19/10/2021

Schau doch! 12

Kolumne von Peter Laukhardt

Oberandritz – wie lange noch schutzlos?

Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

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19/10/2021

Bild 1: Oberandritz: die Altbauten im Luftbild – Nummern 1 bis 9

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Erhaltenswerte Bauten in Oberandritz: Räumliches Leitbild, Flächenwidmungsplan

©: Peter Laukhardt

Bild 3: „Langmann-Kreuzung“ mit Gasthaus "La Botte" ehem. "Lehsl", "Adamhof" und Sparkasse

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Kegelbahn beim ehem. Gasthof "Goldener Engel“, Stattegger Straße 51

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Herrenhaus der "Rielmühle"

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Wirtschaftsgebäude des "Bockschuster-Hofes", Weinitzenstraße 4

©: Peter Laukhardt

Im Buch Das andere Graz beschrieb 1980 der Andritzer Architekt Heimo Widtmann Oberandritz so: „ehem. Großweiler und wichtiger Verkehrsknotenpunkt am Zusammenstoß von St. Veiter Straße, Stattegger Straße, Weinitzenstraße und Rotmoosweg“. Ich ergänze: Eine Kapelle – zwei Gasthäuser – eine Kegelbahn – ein Kaufhaus – ein Teich – zwei Mühlen – ein „Schloss“, das ergibt schon eine ordentliche Siedlung. Die von Widtmann für Andritz allgemein konstatierte starke Deformierung der historischen Siedlungsstruktur durch die umgebende rege Bautätigkeit sowie durch die damit verbundene Aufnahme der Funktionen von neuen Kleinzentren, hat sich erfreulicherweise für Oberandritz nicht bewahrheitet. Dies, obwohl die befürwortete Unterschutzstellung der kunsthistorisch wertvollen Altsubstanz (Einzelobjekte und Ensembles) nicht im Altstadt-Schutzgesetz Aufnahme fand. Der alte Kern von Oberandritz blieb von störenden Neubauten weitgehend verschont, ein kleines Zentrum von Geschäften und Betrieben hat sich knapp außerhalb etabliert – ein gutes Beispiel für solche Nebenzentren (Bild 1). Die Frage ist nur, wie lange bleibt das noch so?

Auch vom Bezirksrat Andritz eingebrachte Versuche, das noch sehr geschlossene Bild entlang der Stattegger Straße zu schützen, sind bisher allesamt am Unverständnis der Stadtplanung abgeprallt. Es gelang SOKO Altstadt zwar, im Räumlichen Leitbild generell einen Bereichstyp „Dorfgebiet“ aufzunehmen (gelungene Beispiele: Fölling, Kehlberg), aber Oberandritz blieb leider ausgeklammert, der Wert des Ensembles trotz unserer Bemühungen unerkannt. Das Räumliche Leitbild 1.0 hat für den alten Weiler nur die den Typ „Straßenrandbebauung“ übrig gehabt, das ist nach Ansicht der Stadtplanung der vermeintlich richtige Weg, die abseits der Straße liegenden Wohngebiete vom Lärm und Abgasen zu schützen; „bewohnbare Schallschutzwände“ werden solche Bauten von Kritikern zynisch genannt. Auch der Flächenwidmungsplan hat hier nichts Gutes bereit: der nördliche Teil mit dem Adamhof und der Riel-Mühle ist als Gewerbegebiet mit einer Dichte bis 1,0 ausgewiesen (Bild 2). Perfekte Zutaten für eine Zerstörung des Ortskerns! Es ist jetzt zu hoffen, dass die neue Grazer Stadtregierung diesem rücksichtslosen Treiben ein Ende macht.

Die sogenannte Langmann-Kreuzung (benannt nach dem ehemaligen Kaufhaus, in dem jetzt die Steiermärkische Sparkasse logiert) ist ein Verkehrsknotenpunkt, der wenig Zeit zum Schauen lässt. Der lieblos asphaltierte Parkplatz der Tanzschule nächst der Kreuzung mit dem Rotmoosweg ist der gestalterische Schwachpunkt von Oberandritz. Das früher als Garten zum Kaufhaus gehörige Areal sollte als Park gestaltet werden, zumindest gehört er durch eine ausreichende Anzahl von Bäumen begrünt. Der an seinem Rand verlaufende Bach müsste durch eine Ruhezone zugänglich gemacht werden! Damit könnte ein Stück Natur den Menschen wiedergegeben werden. Aber, wenn sich die Stadt nicht bald zu einer generellen Umplanung bewegen lässt, ist zu befürchten, dass der Parkplatz einmal sogar zugebaut wird.

Vor Jahrzehnten gab es einen Vorschlag, die Stattegger Straße im Kern von Oberandritz weiter nach Westen zu verlegen; das hätte hier einen schönen Dorf-Anger am Bach entstehen lassen. Jetzt nimmt der Verkehr an der später ausgebauten Kreuzung ständig zu und eine Lösung ist kaum in Sicht.
 
Die wichtigsten erhaltenswerten Bauten von Oberandritz werden nun (Bild 1, Nummern 1 bis 9) kurz beschrieben, nähere Angaben finden sich auf der Homepage grazerbe.at:
1 – Stattegger Straße 49: eines der ältesten Häuser, schon am Plan von 1829 zu sehen. Es wurde wohl in der 2. Hälfte des 19. Jhs durch den großen Trakt an der Straße erweitert und mit einer sehr schönen Ostfassade versehen. In das ehemalige niedrige Stallgebäude parallel zur Straße wurden Wohnungen eingebaut. (siehe Link > Stattegger Straße 43)
2 – Das Gasthaus La Botte ehem. Lehsl, Stattegger Straße 51, ebenfalls ein schon ein 1829 bestandener Altbau, der um 1900 durch einen Umbau in seine jetzige Form mit dem Mansardendach am Nordteil gebracht worden sein dürfte (Bild 3). (siehe Link > Stattegger Straße 49)
3 – Das ehemalige Gasthaus Zum Goldenen Engel, ebenfalls ein Bau aus dem 19. Jh. Kaum beachtet, hat sich an der St.-Veiter-Straße die dazugehörige gedeckte Kegelbahn erhalten – eine Rarität in unserer Zeit und daher absolut erhaltenswert (Bild 4). (siehe Link > Stattegger Straße 51)
4 – Die Rielmühle mit Wohnhaus (Bild 5), Mühle und Wirtschaftsgebäude, wohl eines der bedeutendsten Ensembles der frühen Grazer Industriegeschichte. 1363 ist der Verkauf von "ainn hoff vnd ain mül gelegen zu Endercz" urkundlich überliefert. Dem Bundesdenkmalamt ist die schon oft vorgeschlagene Unterschutzstellung ein Anliegen, aber noch nicht geglückt. Bei einer möglichen Bebauungsdichte von 1,0 mag man das irgendwie verstehen, aber ... (siehe Link > Stattegger Straße 44)
5 – Der Adam-Hof, ein einzigartiger Bau mit einem seltenen Doppelgiebel, der zu einem Gewerbe-Areal gehört, das noch weitere gepflegte und erhaltenswerte Gebäude aufweist. Der Name "Adam" geht weit in das 19. Jahrhundert zurück und hängt mit der seinerzeit weiter oberhalb am Andritzbach gestandenen Pulver-Mühle zusammen. (sieh Link > Weinitzenstraße 1a)
6 – Der Bockschuster-Hof oder Kölbl, ein sehr gepflegter alter Bauernhof, der schon 1572 genannt wurde; das Wirtschaftsgebäude sticht mit schönen Stadelluken hervor (Bild 6). (siehe Link > Weinitzenstraße 4)
7 – Das Langmann-Haus, ein stattliches gründerzeitliches Wohnhaus, dessen ehemalige Fassadenzier man sicher wieder herstellen könnte.
8 – Die sogenannte Tropper-Kapelle mit dem kleinen Glöckchen und dem Altarbild der hl. Familie, leider zwischen dem Langmann-Haus und dem Parkplatz eingezwängt, gibt dem Ensemble den geistigen Beistand, hier hat man früher die Fleischweihe gefeiert.
9 – Der Strasserhof-Komplex, mit dem später aufgestockten ehemaligen Gesindehaus an der Straße. Eine Tafel weist auf den Komponisten Anselm Hüttenbrenner hin, den Freund Franz Schuberts, der seinen Lebensabend aber bei seiner verheirateten Tochter im Mühlengebäude, Stattegger Straße 28 a, verbrachte und da am 5. Juni 1868 verstarb. Der Andritzbach schlägt nach der Brücke einen Haken, weil einst geradeaus der Mühlkanal weiterlief. Die kleine Mühle zwischen diesem „Fluder“ und dem Wohnhaus ist im Kern noch erhalten. (siehe Link > Rotmoosweg 2 bzw. Stattegger Straße 28 a)

Historisches
Jetzt etwas zur älteren Geschichte von Oberandritz: Jendrica, schnell fließender oder rauschender Bach nannten die um das Jahr 600 n. Chr. in unser Gebiet einströmenden Slawen den heutigen Andritzbach. Das ist eine Zusammensetzung aus dem altslawischen Wort je(n)dru für stark, schnell und dem Suffix –ica, das bei den Slawen häufig bei Gewässernamen zu finden ist. Dieser schnell fließende Bach tritt an einem mystischen Platz, dem Ursprung in Stattegg, unvermittelt aus dem Schöcklmassiv ans Tageslicht und bildet einen Weiher, dessen Ruhm 1830 schon Kaiser Franz I. zu einem Besuch anregte. Das ständig reichlich fließende Wasser des Andritzbaches war schon früh willkommene Energie für eine Zahl von Mühlen, auf die ich gesammelt ein anderes Mal eingehen möchte. Direkt in Oberandritz waren es die heute noch als Gebäudekomplex erhaltene Rielmühle in der Stattegger Straße 42-44 und die Strasser-Mühle, Stattegger Straße 28 a, südlich der Kreuzung mit dem Rotmoosweg; mit dieser und dem Strasserhof befasste sich Karl Gruber historisch intensiver, was mir erlaubt, mit falschen Meinungen aufzuräumen.
    In Oberandritz gab es aber auch mehrere Ziegelgruben. Schon um 1400 wird im Montforter Urbar von einer Laymgruben gesprochen. Die Riedkarte zum Franziszeischen Kataster von 1820/29 zeigt einen Zigloffen zwischen der Langmann-Kreuzung und dem Ursprungweg. Und 1878 zeigt eine Karte noch die Wilhelmische Ziegelei an der Weinitzenstraße und kleinere Ziegelstadel an der Stattegger Straße. Dort ist vor einigen Jahrzehnten zwar ein (solcher?) Stadel abgebrannt, aber ein Zeuge dieser Zeit hat überlebt – der Riel-Teich, dem von der Stadt Graz besonderer Schutz eingeräumt wurde.
    Warum sich an diesem Bach gerade in Oberandritz mehrere Anwesen zu einem Weiler vereinten, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich gab es hier eine Furt an der Straße vom Annengraben in Richtung St. Veit; nach der Riedkarte des Franziszeischen Katasters von 1820-29 stellte aber nicht die heutige St. Veiter Straße diese Verbindung her, sondern der Beginn der Straße Am Eichengrund. Eine Theorie macht für das Entstehen des Weilers einen Ansitz verantwortlich, der sich beim heutigen Schloss Oberandritz befunden haben könnte, das sich östlich auf einer Anhöhe befindet (Ursprungweg 70). Die erste schriftliche Nachricht von Oberandritz vermittelt uns das sogenannte Marchfutter-Urbar im Steiermärkischen Landesarchiv, das König Ottokar II. von Böhmen als Herzog der Steiermark um 1268/69 niederschreiben ließ. Es führt alle Höfe auf, die dem für die Versorgung der landesfürstlichen Pferde verantwortlichen Marchfutter-Amt das nötige Hafer liefern mussten. Hier heißt es auf der Rückseite von Folio 48 knapp: De superiori Endritz iiij (von Oberandritz sind vier Schaff Hafer zu liefern; das waren rund 1500 Liter).
    Vielleicht war der abgabepflichtige Hof der Vorgänger des heutigen Schlosses in Oberandritz. Die dazu gehörige Meierei könnte der darunter liegende Bockschuster-Hof, oder Kölbl, Weinitzenstraß 4, gewesen sein, der 1572 allerdings den Windischgrätz zu Waldstein zinste; von hier führte früher ein Weg direkt hinauf zum Schloss. Dass dies nur eine Vermutung bleibt, ist durch die nur spärlich fließenden historischen Quellen begründet. Für das am Plan nicht mehr dargestellte Schloss Oberandritz verweise ich auf den ausführlichen Artikel auf der Homepage. (siehe Link > Ursprungweg 70)
    1192 erscheint in einer Urkunde Herzog Leopolds V. von Österreich ein Rudolfus de Stadekke als Zeuge, er war der Vater des gleichnamigen Minnesängers. Demnach hat also bereits damals die heute nur noch in Resten sichtbare Burg auf dem Stattegger Schloßberg beim Huberwirt bestanden. Nach dem Tod des letzten männlichen Sprosses der Stadecker belehnte tatsächlich Herzog Wilhelm zwar seinen Bruder Ernst mit dem ganzen Besitz, der nach den Stadeckern ledig geworden war. Im Gegensatz dazu verlieh aber König Ruprecht von der Pfalz am 26. April 1404 große Teile des ehemaligen Stadecker Besitzes, darunter die oede veste vnd das burgstal genant Stadekke bei Graez, als Reichslehen, wie sie die Herren von Stadeck einst innegehabt haben, an die Stadecker Erbin Guta oder Gutta, die zweite Gattin des Grafen Ulrich von Montfort-Bregenz.
    Der steirische Historiker Hans Pirchegger unterschied 1970 dabei deutlich diese öde Burg, von der am 18. Februar 1403 genannten veste Enndricz und das Nyderdorff daselbs, mit der die Montforter durch den Erzbischof von Salzburg belehnt worden waren. Auch die Verbindung mit dem Niederdorf, wobei es sich wohl um Unter Andritz (im 15. Jh. auch Nider-Andritz genannt) und nicht Neudorf unter Stattegg handelt, weise auf zwei verschiedene Festen hin. Nun sind wir also auf der Suche nach einer längst auch abgekommenen Burg in Unterandritz. Auch das Urbar, das die Erben der Stadecker, die Grafen von Montfort, anlegen ließen, bringt leider keine Lösung. So heißt es: weiter forschen.

Astrid Kohlfürst

Lieber Peter Laukhardt,
Nagl abserviert, aber welche Aufträge für Verschandelungen sind schon unterschrieben? Hoffen und beten.....bleiben Sie am Ball! Danke, Astrid

Mi. 20/10/2021 2:00 Permalink
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