet auf Klimaplan-Petition (2.3.2023)
Mehr Maßnahmen zum Klimaschutz (23.11.2023)
Wo ist der Klimaplan der Regierung? (5.3.2024)

Di. 02/04/2024 14:01 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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