13/10/2021

Building Europe

Vom 6. bis 8. Oktober 2021 fand in Graz und Maribor die internationale Konferenz Building Europe | Auf dem Weg zu einer Architektur und Baukultur hoher Qualität für alle statt.
Die dreitägige Veranstaltung konzentrierte sich auf den aktuellen Stand und die Zukunft von Architekturpolitik und Baukultur in Europa und zeigte Perspektiven und Chancen für die Zeit nach der Pandemie auf.

Bericht von Sigrid Verhovsek

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13/10/2021

Die  Moderatoren: Elisabeth Leitner, Architektin (li) und Matevž Čelik, Leiter des MAO Ljubljana (re). © Building Europe / Jakob Kotzmuth

Reinier de Graaf, Architekt, Urbanist (Büro OMA), zu: "Architektur, Baukultur und die Zukunft Europas“. © Building Europe / Jakob Kotzmuth

Christian Kühn, Architekt, Vorsitzender des Beirats für Baukultur, zu: "Wie wäre ein gutes Leben und eine gerechte Gesellschaft für alle zu erreichen?“ © Building Europe / Jakob Kotzmuth

Über 180 Personen aus 22 Nationen haben sich im Grazer Orpheum versammelt, um „Europa zu bauen“. Drei Tage lang sollen in Graz und Maribor aktueller Stand und Zukunft der EU- Architekturpolitik diskutiert werden.
Tatsächlich waren in Wien und in Ljubljana zeitgleich zwei Konferenzen zum Thema Qualität und Baukultur in Planung. Als man auf den Doppellauf aufmerksam wurde, entstand die Idee, beide Konferenzen zu vereinen und aufgrund der Lagebeziehung in zwei Etappen in Graz und in Maribor abzuhalten.
Der österreichische Teil der Konferenz am Mittwoch, den 6. Oktober 2021, wurde durch die Architekturstiftung Österreich im Namen des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport in Zusammenarbeit mit dem Land Steiermark organisiert, unterstützt durch die Bundeskammer für ZiviltechnikerInnen, dem Haus der Architektur, LandLuft und der Plattform Baukulturpolitik.

Nach der offiziellen Eröffnung durch Staatssekretärin Andrea Mayer betonte Martin Selmayr, Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich, dass sich Europa und somit auch die EU in einem ständigen Wandel und auch in einem fortwährenden Bauprozess befindet. Durch die Pandemie wird die Transition greifbar, und nach Covid sollte die Worthülse „New European Bauhaus“ mit Leben gefüllt und zur Marke gemacht werden.
Der slowenische Präsident der Kammer der Architekten und Raumplaner, Tomaz Kristof, gibt zu bedenken, dass Grenzen von jeher ein wichtiges Thema in der EU waren - aber eben auch Übereinstimmungen, die gepflegt werden wollen.
Christian Kühn, Vorsitzender des Beirats für Baukultur, stellt die Gretchenfrage: „Wie wäre ein gutes Leben und eine gerechte Gesellschaft für alle zu erreichen?“. In einer kurzen, aber extrem konzisen Lektion ergänzt er das von Ursula van der Layen ausgerufene „Vorbild“ Bauhaus des technikfaszinierten, aber dennoch pragmatischen Walter Gropius um die unglaublich visionäre Gedankenwelt des „Neuen Bauens“ eines Bruno Taut. Taut hatte nicht nur Normierung und Industrialisierung propagiert, sondern mit Hilfe u.a. von Kropotkins sozialen Theorien tatsächlich grundlegende Änderungen im Bauen eingefordert.

Das erste Panel thematisiert „Architektur, Baukultur und die Zukunft Europas“.
Reinier de Graaf (OMA) hält den respektlos anmutenden Vortrag eines amtlich bestellten Hofnarren, der sich einiges an wahren Worten erlauben darf. Er erzählt zum Beispiel von dem Kreisverkehr in Brüssel, der die Mitte der EU bildet, und der mit einem in allen Fahnenfarben gestreiften Kleid (Zirkuszelt) ausstaffiert wird. Die EU wird (nicht nur in Hinsicht auf den Brexit) auseinandergenommen, aber im versöhnlichen Schluss auch wieder zusammengesetzt: Der Moment der Krise sei immer auch der Moment eines neuen Anfangs.
Für einen Heiterkeitssturm unter den wenigen anwesenden Architekt*innen sorgte danach eine Publikumsfrage: „Sie haben ja gar nicht über Architektur gesprochen?“
Ruth Reichstein, Mitglied des Beraterstabs der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, bringt via Webex eine Projektübersicht über derzeitige und weiter zurückliegende Bemühungen der EU um qualitätsvolle Architektur. Im Rahmen des New European Bauhaus werden seitens der EU nun 85 Millionen Euro an Steuergeldern investiert, um neben funktionellen und technisch-ökologischen Aspekten eben auch die Ästhetik (zu der auch „furniture and fashion“ gehören) zu definieren und einzubeziehen, und das Gesamt-Paket Baukultur zu schnüren.

Architekt Johan De Walsche erzählt zum Abschluss des ersten Panels über Sanierung und Renovierung des Schwimmbades Veldstraat in Antwerpen: Architektur überrascht aufgrund des komplexen Kräftezusammenspiels immer wieder und lässt sich nicht leicht in Normen, in vorgefertigte Schablonen pressen. Immer wieder kann auch etwas anderes herauskommen als gedacht: Dementsprechend muss auch der Umgang mit Studierenden diese Offenheit abseits von Fertig-Teil-Konzepten antizipieren. Die Frage darf nicht lauten „What can be done”, sondern “What ought to be done?”. Verfügungswissen muss in der richtigen Balance mit Orientierungswissen, Wissen um das menschliche Maß (das ja im Brüsseler Regierungsbezirk leider nicht angewandt wurde), stehen.

In der Paneldiskussion greift Rainier de Graaf genau diesen Punkt in Hinblick auf die EU auf: Die Verbindung zwischen Kultur und Politik scheint ihm dann gefährlich, wenn eines das andere vereinnahmt oder für eigene Zwecke missbraucht; hier bräuchte es eine ähnliche saubere Trennung wie jene zwischen Staat und Kirche. Soll tatsächlich die Politik definieren, was Schönheit ist, Ästhetik ausmacht? Auch das Bauhaus hat seine Standards selbst kreiert, und sie der Politik vorgegeben - heute läuft das anscheinend verkehrt herum.
Anstatt von top-down Regeln, Regulativen und Kontrolle, die den kreativen Prozess für ein grundlegendes Verständnis guter Baukultur durch Übernormierung zerstören, wäre es besser, politische Unterstützung in Form von Finanzierungen für Bildung zur Verfügung zu stellen, und dann die Menschen selbständig machen zu lassen.
Respondent Charles Landry behauptet, dass man, um diesen Prozess zu starten, dennoch zunächst den Experten braucht, was für einige Teilnehmer*innen offen nach jenem männlich-dominanten Elitedenken klingt, dass u.a. auch im ursprünglichen Bauhaus gepflegt wurde.

Das zweite Panel steht unter dem Motto „Quality Concepts“, und beschäftigt sich mit eben diesen neuen Standards der Baukultur, den von der EU vorgegebenen Qualitätskriterien.
2018 wurde anlässlich eines Treffens der europäischen Kulturminister*innen unter dem Titel „Towards a high-quality Baukultur for Europe“ die Deklaration von Davos verabschiedet.
Doch was soll dieses “Bekenntnis” zu „Hoher Qualität einer Baukultur“ eigentlich sein, wie wird es politisch handhabbar? Im Gegensatz zur Quantität ist Qualität im naturwissenschaftlichen Sinn nicht messbar oder in Zahlen auszudrücken, sondern betrifft subjektive Eigenschaften, die komplexen Inhalte einer Sache. Zudem ist ja auch der Begriff „Baukultur“ nicht ganz einfach.

Bereits 2017 hat auch der österreichische Ministerrat die von 150 Expert*innen aus verschiedensten Fachbereichen sowie Vertreterinnen von Bund, Ländern und Kommunen ausgearbeiteten „Baukulturellen Leitlinien des Bundes (Baukulturdeklaration)“ beschlossen. 20 Leitbilder in sechs Handlungsfeldern wie „Orts-, Stadt- und Landschaftsentwicklung“ oder „Bewusstseinsbildung und Beteiligung“ sollten Voraussetzungen schaffen, die allerdings bis dato auch oft bei öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Bauten nicht einmal annähernd berücksichtigt werden - die Beispielwirkung dieser ambitionierten Arbeit hält sich darob in Grenzen. Schönheit als Teil von Baukultur wird sehr vorsichtig definiert, als Berücksichtigung ästhetischer Maßstäbe, die der Situation angemessen sind.

In Davos wurden ähnliche Kriterien für qualitätsvolle Baukultur auf acht Überbegriffe eingedampft: Governance, Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft (Baukultur muss über kurzfristige ökonomische Sichtweise gestellt werden!), Vielfalt, Kontext, Genius loci, und Schönheit (deren vielsagendes Icon übrigens das Bild einer etwas unglücklich wirkenden Frau vor dem Spiegel ist).
Output ist unter anderem ein Stern-Diagramm, das allerdings nur im Vergleich mit einer zeitlichen und/oder räumlichen Entwicklung desselben Projekts sinnvoll wäre. Als Einzeldarstellung ist es plakativ, aber wenig aussagekräftig und ähnelt eher einer Selbstbefragung in einer Illustrierten („Do your own evaluation“).

Die Qualitäts-Kriterien von Davos wurden durch einen OMC- Prozess auch auf EU-Ebene verankert, wie die Architektin Veronika Valk-Siska als Vorsitzende der Arbeitsgruppe berichtet.  
Open Method of Coordination („offene Koordinierungsmethode“) ist eine Handlungsmethode, mittels der die EU auch in Bereichen, in denen sie eigentlich gar keine gesetzgebende Kompetenz hat, entscheidend eingreifen kann: Dieses Soft Law reicht von unverbindlichen Leitlinien, Preisen und best practise-Beispielen bis hin zu „Empfehlungen“. Trotz fehlender Gesetzesgrundlage werden diese von den meisten EU-Staaten aufgrund des Gruppen- bzw. Konformitätsdruckes („naming and shaming“) zumindest ernstgenommen.
In diesem speziellen OMC-Prozess wurden den acht Kriterien von Davos nun Umsetzungskriterien beigestellt, Bereiche, in denen die nun quantifizierbare Qualität unterstützt werden sollte, und zwar in Form von Preisen/Anerkennungen, Regularien, Aufmerksamkeitsschulung, Wiederverwertung, Forschung, Finanzierung, basisdemokratischen Bewegungen und technischer Innovation. Zur Verdeutlichung wurden Best-Practice-Beispiele gesucht, zwei davon, das Clonakilty 400 project oder das Law of Architecture of Catalonia, wurden anschließend von Giulia Vallone (Stadtplanung Cork County Council) und Estanislau Vidal-Folch von der katalonischen Regierung, vorgestellt.

Einer Publikumsfrage zu Panel 2, ob denn alle Staaten mit den Qualitätskriterien übereinstimmen, bzw. ob sie eine derartige Quanitifizierung von Qualität überhaupt wollen, wird in diesem Gremium mit Unverständnis begegnet, denn „schließlich haben alle Expert*innen gesagt, dass es gut ist.“

Panel 3 beginnt mit einem kurzen Ausblick auf die geplanten Entwicklungen: Laut Jan Schultheiss aus dem Deutschen Bundesministerium für Inneres, für Bau und Heimat, kommt es nun darauf an, möglichst alle Investments und Förderungen an diese Kriterien zu binden. Tatsächlich zielt die Aussage auf die Aufmerksamkeit der Investor*innen und Stakeholder*innen ab, bottom-up-prozesse oder eine breit angelegte niederschwellige Bildungs- oder Vermittlungspolitik bleiben unerwähnt.
Robert Temel, Sprecher der österreichischen Plattform Baukulturpolitik, stellt den eben erschienenen vierten Baukulturreport vor, von dem an anderer Stelle noch ausführlich zu berichten sein wird.
Hughes Becquart vom EU Department of Cultural Heritage gibt eine kurze Zusammenfassung der geplanten weiteren Schritte in Richtung qualitätsvoller Baukultur: Eine Webpage, Podcasts und „Events for Promotion“ sollen die Dissemination des gesammelten Wissens unterstützen und das Voneinander-Lernen fördern. Die Rolle der Architek*innen in diesem Zusammenhang bezeichnet er als Vermittler („intermediators“).
Abschließend wird Josef Morkus, Minister für Regionale Entwicklung von der tschechischen Regierung, die im Juli 2022 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird, nach einer Zukunftsperspektive aus tschechischer Sicht gefragt: Seine Antwort beschränkt sich auf den Hinweis auf die nächste Konferenz, die in Prag stattfinden wird.

Bei Konferenzen dieser Art geht es vorerst um Vernetzung und Information. Auffällig war deshalb das Fehlen der Grazer Architekt*innenriege sowie ihrer steirischen Berufsvertretung wie auch die Abwesenheit der Studierenden und der Professorenschaft der TU-Fakultät: Haben die hiesigen Architekt*innen die politische Verantwortung der auch von ihnen gebauten Umwelt bereits resigniert an EU-Berufspolitiker*innen abgegeben?
Die grundlegende, äußerst wünschenswerte Intention von „Building Europe“ sollte doch sein, dass auch auf höchsten politischen Ebenen Bautätigkeit nicht nur als geldbringender Wirtschaftsfaktor wahrgenommen wird, sondern als visionärer Zukunftsentwurf, der in einem kreativen Drahtseilakt sondergleichen eine extreme Beziehung zu einer mehr als bedrohten Umwelt und einer immer stärker gespaltenen Gesellschaft ausbalancieren muss.
Intervention, Beteiligung, und vor allem aktive und aufsässige Kritik vor Ort und zum rechten Zeitpunkt wären gefragt gewesen, um uns das berühmte „Nachjammern“ zu ersparen.

Anonymous

Das fehlende Interesse seitens der steirischen Architekten, der ZV, der ZT-Kammer Stmk (Kammer Ktn und Bund waren ebenso wie FH Joanneum, zumindest an einem Tag vertreten) und vor allem der TU Graz mit 13 Professoren / Instituten und entsprechenden Anzahl an Mitarbeitern ist erschreckend und gleichzeitig peinlich! Das Thema der Konferenz war politisch und inhaltlich wichtig.
Gerade der Konferenzteil in Maribor, wäre für einen Austausch mit dem Nachbarland / deren Universitäten naheliegend gewesen und eine engere Zusammenarbeit für die ganze Region wäre enorm wichtig.

Do. 14/10/2021 9:34 Permalink
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