20/04/2021

Schau doch! 06
Kolumne von Peter Laukhardt

Kampfzone. Die Hilmteichstraße, Teil 3

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Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

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20/04/2021

Bild 1: Situation (oben: Skizze des Autors) und städtebauliche Planungslage des Viertels (unten li: Flächenwidmungsplan; unten re: Räumliches Leitbild)

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Hilmteichstraße 10 ("Villa Alkier" vor dem Abbruch)

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Hilmteichstraße 30 ("Landhaus Koiber," vor dem Abriss)

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Hilmteichstraße 7 ("Villa Reimann", Eingang)

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Hilmteichstraße 22 ("Villa Pramberger" mit modernem Zubau)

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Hilmteichstraße 1 ("Schanzelwirt", links) und Riesstraße 1 ("Pförtnerhaus", rechts) sowie Blick auf den Chirurgie-Neubau

©: Peter Laukhardt

Kampfzone. Die Hilmteichstraße, Teil 3

Der letzte, südöstlichste Teil der Hilmteichstraße ist in der Überschrift als „Kampfzone“ bezeichnet. Die Skizzen in Bild 1 sollen zeigen, wie hier auf die heterogene Situation auch noch verschiedene Planungsgrundsätze anprallen, die zu spät und daher vergeblich versuchen, Ordnung und Balance zu gewinnen, wo bereits Chaos herrscht.
Es handelt sich immerhin um ein Stadtgebiet, das früher vom größten Jugendstil-Komplex Mitteleuropas geprägt wurde, dem 1912 eröffneten Landeskrankenhaus. Abgesehen von der 1853 erbauten ehemaligen Villa Kleinoscheg (heute als „Weiße Villa“, Schanzelgasse 33, nicht mehr erkennbar), dem Landhaus Kloiber (Hilmteichstraße 30, erbaut 1861 und der Villa Hilmteichstraße 16, erbaut 1881, so begann erst mit der Planung des Krankenhausbaus eine intensiven Bebauung in seiner Umgebung. Bezeichnend dafür ist, dass sich der Leiter des LKHs gleich daneben ein repräsentatives Heim erbaute (Hilmteichstraße 10). In weiterer Folge entstand ein überdurchschnittlich elegantes Villenviertel zwischen St. Leonhard und Mariagrün mit dem Erholungsgebiet Hilmteich und Leechwald in der Mitte.

Ein Rückblick auf die letzten Jahre zeigt, wie böse diesem Teil des Villengebiets bereits mitgespielt wurde. Es begann mit Hilmteichstraße 10: Die schöne Villa Alkier (Bild 2) stammte aus der Jahrhundertwende und diente dem Vernehmen nach dem Direktor des Landeskrankenhauses als Wohnsitz. Später war u. a. das Generalkonsulat der Sozialistischen Foederativen Republik Jugoslawien hier untergebracht. Der Denkmalschutz wurde 2007 aufgehoben, ohne dass das Bundesdenkmalamt die Gründe nannte. Wohl höheres öffentliches Interesses für den Neubau von Klinikgebäuden des Landeskrankenhauses begründete die Beseitigung der Villa. Im Mai 2012 ist das repräsentative Gebäude dem Erdboden gleichgemacht worden.

Ging der Abbruch der Villa Alkier und der Nachbarvilla Hilmteichstraße 16 noch weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtet über die Bühne, so war der Verlust des nächsten Objekts bereits ein Thema, das 2016 über viele Monate hindurch starke Aktivitäten hervorrief, ging es doch um das für Herma Albrecher-Leskoschek erbaut Haus Hilmteichstraße 24. Es war ein für Graz einzigartiges Denkmal neuen Bauens mit der Devise Licht, Luft und Öffnung, das 1937/38 von Herbert Eichholzer als sein Hauptwerk entworfen worden war und voller Erinnerung an diese Zeit und an den von den Nazis hingerichteten Grazer Architekten und Widerstandkämpfer dastand – fast noch in seiner ursprünglichen Substanz, aber sicher noch immer in seiner unvergleichlichen Wirkung. Wer wie ich dem Zauber des Wohnhauses noch nachspüren durfte, konnte überhaupt nicht verstehen, warum der Versuch, für den Bau Denkmalschutz zu erreichen, vergeblich blieb. Auch die in ein wunderbares Buch gegossenen Bemühungen, Teile als Gedächtnisraum in den geplanten Neubau zu integrieren, sind trotz diverser Zusagen offenbar bisher erfolglos geblieben. Als Erinnerung bleibt ein zu Herzen gehendes Abschiedsfest – siehe Artikelempfehlung unten: Architektur und Zeitgeschichte: ein Anlass.
Die nächste Schandtat ließ nicht sehr lange auf sich warten. Das 1861 errichtete, durch feine Holzarbeiten und einen schönen Garten ausgezeichnete Landhaus Kloiber bei der Krankenhaus-Einfahrt (Bild 3) war das nächstes Opfer. Obwohl vom Krankenhaus-Management zunächst verlautete, dass das Haus eine Funktion im Klinik-Bereich übernehmen könnte, las man auf der Plattform baunachrichten.at plötzlich von einem Projekt mit 32 Wohneinheiten und einer Tiefgarage. Sieben Tage vor Weihnachten 2017 wurde das Haus an einem Tag dem Erdboden gleichgemacht! Bis heute ist von einem etwaigen Wohnprojekt nichts zu erkennen, das Areal dient seither als Baulager.

Das Bundesdenkmalamt hatte den drohenden Verlusten aber inzwischen nicht untätig zugesehen und versucht, möglichst viel der Bausubstanz des Viertels zu retten. Die beiden bemerkenswerten sezessionistischen Villenanlagen Hilmteichstraße 5 (Villa Reimann, Bild 4) und 22 (Villa Pramberger, Bild 5) wurden unter Denkmalschutz gestellt. Im ersten Fall war ein Kompromiss nötig, um dem Erhalt des Hauses eine wirtschaftliche Basis zu geben: es kam zu einem modernen Zubau, die Andockung an das Haupthaus zeugt aber doch von einer gewissen Rücksichtslosigkeit.
Wie groß sind eigentlich die Chancen, dass hier außer den beiden denkmalgeschützten Villen noch die Charakteristik dieses Viertels überlebt? Das nach mehreren Jahren heftiger Diskussionen mit Planern und Altstadt-Schützern 2019 rechtskräftig geworden Räumliche Leitbild (RLB 1.0) war als Schutz-Instrument für das Stadtbild gepriesen worden.
In dem behandelten Bereich hat man folgende Bestimmungen getroffen: a) das südliche Areal gehört bis zur Schanzelgasse zur Kategorie 7 (Villenviertel und offene Bebauung mäßiger Höhe), b) das nördliche Areal zwischen LKH und Leechwald (Anton-Leb-Gasse) ist 11/7 (Öffentliche Einrichtungen/Villenviertel und offene Bebauung mäßiger Höhe).  
In den Gegenüberstellungen (Bild 1) zeigt sich die Inkompatibilität beider Planwerke zueinander und im Verhältnis zum Bestand. Die nun denkmalgeschützte Villa Hilmteichstraße 22 soll flächenwidmungsmäßig in ein Aufschließungsgebiet für Kernfunktionen mit einer Dichte bis zu 1,0 gehören? Die denkmalgeschützte Villa Hilmteichstraße 7 soll in ein Kerngebiet bzw. Wohngebiet mit Dichte bis zu 1,5 passen? Was haben diese Widmungen überhaupt in einem Villenviertel gemäß RLB verloren? Dass die Wohnblöcke zwischen Leechgasse und Schanzelgasse auch als Villenviertel ausgewiesen sind, vervollständigt noch das unharmonische Bild. 
Was die Ausweisung des Bereichstyps 7 im Vergleich zur möglichen Dichte wirklich wert ist, wird sich in Kürze bei Hilmteichstraße 19 zeigen. Im Jahre 2019 wurde die baulich intakte und durchaus erhaltenswerte Villa über Nacht abgerissen, um einem Neubau Platz zu machen. Natürlich wird hier nicht wieder ein Gebäude gleicher Dimension entstehen, aber nach Auskunft der Stadtplanung verhindert das RLB, dass ein größerer Riegel gebaut wird. Diese Aussage findet sich so nicht in der Verordnung, die u. a. festhält: "Bebauung abgerückt und straßenbegleitend; Begrünung der Vorgartenzone; Parkplätze in freier Aufstellung nur in verträglicher Relation zur Bauplatzgröße, sofern mit Gebietscharakter und Topgraphie vereinbar, und im Nahbereich der Straße; Grundriss annähernd quadratisch; keine offenen Erschließungen." Die Beschränkung der Geschoßanzahl beträgt in diesem hochrangigen Teilraum 6 (Rosenhain und Schubertstraße) max. 2 - 4.

Wenn man aus der Skizze in Bild 1 ermisst, wie die beiden Villenanlagen Schanzelgasse 33 (ehemals Villa Kleinoscheg) und 43 (Haus Zirl) durch Ummantelungen in den letzten Jahren zu zwar gegliederten, aber mächtigen Bauklötzen wurden, dann kann man schwer an einen Neubau glauben, den ein echtes Villenviertel verträgt. Und – oh Schreck – am 7.01.2021 liest man auf baunachrichten.at, was man sich hier vorstellt: Errichtung eines Wohngebäudes mit 23 Wohneinheiten und Tiefgarage. Und das auf rund 2000 m2 Fläche im Villenviertel! Die schriftliche Anfrage an den Stadtplanungschef hat bis Redaktionsschluss leider kein Ergebnis gebracht.

Ein weiteres, elementares Hauptproblem der aktuellen Stadtentwicklung in Graz wird aber dabei ohnehin überhaupt nicht behandelt: die Versiegelung. Geht es im Räumlichen Leitbild um Dimension und Maßstäblichkeit, so ist eine Beschränkung der Bodenversiegelung ein Frage des Überlebens geworden; die verordnete „Begrünung der Vorgartenzone“ ist ein Alibi-Begriff. Die zunächst im RLB vorgesehenen Versiegelungs-Beschränkungen wurden in der zweiten Auflage wieder herausgenommen – mit der fadenscheinigen Begründung, dass sie rechtlich nicht gedeckt seien! Petitionen an das Land Steiermark, das Baugesetz anzupassen, wurden zwar beherzigt, aber die Anfang 2020 rechtskräftig gewordene Novelle des Baugesetzes wurde in dieser Hinsicht völlig „vergeigt“; eine neuerliche Änderung wäre mehr als überfällig!
Kleine Gemeinden im Süden von Graz, wie kürzlich Seiersberg-Pirka haben angesichts des Bodenfraßes bereits gehandelt und die Versiegelung bei Bauvorhaben erheblich beschränkt (in Wohngebieten maximal 50 %)!

Zurück zum eigentlichen Thema und zum Ende des Beitrags: Am eigentlichen Anfang der Hilmteichstraße haben sich erfreulicherweise zwei Eckpfeiler erhalten: der denkmalgeschützte und vor einigen Jahren restaurierte Schanzelwirt (Hilmteichstraße 1) und das ehemalige Pförtner-Häuschen des Landeskrankenhauses (Riesstraße 1). Dass sich der an das historische Gasthaus anschließende Neubau im Sinne des Grazer Altstadtgesetzes als gute Einfügung beurteilen lässt, kann bezweifelt werden – aber auch hier waren wohl wirtschaftliche Überlegungen im Spiel. Das Foto (Bild 6) zeigt aber, dass der etwas zu hoch geratene Neubau immerhin die Differenz zum neuen Chirurgie-Gebäude durch diese Staffelung etwas abmildert.
Wenn man heute von der Leonhardkirche auf den Beginn der Hilmteichstraße blickt, dann wird deutlich, dass die beiden denkmalgeschützten Bauen links (Schanzelwirt) und rechts (Pförtnerhaus) einen schönen Rahmen bilden – die  sich dahinter auftürmenden Gebäude verschwimmen etwas. Damit ist eindrucksvoll dargestellt, dass schöne Altbauten den „Überwucherungen“ moderner Architektur etwas den Zahn ziehen können.
Wenn es gelänge, der Stadtplanung verständlich zu machen, dass solche Situationen auf das Stadtbild wohltuend, ja direkt heilsam wirken können, dann könnte man auch der fast identisch geformten Welterbe-Achse am Beginn der Eggenberger Aller diese Funktion bewahren. Der Denkmalschutz ist hier aber leider nicht tätig, und die UNESCO-Vorgaben kümmern die Stadt nicht.   

Fazit: Trotz des durch das RLB verheißenen Schutzes der restlichen Bebauung in diesem Teil der Hilmteichstraße besteht also wenig Grund, hier von wirksamen Planungs-Maßnahmen zu sprechen. Die Fehler liegen aber wohl schon in der Vergangenheit: Vielleicht hätte man das Villenviertel schonen können und die Großbauten hinter dem LKH auf dem tiefer liegenden Areal in der Stiftingtalstraße errichten können. Im Zwickel zwischen LKH, Leechwald und Hilmteichstraße hätte ein echter „Campus“ für die Universität entstehen können – mit dem eingebundenen Eichholzer-Bau in der Mitte; das jetzt so bezeichnete Areal ist komplett zubetoniert, und verdient den Namen MED CAMPUS absolut nicht. Dass hier wirklich am Menschen orientierte Mediziner ausgebildet werden können, ist bei dieser tristen Umgebung mehr als fraglich.
Mit einer städtebaulich ausgerichteten Planung wäre auch der Blick vom Schloßberg nach St. Leonhard noch erträglich geblieben. Heute verschwinden sowohl Kirchturm als auch das Jugendstil-Ensemble neben den Monsterbauten völlig. Das Stadtbild ist hier auf Dauer zerstört.

Neu

Ich lese die profunden Artikeln von Herrn Mag. Laukhardt jedes Mal mit großem Interesse, denn mir liegt Graz am Herzen. Und im Herzen und meiner Seele tut mir das Gesehene und Gelesene weh. Denn wie es im Kleinen aussieht, so sieht es auch im Großen aus. Wie die Straßen auch heißen mögen, sei es die Hilmteichstraße, die Mariatroster Straße, die Heinrichstraße, die St. Peter Haupt Straße, Eggenberger Alle etc, es sieht überall gleich aus. Zerstörung der schönen alten Bauten, Ersatz durch gesichtlose Schachteln, ungeordnet, ohne Rücksicht auf Klima und Stadtbild, aneinandergereiht, ein Chaos ohne Zukunft. Graz, die ehemalige Gartenstadt, hat ihr lebenswertes Gesicht verloren. Wer trägt die Verantwortung dafür?

Di. 20/04/2021 11:59 Permalink
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