22/04/2021

gelungen | nicht gelungen 8.2

NICHT GELUNGEN. Der Unort Pfauengarten, Teil 2 von 3

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Artikelserie von Bernhard Hafner zum Thema Pfauengarten in Graz,
Bestand, Nutzung, Planung und Bebauung

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Pichler & Traupmann Architekten überließen dem Verfasser der Artikel 8,1, 8.2 und 8.3 die Bildrechte für ausgewählte Schaubilder/Fotos nicht. Die gezeigten sind Ersatz dafür.

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22/04/2021

Abb. 2: Bebauung Pfauengarten, Blick vom Schloßberg (Uhrturm), Büro- und Wohngebäude rechts, Hotel links. Die Aufnahme ist in die Längsachse des Karmeliterplatzes beim Durchschreiten des Tores vom Schloßberg gedreht. Rätsel für Leser: Gibt es auf dem Foto städtebauliche Schermichnixartefakte und, wenn ja, wie viele und welche?

©: Barbara Hafner

Abb 3: Blick vom Tordurchgang am Schloßberg zur Pfauengartenbebauung.

©: Barbara Hafner

Abb 4: Masterplan Weltkulturerbe, der weiße Fleck zwischen Paulustor- und Burgbastei entlang der Kurtine markiert das Grundstück der Bebauung des erweiterten Pfauengartengeländes.

©: Stadt Graz

Abb. 5: Bebauung Pfauengarten, Blick vom Karmeliterplatz mit Resten des Durchblicks zum Stadtpark. Warum die Sprayschrift BITCH ASS?

©: Barbara Hafner

Abb. 6: Die Bebauung im Stadtgefüge von Graz: Innenstadt, Schloßberg, Stadtpark. Bildquelle siehe Link google.com/maps

©: Google Maps

NICHT GELUNGEN. Der Unort Pfauengarten, Teil 2 von 3
Bebauung: Hotel, Büro- und Wohngebäude

Die Architektur der Bebauung Pfauengarten
Hier soll die Qualität des Projektes der Architekten Pichler & Traupmann, Wien, von zwei Seiten betrachtet werden. Vorweg allerdings dies: Der städtebauliche Aspekt hat immer einen entscheidenden Anteil am architektonischen Gelingen von Bauen in der Stadt.

1. Der städtebauliche Aspekt
Welch großartige Raumfolge war das doch in Graz. Sie reichte vom Uhrturm am Schloßberg – was immer man gegen seine Architektur haben mag, die Aussicht von dort ist großartig – über eine Lichtung mit von Bäumen gesäumten Serpentinen zum Ort, wo Paulustor-, Sporgasse und Karmeliterplatz einander treffen. Hier tritt man durch einen breiten Torbogen hinaus in die Stadt, vor sich ist der seitlich von Gebäuden begrenzte Karmeliterplatz, Fußgängern vorbehalten, davor der Pfauengarten, sein Erwecken als gestalteter Naturraum samt Pfauen erwartend. Dahinter die Kronen von Bäumen des Stadtparks sowie, weiter im Osten, das Hügelland. Nach dem Abstieg vom Kamm des Berges über Natur- und bebauten Raum steht man der Stadtbefestigung, vor sich unten der Stadtpark. Durch Äste und Belaubung der die Glacisstraße säumenden Platanenallee erkennt man ausschnittweise die Bauten an der Glacisstraße als scharf gezogenen Rand der neuen, gründerzeitlichen Stadt. Welch ein räumliches Geschehen, welch ein Kleinod der Stadt! Wer konnte je daran denken, es zu zerstören? Vom deutlich höher gelegenen Platz zwischen Büro-, Wohnungs- und Hoteltrakt ist die Stadtmauer nicht sichtbar (Abb. 2). Die Ursache ist ein Ergebnis der Planung: „Das bestehende Niveau, das unter der Krone der historischen Befestigungsmauer liegt, wird mit einem neuen Plateau überbaut“ (6).
    Zudem muss man den Blick beim Durchschreiten des bestehenden Torbogens vom Schloßberg aus erst in die Längsachse des Karmeliterplatzes drehen, was die Sicht auf den Stadtpark größer erscheinen lässt. Und doch dominiert auch in dieser Sicht das Büro- und Wohngebäude der Bebauung (Abb. 3).
    Es war aber eine Forderung des städtebaulichen Gutachtens zu Standortfrage und Bebauung des Pfauengartens, dass dieser in der Breite des Karmeliterplatzes zu erhalten sei. Im Siegerprojekt des Trigon Museum Wettbewerbes vom 1988 blieb diese Raumfolge erhalten. Das Museum bleibt unter der Erde, nur ein Eingangsbauwerk bleibt am Knick der Stadtmauer zwischen Paulustor- und Burgbastei an der Oberfläche.
    Ich halte die Schlussfolgerung der Standortuntersuchung von 1988 für richtig, nämlich, dass der Pfauengarten in der Breite des Karmeliterplatzes bebauungsfrei zu halten sei. Ich halte eine Bebauung, die die räumliche Durchgängigkeit des Grün- und Freiraumes maßgeblich beeinträchtigt, für falsch. Es betrifft eine grundsätzliche Frage, der sich jeder Architekt stellen muss: Wie reagiere ich auf örtliche Gegebenheiten, nicht nur auf Zweck und Raumprogramm oder wegen persönlicher Vorstellungen von Gebäudeästhetik. Den Genius Loci für wichtiger zu halten als Maximierung wirtschaftlichen Nutzens ist kein Investoren-Bashing.

Die Bebauung des ehemaligen Pfauengartens ist städtebaulich eine architektonische Fehlleistung. Bleibt da noch etwas über die Architektur der Gebäude zu sagen. Versuchen wir es.

2. Die architektonische Qualität
Immer geht es um das Was und um das Wie. Was mache ich? Was ist die geistige und baukünstlerische Grundlage meiner Arbeit? Wie sie in der Zeit sehen, wie im Raum reagieren, und zwar grundsätzlich, nicht nur von Fall zu Fall. Es betrifft etwas, was in allen Fällen vorhanden ist, eine Art durchgängige Linie.
    Was lässt sich zum Was sagen, zum Programmatischen, außer dass es den Bezug zu einer großartigen und einmaligen stadträumlichen Situation außer Acht lässt? Einer Situation, die sowohl den Natur- als auch den gebauten Raum betrifft.
    Die Entscheidung der Architekten, die vom Schloßberg zum Stadtpark reichende Raumfolge stark zu beeinträchtigen und damit den Entwurf der Bebauung zu entwickeln, ist das eine. Es ist eine konzeptionelle Voraussetzung, dass Bauwerke als große Bauwerke gelten können. Ich sage Voraussetzung, denn das andere ist die baukünstlerische Qualität des Gebauten. Denn, um es mit Max Weber zu sagen: „Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit“. Handwerkliches Können: Die Arbeit des Architekten als eines vielfältige Räume schaffenden Baukünstlers ergibt sich aus und ergänzt den Einfall. Ein Schaffen abwechslungsreichen architektonischen Raums als etwas Erlebbares, Unerwartetes, sogar Staunenswertes. Raum streicheln, statt schlagen.
    Das Raumprogramm verlangt einen Bereich für Hotel und Handel und einen für Wohnen. Die Wahl der Architekten fiel auf drei frei stehende Baukörper gleicher Materialwahl und polygonaler Form. Der des Büro- und Wohngebäudes bietet dem Karmeliterplatz die Stirn und nimmt den Großteil des Freiraums ein, der sich vom Karmeliterplatz bis an die Stadtbefestigung zum eigentlichen Pfauengarten erstreckt. Er dominiert in Flächenkonsum und Gebäudehöhe von fünf Geschoßen mit einem mächtigen Dachkörper im Ausmaß von bis zu zwei Geschoßen. Die zwei Baukörper zwischen diesem Freiraum und der Sauraugasse im Norden sind das viergeschoßige Hotel.
    Hier ist etwas zur östlichen Begrenzung des Pfauengartens zu sagen. Sie ist die Stadtmauer zwischen der Paulustorbastei im N und der Burgbastei im S, wo es nördlich der Längsachse des Karmeliterplatzes einen Knick gibt, an dem die später errichtete Kurtine beginnt und bis zur Burgbastei reicht (Abb. 4). Er ist historisch bedeutsam und für die Orientierung sowohl im Stadtpark als auch im Freiraum des erweiterten Karmeliterplatzes wichtig, da die Stadtmauer der Paulustorbastei und die Kurtine diese Räume an beiden Seiten begrenzt. Um ihn optisch zu erfassen, muss man den Blick vom Schnittpunkte der Achse des Karmeliterplatzes und der Zufahrt vom Freiheitsplatz leicht nach Norden drehen. Im Projekt für das Trigon-Museum der Architekten Schöffauer und Tschapeller lag das Zugangsbauwerk genau an die Stelle des Knickpunktes, dort wo der Zugang über dem unbebaut bleibenden Pfauengarten und dem tiefer liegenden Stadtpark war. Es gab freie Sicht auf den gesamten Verlauf der Kurtine.
    In der Pfauengartenbebauung der Architekten Pichler & Traupmann sind sowohl die Kurtine als auch ihr Verlauf und Knick vom erwähnten Schnittpunkt aus nicht einsehbar. Der Grund dafür liegt in der dominanten Stellung des Büro- und Wohngebäudes und der Höhenentwicklung des neuen Platzes, der durch drei aufeinanderfolgende Freitreppen zugänglich ist (Abb. 5, Abb. 2).
    Zur Frage der Einordnung eines Entwurfes in die Umgebung gehört die Frage, ist die Umgebung der Einordnung des Entwurfes wert? Dient sie städtebaulicher und baukünstlerischer Qualität? Dies ist eine grundsätzliche Frage, denn große Meisterwerke entstanden auch ohne solche bzw. unabhängig von solcher Einordnung. Beide Fragen beantworte ich mit Ja. Der Entwurf des Trigon-Museums von 1988 bestätigte dies eindrucksvoll, indem er den Pfauengarten als Freiraum erhielt und das Museum unterirdisch anordnete, wo Kunstwerke vor UV-Licht geschützt sind. Ein anderes Beispiel ist Louis Kahns Entwurf für das Salk Institute in La Jolla, Kalifornien. Hoch über dem Pazifik auf einer eingeebneten Kuppe mit Aussicht auf ihn gelegen, stehen zwei Baukörper mit tiefen Fassaden parallel auf einem befestigten Platz einander gegenüber. Ein schönes Bauwerk. Was es aber besonders auszeichnet, ist eine wasserführende Rinne mit Quellfassung am oberen Rand das Platzes und Mündung in einem Brunnen an der etwa 3 m hohen Kante am entgegengesetzten Rand. Von dort fällt das Gelände mittelsteil zum Pazifik ab. Wenn man im Platz an der Rinne steht, scheint das Wasser direkt in den Pazifik zu fließen. Diese Gestaltung hat keine Entsprechung im Raumprogramm, es entspringt einer Idee von Ort, des Genius Loci, der Idee der Erhöhung der Qualität des Bauwerkes durch eine Reverenz für den Ort.
    Nichts davon steuert das Projekt von Pichler & Taupmann Architekten, obwohl die stadträumliche Qualität, die Ausformulierung des öffentlichen Raums sowie die räumliche Beziehung und Einfügung in den Altbestand und der Genius Loci als weitere wichtige Entwurfskriterien genannt sind. Sie entschlossen sich vielmehr, dem Kriterium einer imagefördernden Qualität mit Adressbildung den Vorzug zu geben. Sie tun dies mit der Anordnung eines dominanten Baukörpers für das Büro- und Wohngebäude und dem ihm gegenüberstehenden, zwei Baukörper umfassenden Hotel. Sie sollen und stehen als Solitäre da, was durch ihren polygonalen Grundriss betont wird: Seht her, so was gibt es in der Stadtkrone von Graz nur hier! Der Platz zwischen diesen beiden Gruppen liegt gegenüber dem Karmeliterplatz um etwa 2,50 m höher und damit deutlich über der Oberkante der Kurtine. Er ist über drei aufeinanderfolgende Freitreppen mit insgesamt 22 Stufen erreichbar. Vom Karmeliterplatz wirkt das wie eine Kulisse, was dadurch betont wird, dass die Baukörper weder in Form noch in Höhe und Materialwahl eine Entsprechung in der Umgebung und Innenstadt haben.
    Eine Unbekümmertheit der Baukörper der Umgebung gegenüber ist, wie gesagt, grundsätzlich möglich und grundsätzlich nicht verwerflich. Im gegebenen Fall sind sie aber Fremdkörper, deren Materialwahl samt Farbe Headquarters von Firmen entsprechen, darunter solchen des Finanzwesens. Wurde bereits beim Entwerfen schon an die Einreichung für den Mies van der Rohe Preis gedacht, haben doch die rostbraunen Metallfassaden eine Ähnlichkeit mit Mies van der Rohes Wolkenkratzer in Chicago, etwa dem Seagram Building? Nun, in die Nominierung schaffte es das Projekt doch.

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(6) Beantwortung einer Anfrage an Fleissner Partner von Paul Fleissner, MBA, vom 25.09.2020

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