17/08/2021

Schau doch! 10

Kolumne von Peter Laukhardt

Kehlberg: Das Grazer Grinzing

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Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

17/08/2021

Bild 1: Flächenwidmungsplan Graz – Dorfgebiet Kehlberg

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Weinhauerhäuser unterhalb St. Martin, ca. 1930

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Gehöft von 1808 in der Kehlbergstraße 52

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Das 2011 abgerissene Kellerstöckl, dahinter das erhaltene bei Nr. 108 (2011)

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Kehlbergstraße 110 (im Hintergrund das erhaltene Kellerstöckl) und 126

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Der historische Ansitz Hauberrisser mit dem ehemaligen Stallgebäude

©: Peter Laukhardt

Nach den letzten, nicht gerade ermunternden Beiträgen über die Probleme des Grazer Bauerbes, möchte ich meine Leser mit einem schönen Abschluss in die letzte Sommerphase begleiten. Der Bericht über das ehemalige „Grazer Grinzing“, das Weinbauerndorf in Straßgang, kann noch mit einer Fülle gut erhaltener Bauten aufwarten. Trotz dutzender Bombentreffer, die im 2. Weltkrieg der Gau-Schule im Schloss St. Martin galten und am 19.12.1944 dreizehn Menschen den Tod brachten, und trotz einiger baulicher „Unglücksfälle“ der letzten Jahrzehnte, kann man hier noch einen schönen Ausflug in die Vergangenheit unternehmen. Sogar Weinbau wird an den Hängen seit einiger Jahren wieder betrieben. Dass sich hier zwischen und an Stelle historischer Bauten aber eine Buschenschank mit Neubauten hineindrängen will, beunruhigt nicht nur die dort in ruhiger Lage Wohnenden, sondern dürfte auch einer städtebaulichen Prüfung nicht standhalten können. Ein großer Parkplatz wird mit dem Flächenwidmungsplan-Kategorie „Dorfgebiet“ nicht vereinbar sein.
Ich konnte zwar nicht nachprüfen, ob in diesem Gebiet einmal wirklich mehr als 20 Häuser als Buschenschanken geführt wurden, aber der heute noch bestehende Gasthof Orthacker und die mir noch in Erinnerung gebliebene „Schnabelinde“ sind als Zeitzeugen gut zu gebrauchen. Das Feinschmecker-Restaurant „Kehlberghof“, einst sehr treffend „Schöne Aussicht“ genannt, ist auch ein Erinnerungsstück aus „besseren“ Zeiten.
Dass sich das dörfliche Bild auch noch in Zukunft einigermaßen halten wird können, dafür sorgt der Grazer Flächenwidmungsplan zusammen mit dem Räumlichen Leitbild. Meine Bemühungen um die Erhaltung dieses schönen Fleckchens Graz hatten sich bezahlt gemacht. Davor hatte das Altstadt-Schutzgebiet IV/6 „St. Martin“ hier auch schon eine Sicherung eingezogen, das Dorf selbst aber nicht einbezogen. Dass die Grenzen hier voneinander stark abweichen, ist zwar eine bedauerliche Schwachstelle, wird aber doch gröbere Verunstaltungen verhindern können. (Bild 1)
Kehlbergrundgang
Wir wollen unseren Spaziergang durch den alten Weinort beim denkmal-geschützten Ensemble von Schloss und Kirche St. Martin beginnen, vielleicht nach einem Besuch der beiden historisch bedeutenden Bauten. Da hier der Platz fehlt, um die vielen eindrucksvollen Zeugen einer vergangenen Epoche bildlich darzustellen, wäre die Mitnahme eines Smartphones hilfreich, an dem alle Bauten abgerufen werden können; dazu habe ich aber auch eine erwanderbare Route gestaltet, die unter dem Link Route: Kehlberg – Baugeschichte (grazerbe.at) abrufbar ist. Egal, welche Methode man wählt – eine ausgedehnte Wanderung lohnt sich.
Wenn man am Ende des nach der Kirche stark abfallenden Straßenstücks zurückblickt, wird man nicht mehr viel des Eindrucks mitbekommen, den ich hier noch vor einigen Jahrzehnten empfing; das alte Weinhauer-Gassl (Bild 2) ist kaum mehr zu erkennen. Heute steht von den Altbauten nur mehr das wohl um 1900 errichtete villenartige Bauwerk ganz oben (Kehlbergstraße 40), aber bei seinem Anblick fragte man sich lange: wie lange noch? Die Anrainer wissen, dass man hier Wohnungen einrichten will, irren aber in der Meinung, das Objekt stehe unter Denkmalschutz. Es ist aber noch in der Altstadt-Schutzzone „St. Martin“ und SOKO Altstadt wird die Arbeiten für die durchaus wünschenswerte neue Nutzung im Auge behalten.
Aber schon kurz danach flankieren wieder zwei alte Bauernhäuser die schmale Straße; auch wenn sie anscheinend nichts Spektakuläres zu bieten haben. Die Nr. 43 hat gegen den Garten eine schöne, rotgestrichene hölzerne „Wiederkehr“, es fehlt eigentlich nur das überhängenden Weinspalier auf dem alten Foto. Der Blick von hier auf Schloss St. Martin ist wunderschön. Nr. 46 ist auch nicht einfach ein Überbleibsel, sondern mit dem Wohnhaus, seinen zwei Kellertüren und den Stadelluken des Wirtschaftsgebäudes ein schön restaurier-tes Anwesen. Dass diese Bauten in der Altstadt-Schutzzone St. Martin liegen, hat offensichtlich viel Gutes bewirkt. Ein wenig später präsentiert sich dann in voller Pracht das gepflegte Ensemble des Bauernhofs auf Nr. 52 (Bild 3), der 1808 erbaut oder erneuert wurde, wie eine Inschrift besagt. Das Wohnhaus mit dem hölzernen Balkon, den grünen Fensterläden und Kellertüren ist ein besonders Schmuckstück, aus meiner Sicht denkmalwürdig.
An der Kreuzung „In der Kell“ steht die St.Urban-Kapelle, wir gehen an ihr vorbei und stehen bald danach vor dem wohl bedeutendsten Bau aus einer Zeit, in welcher der Weinbau in Kehlberg auch adelige Herren angezogen hat. Es ist der 1665 erbaute Ansitz Galnstein (Kehlbergstraße 84). Seine Beschreibung und Geschichte würde hier den Rahmen sprengen, weshalb ich auf den Artikel in „grazerbe“ verweise. Für uns ist der Bau absolut denkmalwürdig.
Wir lassen dann das für vorzügliche Küche weitbekannte Restaurant „Kehlberghof“, das aus einer Villa entstanden ist, links liegen und folgen der rechts abbiegenden Verlängerung der Kehlbergstraße. Einige moderne Bauten zur rechten Hand kann man vernachlässigen, wenn man die links der Straße liegenden alten Bauten (eine noch etwas vernachlässigte Landvilla auf Nr. 87 und alte Bauernhöfe auf Nr. 89, 97 und 103) in Augenschein nimmt.
Jetzt sind wir in einem Gebiet, das noch an einigen Stellen das alte Weinbaudorf spüren lässt. Leider kam SOKO Altstadt zu spät, als ein zeitgenössischer Auto-Liebhaber das schon etwas ramponierte Kellerstöckl gegenüber von Kehlbergstraße 103 zugunsten einer protzigen Garage abreissen ließ. Was hätte sich daraus für ein schönes Plätzchen machen lassen! Just dort führt gottlob noch immer der steile Winzersteig aufwärts, den ein unkundiger Bezirkskaiser auch gleich opfern wollte.
Wir verzichten aber auf den mühsamen Aufstieg und folgen der Straße. Von hier aus bietet sich ein wunderbarer Gang in eine vergangene Zeit. Wenn man den Blick nicht allzu hoch legt und die nicht immer passenden Neubauten oberhalb der alten Häuserzeile ignoriert, lässt sich gut nachfühlen, warum sich hier Viele zum Wein hingezogen fühlten. Fast alle Häuser haben ein anheimelndes Aussehen und wollen ihre einstige Funktion auch garnicht verbergen; einige sind mit ihren Holzelementen von ganz besonderem Reiz, wie die Häuser Nr. 110 mit der offenen und Nr. 126 mit der geschlossenen Veranda (Bild 5).
Der Anblick der Weingärten, ein gutes Tröpfchen und schöne alte Bauten haben die Sinne der Menschen erfreut – und tun es auch heute noch. So bietet Maria Kreiner in ihrem Gasthaus „Zum heimlichen Winkel“ von Freitag bis Sonntag Labung und Trank.
Bevor die Kehlbergstraße ein Weiterkommen nur mehr dem geländegängigen Fußgänger gestattet, können wir noch ein bauhistorisches Kleinod bewundern (Bild 6).
Hier hat der Grazer Architekt Georg Hauberrisser der Ältere im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts das lt. Inschrift über dem Haustor in das Jahr 1617 zu datierende alte Anwesen erworben und zu einem Gutshof umgebaut. Im Inneren ist eine profilierte Holzbalkendecke aus der Erbauungszeit erhalten geblieben. Das spätbarocke Mobiliar ist aus dem ehemaligen Schloss Pöllau in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hierher gelangt, vermutlich nach der Auflösung des dortigen Chorherrenstiftes. Der östlich des Wohnhauses stehende ehemalige Stall wurde später ausgebaut und zu Wohnzwecken genutzt. Auf der Anhöhe des früheren Weingartens ein "Salett'l", ein vielleicht ebenfalls von Hauberrisser erbautes Weinhüterhäuschen.
Nun setzt sich die Kehlbergstraße in einer steilen Stiegenanlage fort, die uns letztlich vorbei an der ehemaligen Buschenschank „Schnabel“ (Am Buchkogel 6) zum Gasthaus Orthacker (Am Buchkogel 9) führt. Der Rückweg sollte uns dann über den romantischen Winzerweg zum denkmalgeschützten wunderbaren Anwesen Hochkofler von 1668 (Am Weinhang 15) und vorbei beim schönen alten Bauernhof mit dem Kellerstöckl darüber (Am Weinhang 30) nach St. Martin zurückführen. Eine Variante könnte  der steile Mantscha-Waldweg hinab zum wunderbaren Ensemble auf Nr. 26 bringen, das sich aus einem Wohnhaus und einem mit Stadelluken geschmückten Wirtschaftsgebäude zusammensetzt.

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