01/09/2021

ES BRENNT!

Sigrid Verhovsek zur Diskussion zum New European Bauhaus, veranstaltet von Markus Bogensberger, Baukulturkoordinator, Land Steiermark Abt. 16 Verkehr und Landeshochbau, im Club Hybrid am 11. August 2021.

Teilnehmer*innen
- Markus Bogensberger, Baukulturkoordinator, Land Steiermark Abt.16;
- Werner Nussmüller, Architekt, Kammer der ZiviltechnikerInnen Stmk + Knt.;
- Christian Tippelreither, Geschäftsführer Holzcluster Steiermark;
- Andreas Türk, Internat. Klimapolitik/-ökonomie, JoanneumResearch;
- Theresia Vogel, Geschäftsführerin Klima- und Energiefonds, Wien.
- Zugeschaltet: Georg Pendl, Architekt, Präsident Architects Council of Europe (ACE) 
Moderation: Petra Kickenweitz, Architektin

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01/09/2021
©: Club Hybrid
©: Sigrid Verhovsek

Ein bisserl ratlos war ich zu Beginn: New European Bauhaus hatte ich schon gehört. Von EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen fielen im September 2020 die schönen Worte: „Es liegt an uns, was wir aus unserer Zukunft machen. Es liegt an uns, welches Europa wir wollen.“
Nicht zuletzt als Reaktion auf Corona sollte endlich ein längst notwendiges Umdenken erfolgen: „Es geht darum, Nachhaltigkeit und Ästhetik zu vereinen, um den europäischen 'Grünen Deal' in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger und auch in ihrem Zuhause Realität werden zu lassen. Wir brauchen alle kreativen Köpfe: Designer, Kunstschaffende, Wissenschaftler, Architekten sowie Bürgerinnen und Bürger sollen zusammen das neue 'Europäische Bauhaus' zu einem Erfolg machen.“
Aber in der Zwischenzeit war die Idee von meinem Aufmerksamkeits-Radar verschwunden, und auch in den meisten Medien kehrte nach anfänglichem Optimismus eher vorsichtiges Stillschweigen ein. War auch hier der ach so „zauberhafte“ Anfang zu überwältigend gewesen, dass eine Weiterführung nur an diesem übergroßen Anspruch scheitern konnte? Oder hat es tatsächlich nur unsere Insel der Seligkeit, das „Land der Häuslbauer“, Österreich, verschlafen, aktiver Teil dieser speziellen Bewegung zu sein?

Genau dieser Frage widmete sich eine Podiumsdiskussion, die von Markus Bogensberger, Baukulturkoordinator, Land Steiermark, Abt. 16 Verkehr und Landeshochbau, im Club Hybrid veranstaltet wurde.
Trotz eines veritablen Unwetters flüchteten sich viele Interessierte in diesen chilligen Demonstrativbau in der Herrgottwiesgasse. (Die außergewöhnliche und nicht nur aufgrund der Lage leicht exzentrische Location, die von Heidi Pretterhofer und Michael Rieper im Zuge des Kulturjahres 2020 errichtet wurde, „endete“ ja offiziell mit 15. August, wird aber hoffentlich mit Unterstützung der Stadt Graz auch weiterhin, samt bestens betreuter Kantine!, bespielt und besucht werden können.)

Moderatorin Petra Kickenweitz hatte es an diesem Abend mit einem sehr heterogenen Podium zu tun: Neben Initiator Markus Bogensberger diskutierten der Geschäftsführer des Holzclusters Steiermark, Christian Tippelreither, die Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds, Theresia Vogl, Architekt Werner Nussmüller und der Forschungsgruppenleiter der Internationalen Klimapolitik und -ökonomie am JOANNEUM RESEARCH, Andreas Türk. Über Zoom wurde nach den üblichen anfänglichen Tonproblemen auch Architekt Georg Pendl, seit 2019 Präsident der Architects’ Council of Europe in Brüssel, zugeschaltet.
Zunächst ging es um die Frage, warum im „Kulturland“ Österreich das Engagement so gering ist – liegt es tatsächlich nur an der den ÖsterreicherInnen anscheinend mangelnden Experimentierlust? Schließlich steht das New European Bauhaus noch am Anfang seiner Geschichte, und gerade die Partner*innen, Allianzen und Beiträge, die sich jetzt einbringen (oder eben eingebracht haben), werden entscheiden, ob daraus ein reiner Marketinggag zur Beruhigung schlechten Bobo-Gewissens wird, oder doch eine Initiative entsteht, die eine Kraft zur Veränderung darstellt und Handlungen setzt. Neu und äußerst ansprechend wäre ja die propagierte Stärkung der sozialen Komponente, wodurch eine neue Sichtweise auf die Vernetzung von Ökologie und Gesellschaft entstehen könnte: tatsächlich geht der Trend derzeit ja eher dahin, „Bio“ als neues Distinktionsmerkmal zu handeln.

Theresia Vogl sagt sehr klar, dass „Österreich diese erste Phase des Aufbaus tatsächlich verschlafen hat“, aber betont, dass es hier dennoch einen sehr hohen Standard in den Agenden des Klimaschutzes gibt, und dass die Baukultur dabei eine bedeutende Rolle spielt.
Bogensberger bekräftigt, dass „die österreichische Architekturszene auf einem Erfahrungsschatz sitzt, aber wenig Initiative zeigt“ – vielleicht auch deshalb, weil zur Zeit durch das Abarbeiten von „corona-gestauten“ Projekten eine ziemlich gute Auslastung herrscht? Er gibt zu bedenken, dass die Märkte der Zukunft sich genau über diese Thematiken definieren werden – jetzt wäre die Zeit, am generierenden und gestaltenden Diskurs teilzunehmen und sich stärker zu engagieren.

Viele Dinge sind ja tatsächlich nicht neu, wir kennen sie aus den 1980er und 1990er Jahren, wo Österreich anscheinend so ambitioniert war, dass es danach ob der ungewöhnlichen Anstrengung sofort wieder in einen Dornröschenschlaf verfallen ist:
Zum Beispiel,
dass es in Zukunft unumgänglich sein wird, auf Bestandssanierung zu setzen und das Einfamilienhaus endgültig aus allen Förderungen zu streichen ist;
dass man für Bauwerke die Lebenszykluskosten anstatt die Baukosten berechnen muss;
dass Holz ein ideales Instrument für Aufstockungen und Nachverdichtungen unserer sich transformierenden Städte ist, aber die Preise aufgrund der fehlenden Industrialisierung oder anders gesagt am überbordenden Individualismus scheitern;
dass die Raumplanung in Österreich gescheitert ist, und dass man den Bürgermeistern keine Kompetenzen wegnehmen, sondern sie einfach vor den Begehrlichkeiten ihrer Wähler schützen müsste;
dass gut geplante Luftzirkulation besser, günstiger und klimaschonender ist als überall hochtechnologisierte Klimaanlagen anzubringen;
und und und.

Die Frage ist, was kommt von all dem Wissen in der Öffentlichkeit oder gar der Politik an? Und wann haben die Architekt*Innen eigentlich die Fähigkeit verloren, diese Agenden öffentlich und klar einzufordern, statt nur im eigenen Kammerl ständig und, wie man sieht, in Schleifen darüber zu raunzen? Haben wir es etwa – Gott bewahre! – selbst verschuldet, dass uns keiner mehr zuhört, weil dennoch jeder von uns in der (Büro-)Praxis Styroporfassaden an Hauswände pappt?
(„Radikal ehrliches“ Gedankenspiel: Wieviel Fläche wurde im letzten Jahr durch Ausführungen UND Entwürfe der versammelten Architekt*Innenschar versiegelt?)

Aus dem Publikum kommt der Einwand von Jennifer Fauster (Institut für Städtebau, TU Graz – im übrigen neue Partnerin des New European Bauhaus), dass es nicht einmal mehr um einzelne (oder auch vereinzelte) Bauwerke geht, sondern um die Vernetzung, um territoriale Gerechtigkeit: Das New European Bauhaus sollte kein kleinteiliger Versuch sein, mit verstreuten Einzelmaßnahmen auf ein nie zu erreichendes Mosaik hinzuarbeiten, sondern der Entwurf eines visionären Gesamtbildes, das der Komplexität des Geschehens gerecht werden kann.

Als Fazit der Diskussion über das New European Bauhaus im Land der Häuslbauer bleibt die berühmt-berüchtigte Forderung, mehr und auf einer breiteren Basis zu diskutieren. Aber fehlt es wirklich an Diskussion und nicht vielmehr an Handlung? Aber um zunächst Multiplikatoren und schließlich auch die Bereiche der Kommunal- und Landesverwaltung zu erreichen, braucht man tatsächlich eine breitere Basis, mehr Menschen und vor allem interessierte Gruppierungen, die diese Gedanken mittragen.
Eine der wichtigsten Forderungen – zumindest frommer Wunsch – für das New European Bauhaus ist sicher, dass diese Bewegung nicht von einer politischen Partei vereinnahmt werden darf, sondern eine überparteiliche politische Idee bleiben muss, um überhaupt etwas bewirken zu können.
Aber es geht um mehr, und das bringt schließlich Architektin Heidrun Primas, die ehemalige Leiterin des Forum Stadtpark, auf den Punkt: „Es brennt. Es brennt definitiv!“. Globale Klimagerechtigkeit muss radikaler und viel breiter angesetzt werden, aber schlussendlich auch genau da, wo es wehtut: Bei jedem einzelnen von uns.

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