06/10/2021

... und nach Corona? (4)

Covid 19 hat für viele manches, für einige gar nichts oder alles verändert. Welche pandemie-bedingten Entwicklungen zeichnen sich in Architektur und Städtebau ab? Dazu führte Sigrid Verhovsek Gespräche mit unterschiedlichen Personen.

Sigrid Verhovsek im Gespräch 4 mit Judith Urschler und Thomas Kain, studio magic:

"Man hätte diese ruhigere Zeit nutzen können, um etwas mehr zu experimentieren, die Stadt ein wenig mehr als Experimentierfläche zu sehen. Es war genug Freiraum zum Probieren da: Was passiert, wenn man da plötzlich Tische aufstellt, was macht das mit dem Raum? Wird das angenommen? Und wenn nicht, nehmen wir sie wieder weg!
Oder man gibt Leerstände frei, für Menschen, die in zu kleinen Wohnungen eingepfercht sind, und sagt, zahl 20Euro im Monat, aber Du kannst dir da einen Tisch oder eine Werkbank reinstellen. Aber es blieb alles verriegelt, die Strukturen wurden nicht aufgebrochen."

06/10/2021
©: Sanela Pansinger

Gespräch mit Judith Urschler (JU) und Thomas Kain (TK)

STUDIO MAGIC ist ein Kollektiv und besteht aus zwölf Architekturschaffenden, die sich mit allen möglichen Facetten von Raum und Raumbildung auseinandersetzen. Wie hat sich das entwickelt?

JU: Die meisten von uns kennen sich aus dem Zeichensaal an der TU Graz. Einige haben danach den klassischen Weg in ein Architekturbüro eingeschlagen, andere haben alternative Wege gewählt, um sich mit Architektur auseinanderzusetzen.
Dennoch bestand der gemeinsame Wunsch, selbstbestimmt etwas auszuprobieren, wo wir entscheiden können, was wir machen wollen, und was dabei wichtig ist. Unsere Gruppe war von Anfang an durch diese Suche nach unserem eigenen Weg zur Architektur charakterisiert und das ist so geblieben: Jedes Projekt ist eine Herausforderung, etwas Neues auszuprobieren, Grenzen auszuloten oder zu verschieben.
TK: Anfangs haben wir versucht, uns zum Beispiel über den Architektursommer neue Themenfelder zu eröffnen – und so hat eines das andere ergeben. Aquatopia im Jahr 2013 war ein Initialprojekt im öffentlichen Raum. Wir haben uns immer mehr professionalisiert, aber den Anfangsspirit des „frei an Dinge herangehen“, mitgenommen. Jedes unserer Projekte ist ein totaler Prototyp - wir nehmen keine copy/paste- Schablonen, sondern nur Erfahrungen in die nächste Arbeit mit.

2015 wird als offizielles Gründungsdatum angegeben: Sind noch alle Gründungsmitglieder an Bord?

TK: Ja, aber jeder von uns ist zeitweise mehr oder weniger aktiv. Wir haben in den letzten Jahren versucht, für diesen losen Verbund von Selbständigen eine gemeinsame Unternehmensform zu finden. Am ehesten hätte irgendetwas zwischen GmbH und Genossenschaft gepasst, aber wir sind draufgekommen, dass gerade der lose Verbund eine große Qualität birgt, auch wenn es vor allem aus ökonomischer Sicht aufwändiger scheint. Ohne Hierarchie ergeben sich immer wechselnde projektbezogene Arbeitsgruppen, manchmal bearbeitet man kleinere Projekte auch alleine, aber auch diese werden in der Gruppe besprochen, und Input und Feedback kommen von allen Seiten.
JU: Das macht die Arbeit extrem spannend! Jeder von uns hat seine Fühler ja auch woanders – zum Beispiel im Ausstellungsbereich oder im Tischlerhandwerk etc. Wenn man sieht, in welche Richtungen Architektur gehen kann, macht das eine große Bandbreite auf, einen ungeheuer großen Möglichkeitsraum, und über die gemeinsame Basis kann man sich gut austauschen.

Die Zeit der rigorosen Lockdowns ist hoffentlich vorbei - wie habt Ihr diese Zeit der Pandemie im Kollektiv wahrgenommen?

JU: Bei uns hat sich gar nicht so viel geändert, bis auf das, das wir uns nicht oft getroffen haben -–aber auch in „normalen“ Zeiten sind selten alle an einem Ort, das ist mit zwölf Leuten an drei verschiedenen Standorten (Graz, Wien, Innsbruck) ja generell schwierig. In den Lockdowns haben wir uns tatsächlich alle zumindest online gesehen, das war gut! Unsere Projekte waren zudem gerade in einem passenden Stadium, es gab vieles, das ohnehin am Computer zu erledigen war. Bei einigen Arbeiten konnten wir die Zeit gut dafür nutzen, nochmals zu reflektieren, nochmals darüber nachzudenken, die Grundidee nochmals zu hinterfragen: Es bringt auch Vorteile, wenn die Zeit nicht immer so drängt und das nächste Projekt schon ansteht. Ich persönlich habe den ersten Lockdown auch irgendwie als Möglichkeit zum Durchatmen empfunden, weil alles stillgestanden ist, und endlich Zeit da war, um einiges aufzuarbeiten.
TK: Was uns natürlich schon aufgefallen ist: Man kann viel über den Bildschirm machen, aber das gemeinsame „um einen Tisch“ sitzen, und auf einen Zettel schmieren, einfach mit anderen Leuten zu interagieren - das hat uns sehr gefehlt. Bei uns sind das schon auch sehr hitzige Diskussionen, wir reden und zeichnen und arbeiten, und das geht über eine wackelige Internetverbindung nicht so gut! Kleinere Besprechungen funktionieren aber, man spart Anreisezeit, und so haben wir das mittlerweile in unseren Arbeitsalltag integriert. Die Situation war schräg, das haben wir genauso empfunden wie alle anderen, aber wir waren es andererseits schon gewohnt, nicht alle am selben Ort zu arbeiten. Wir haben ja auch keine fixen Arbeitszeiten, wo alle gemeinsam im Atelier sein müssen. Vermisst haben wir, dass wir in dieser Zeit nichts gemeinsam bauen konnten, weil zum Beispiel die Ausstellung im Kunsthaus Mürz aufgrund von Corona stückchenweise immer wieder verschoben werden musste.  Als es dann Anfang Herbst 2020 soweit war, hat uns das allen sehr gutgetan, wieder gemeinsam etwas zu tun, gemeinsam vor Ort zu sein.

Eure Arbeitssituation klingt nicht gerade nach einem 9-to-5-Job! Aber durch die Umstände der Corona-Krise wurden ja viele Arbeitsverhältnisse plötzlich ungewöhnlich: Wie seht ihr die Verzahnung zwischen Wohnen und Arbeiten?

JU: Das kann man schwer pauschalisieren: Jeder arbeitet anders – Thomas ist zum Beispiel die Trennung zwischen Arbeit und Privat sehr wichtig, aber bei mir schwappt das ineinander, ich arbeite gerne zuhause. Das ist sehr individuell. In der Corona-Zeit wurden aber verschiedene alternative Formen von Arbeit relativ selbstverständlich, und ich finde es schade, dass jetzt dennoch für viele wieder der Zwang da ist, zurück in die alten 9-to-5 Strukturen zu müssen. Ich hätte mir auch gedacht, dass die Menschen durch das Homeoffice eine größere Sensibilität entwickeln, für das, was die Verbindung aus Arbeit und Wohnen bedeuten kann: Da gibt es ja einige Möglichkeiten dazwischen, Co-Working-Spaces oder ähnliches. De facto entschieden aber noch immer einige wenige, wie man zu leben hat, und das wird geplant und gebaut - da bleiben wenig Möglichkeitsräume offen.

Haben die Lockdowns bleibende Veränderungen in die Stadträume gebracht?

TK: Für mich war so überraschend, wie schnell das Öko-System reagiert, wenn der Mensch sich einmal ein wenig zurücknimmt. Da war plötzlich Zeit für Reflektionen, und man konnte die Qualität sehen, wenn man ruhiger agiert und vielleicht auch einfach einmal abwartet. Aber sobald es möglich war, ist es wieder mit dem Turbo losgegangen, möglichst schnell, möglichst viel, in möglichst kurzer Zeit. Dieser Effekt des Zu-Ruhe-Kommens ist völlig verpufft, oder eigentlich sogar ins Gegenteil umgeschlagen: Jetzt geben wir erst recht Vollgas, weil wer weiß, was in zwei Monaten ist? Ich sehe das sehr kritisch am Alltagsgeschäft in der Architektur, das sehr stark an dieser immerwährenden Produktion der verschiedenen Kapitalketten hängt: Das ist nicht immer der richtige Weg, um über Städte, Dörfer usw. nachzudenken. Die Covid-Pandemie hat weltweit den Finger in die Wunde der globalen Machtverhältnisse gelegt. Diese Themen waren schon vorher da, sind aber übertönt worden.
JU: Nachdem wir uns intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzen, hat uns auch sehr beeindruckt, dass die öffentlichen Räume so stark frequentiert und angeeignet wurden: Da man sich sonst nirgends treffen konnte, hat die soziale Interaktion im öffentlichen Raum stattgefunden; das war schön zu beobachten! Die Plätze in ganz Graz sind noch nie so gut genutzt worden wie in dieser Zeit. Was ich schade finde, ist, dass darauf nicht reagiert wurde, es wurde nichts getan, um das Angebot zu erweitern, um dieses Leben im öffentlichen Raum auch zu verankern. Zum Beispiel wurden am Lendplatz aus Holzschragen und Tischplatten temporäre Möbel aufgebaut, wo man sich zusammensetzen konnte: Eine einfache Lösung, ein niederschwelliges Angebot, es ist vor Ort, es ist billig, es wird angenommen, es funktioniert. Aber gleich wurde wieder ein Problem daraus gemacht, und angeblich sollen Schragen und Platten jetzt weggesperrt werden.
TK: Der öffentliche Raum dient derzeit oft nur als eine Art Aufenthaltszone zwischen anderen Tätigkeiten, als Durchgangsbereich, denn ich passiv auf dem Weg von A nach B passiere. Aber im Gegensatz zum Online-Handel war Shopping in der Stadt plötzlich von der Bildfläche verschwunden, und ich hatte das Gefühl, es bekommt einen höheren Stellenwert, sich im Augarten zu treffen, als irgendwelche Dinge zu kaufen. Das müsste man als Anstoß nehmen, das öffentliche Leben in der Stadt dahingehend zu überdenken, anderen Dingen mehr Raum zu geben, und wieder anderen Dingen weniger Raum zugestehen - durch ganz simple Regulatoren, die eine gute Durchmischung schaffen.
In der Stadt fehlt die Möglichkeit zu einer anderen Art von Austausch, die zu einem „Durchwirken der Gesellschaft“ führen könnte, wie Harald Welzer das so schön beschreibt. Diese Treffen im Park waren auch deshalb interessant, weil plötzlich alle in den Park gegangen sind, und verschiedenste Generationen und gesellschaftliche Gruppierungen sich überschnitten haben.
Wenn der öffentliche Raum nicht nur Restfläche oder Durchgangszone für Menschen in ihrer je eigenen Blase sein soll, braucht es Berührungspunkte, Überschneidungen, Möglichkeiten, etwas gemeinsam zu tun.
JU: Bei Schönwetter verlegen wir Besprechungen oft einfach nach draußen – und dann kommt vielleicht auch jemand her, und fragt: „Was macht ihr denn da?“. So entstehen dann oft Dialoge, unsere Arbeit und unsere Ideen werden kommentiert, und das bewirkt etwas... Aber das ist schwierig, weil es kaum Tische gibt, wo man sich auch in einer größeren Gruppe hinsetzten und arbeiten könnte. Man hätte diese ruhigere Zeit nutzen können, um etwas mehr zu experimentieren, die Stadt ein wenig mehr als Experimentierfläche zu sehen. Es war genug Freiraum zum Probieren da: Was passiert, wenn man da plötzlich Tische aufstellt, was macht das mit dem Raum? Wird das angenommen? Und wenn nicht, nehmen wir sie wieder weg! Oder man gibt Leerstände frei, für Menschen, die in zu kleinen Wohnungen eingepfercht sind, und sagt, zahl 20Euro im Monat, aber Du kannst dir da einen Tisch oder eine Werkbank reinstellen. Aber es blieb alles verriegelt, die Strukturen wurden nicht aufgebrochen.

Also alles weiter wie bisher?

TK: Joost Meuwissen hat das sehr schön beschreiben, er meinte, der Unterschied zwischen den Niederlanden und Österreich ist der, dass man in den Niederlanden denkt: „Hey, das könnte eine coole Sache sein, probieren wir das mal, und schauen, was passiert.“ In Österreich ist es so: „Hey, das könnte eine coole Sache sein, es könnte aber auch das und das passieren, also machen wir das lieber nicht!“
JU: Und eigentlich fängt die Problematik immer bei einem selbst an: Jeder kann ja rausgehen, und sagen, machen wir das, probieren wir es einfach aus.

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