21/12/2021

Schau doch! 14
Kolumne von Peter Laukhardt
mit Wünschen an die neue Grazer Stadtregierung

Die „Spiegel-Häuser“ der Prangelgasse in Graz-Eggenberg – ein vergessenes Baujuwel.  

Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

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Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

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21/12/2021

Bild 1: Die Spiegel-Häuser der Prangelgasse

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Dachhäuschen auf Prangelgasse Nr. 3, 5 und 7

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Prangelgasse 13 und 15

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Die beiden Eckhäuser zur Eggenberger Allee, Prangelgasse 1 und 2

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Plan der Eggenberger Straße 1905. Eingetragen: Wettendorfer Pilsner Bier

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Wolf Wettendorfer mit Gattin

©: Peter Laukhardt

Diesmal erzähle ich von einer Grazer Ecke, in der ich als kleiner Junge manchmal den Kirschgarten meiner Großtante Mitzi plündern dürfte. Vom Weltkulturerbe Grazer Innenstadt zum Weltkulturerbe Schloss Eggenberg führt eine städtische Hauptachse, gebildet von Annenstraße, Eggenberger Straße und Eggenberger Allee. Schon mehrfach habe ich kritisiert, dass die Stadt dieser Achse, die ja auch einen Welterbe-Korridor bildet, keine Beachtung schenkt. Den Abrissen der bedeutenden Villenanlagen auf Nr. 10 und Nr. 33 wurde kein Widerstand geleistet; auch das Denkmalamt fand keine Begründung für einen etwaigen Schutz.
Ähnlich ist es bei einer von der Eggenberger Allee nach Norden abzweigenden Straße, die spätgründerzeitliche Bauten aufweist, die wohl auch überregional von besonderer baukünstlerischer Bedeutung sind. Es sind die Häuser in der Prangelgasse 1 bis 15 und 2 bis 6 (Bild 1).
Das Einzigartige an der Architektur dieser Gasse ist, dass sich gegenüberlie-gende Häuser, die von sich aus schon durch lebendige Fassaden auffallen, auch noch „spiegeln“. Die durch Stiegen erreichbare Eingänge der Häuser sind schön gestaltet, und entweder durch Erker (Nr. 3 und 4) oder Balkone (Nr. 5 und 6) darüber geschützt. Das Haus Prangelgasse 7 bekam einen Balkon im 2. Obergeschoß, ist aber schon einfacher gestalte und hat auch kein Gegenüber mehr erhalten. Die westliche Straßenseite wurde aber mit den etwas weniger aufregend, aber mit Türmchen gestalteten Eckbauten zur Klopstockgasse Nr. 9 und 11 fortgesetzt. Die dann folgenden Häuser Nr. 13 und 15 sind wieder nach einem einheitlichen Entwurf, aber schon im Jugendstil, also einige Jahre später errichtet worden (Bild 3).
Die Dächer der Häuser sind fast alle von vornherein bewohnbar gestaltet; interessant dabei ist, dass fast alle diese Dachhäuschen eigenwillige Formen aufweisen, die sonst kaum auf Grazer Bauten zu finden sind (Bild 2). Am Trottoir (heute sagt man Gehsteig dazu) geben Ansätze von kleinen Vorgärten dem Ganzen auch einen grünen Anstrich. Was erst durch Betrachtung von Luftbildern klar wurde: die beiden Häuserfronten sind konkav gestaltet, in der Mitte des Ensembles liegen sie am weitesten auseinander.

Ich wollte nun den Schöpfern dieser Meisterleistung der Baukunst auf die Spur kommen. Aus dem Jahre 1907 haben sich im Stadtarchiv Graz Baupläne für die Häuser 1, 3 und 5 erhalten, die von Architekt-Baumeister Josef Petz und vom Bauherrn Heinrich Schmidt unterzeichnet sind.
Weitergeholfen hat mir dann nicht nur die Einsicht in die bei mir archivierten Stadtpläne, sondern vor allem die liebenswürdige Hilfe der Hausverwaltung von Prangelgasse 1, die im Zuge von Ausbauten auch die Fassade des markanten Eckhauses vorbildlich restaurierte – der Unterschied zum Eckhaus gegenüber ist deutlich, auch wenn letzteres ebenfalls kürzlich einigermaßen authentisch auf den Altbestand zurückgeführt wurde (Bild 4).
So ist es schließlich gelungen, doch etwas Licht in die Geschichte dieser Bauten zu bringen. Dass man beim „Wühlen“ in alten Zeiten immer wieder auch auf dunkle Perioden unserer Vergangenheit stößt, darf aber nicht dazu führen, diese traurigen Tatsachen beiseite zu schieben, wie es nach wie vor gerne gehandhabt wird.
Wie aus dem Wastler-Plan von ca. 1905 (Bild 5) gut zu erkennen, breitete sich am Areal westlich der heutigen Prangelgasse die Anlage des Pilsner Bier-Depots „Wettendorfer Söhne“ aus; es reichte sogar bis über die heutige Vinzenzgasse hinaus und schloss auch noch das heutige Objekt Eggenberger Allee 30 (später Brotfabrik Steiner) ein. Das noch heute ansehnliche Gebäude auf Nr. 84 der damaligen Eggenberger Straße (heute Eggenberger Allee 26) war das Herrenhaus. Auf dem Plan erkennt man noch weitere, ehemals renommierte Eggenberger Betriebe: In der Eggenberger Straße Nr. 6 die bekannte Gastwirtschaft „Zum Häuselbauer“ (der damalige Gastgarten ist heute der Parkplatz der Fa. Lidl), die Kerzen- und Parfüm-Fabrik Jacobi (an der Stelle der heutigen FH) und die Ed. Fünck Likör-Fabrik (heute Merkur-Markt); in der Alten Poststraße die Weinessig- und Likör-Fabrik Albert Eckert und die Stearin-Kerzen-Fabrik J. Hofmann (später Autohaus Robinson, heute Wohnanlage). Auch in den letzten Jahren abgerissenen schönen Villen Eggenberger Straße 91 (Eggenberger Allee 10) und 58 (Eggenberger Allee 33) sind eingezeichnet.
Was auffallen muss: Die Straßenbahn-Linie 7 weicht der Eggenberger Alle aus. Der Grund: der Besitzer der Allee, Graf Herberstein, lehnte es zunächst ab, die Führung der Tram über seine Straße zu gestatten, weshalb man über die Georgigasse ausweichen und dann erst über die Karl-Morre-Straße nach Süden abbiegen musste.
In die große, weiß gehaltene Fläche östlich des Bier-Depots wurde bald danach die Prangelgasse hineingebaut. Die mir von der genannten Hausverwaltung übersandte Kopie eines Plans zum Dachbodenausbau von Prangelgasse 1 zeigt den eigenhändig unterschriebenen Stempel „Architect u. Stadtbaumeister Josef Petz, Graz, Sparbersbachgasse 30, Telefon 433“. Architekt und Baumeister waren in der Gründerzeit oft identisch. Der Plan wurde am 22. Juni 1908 gezeichnet. Josef Petz hatte vorher ein ähnliches Projekt auf dem linken Murufer ausgeführt: die Wohnhauszeile Friedrich-Hebbel-Gasse Nr. 2-10 wurde von ihm in den Jahren 1905-07 für den Wiener Großindustriellen Albert Dub geschaffen. Trotz starker Fassadenvereinfachungen in der Nachkriegszeit hat sich auch dort der Ensemble-Charakter erhalten. In Eggenberg hat er aber wohl sein Meisterwerk realisiert.

Aber für wen bauten Heinrich Schmidt und Josef Petz hier wirklich? Ein Foto, mir ebenfalls von der Hausverwaltung in Kopie überlassen, zeigt als Vorbesitzer ein offensichtlich betuchtes Ehepaar, auf einem Fass sitzend und mit – leeren – Biergläsern in der Hand (Bild 6). Meine Annahme, es handle sich um den Besitzer des Bier-Depots Wolf Wettendorfer und seine Gattin, wurde dann durch Einsichtnahme in spätere Adressbücher zur Gewissheit. Dieser Wolf Wettendorfer gehörte der jüdischen Gemeinde von Graz an. Der Familienname – oft auch als Wettendorf geführt – bedeutet ziemlich sicher jemanden aus dem gleichnamigen, kleinen Ort etwas östlich von Steinamanger/Szombathely, heute Vép, in dem es eine jüdische Gemeinde gab.
Heinrich Schmidt wird in dem mir von Karel Kubinzky zur Verfügung gestellten Adressenbuch von 1909 als Bauunternehmer und Hausbesitzer in Eggenberg, Handelstraße 149, genannt. Er wird also die genannten Bauten nach den Entwürfen von Josef Petz errichtet haben, und das Haus Nr. 1 wird Wolf Wettendorfer erworben haben – sofern seine Identität aus dem Foto bestätigt werden kann.
Wir wollen nun Wettendorfers Grazer Spuren folgen – soweit sie in der Kürze zu klären waren: Erst ab 1861 durften sich Juden dauernd in Graz niederlassen. Einige Grazer fanden sich deshalb am 5. Oktober 1868 in „Japls Bräuhaus“ in der Annenstraße zusammen (heute La Tavernetta, Kosakengasse 12) und verfassten die Statuten für  eine israelitische Kultusgemeinde. Vom 10. Oktober d. J. wird folgendes Ergebnis der Wahl gemeldet: Als Vorstand wurde der Weinhändler Max Pollak und als dessen Stellvertreter Wolf Wettendorfer gewählt. 1874 wird ein Comptoir des Wolf Wettendorfer, Annenstraße 55, genannt; da dort 1906 noch die Kaufmannsgattin Theresia Wettendorfer wohnhaft war, können wir diese Adresse als Stadtwohnung ansprechen. 1879 berichtet die Presse über einen Angestellten, der seinem Dienstgeber, dem Getreidehändler Wolf Wettendorfer in Graz mit einem Geldbrief von 785 Gulden. entwichen sei. 1888 wird sein Name in Zusammenhang mit den Vorarbeiten zum Bau der 1892 fertiggestellten Synagoge am Grieskai erwähnt. 1889 wird er wegen nicht angemeldeter „Gefälle“ im Weinhandel zu einer Geldstrafe von 1252 Gulden verurteilt.  
Wettendorfer änderte bald wieder sein Gewerbe. Was er 1905 noch als Bier-Depot betrieb, wird 1907 lt. dem Kelly Directory of Merchants, Manufacturers and Shippers zum Petroleum Importer: Wettendorfer Wolf (at Algersdorf); auch 1912 berichtet die Petroleum-Zeitschrift über die Petroleumfirma Wettendorfer in Eggenberg, das Adressenbuch der Landeshauptstadt Graz von 1914 sagt: „Wettendorfer Wolf Söhne, Petroleum-, Öl- u. LdsProdEngros-Geschäft, I., Eggenberger Allee 26. T 252“, und 1915 spricht eine Statistik von einer Ölfabrik W. Wettendorfer Söhne in der Eggenberger Allee 26, ebenso 1921 das Petroleum Annual. Das weitere Schicksal des Unternehmens harrt noch der Bearbeitung.
Nicht bestätigen konnte ich eine etwaige Verwandtschaft zu dem 1882 genannten G. Wettendorfer, Produzenten von Weinbranntwein-Essenzen in Wien, Hernals, Veronikagasse 32, der 1889 als Material- und Farbwarenhändler aufscheint. Gleiches gilt für den 1895 in Baden tätigen Curarzt Dr. Alexander Wettendorfer.
Die „Vorsehung“ meinte es nicht gut mit der Familie Wettendorfer. Im „Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus“ ist das Adressbuch des Jahres 1938 – also vor dem „Anschluss“ – im Internet abrufbar. Darin finden wir auf den Häusern Eggenberger Allee Nr. 26, 26A, 26B, dann auf 30, 30A, 30B als Besitzer noch einen Wettendorfer Sándor, wohl ein Nachkomme. Wohnhaft war er damals in der heute noch bestehenden schönen Villa Rosenberggasse 47.
Im Adressbuch von 1943/44 scheint (in der jetzt Hermann-Göring-Allee genannten Straße!) – Sandor  Wettendorfer offiziell noch immer als Besitzer von 26, 26A und 26B auf; 30, 30A und 30B ist jetzt im Besitz der Brotfabrik Steiner. Die Villa in der Rosenberggasse ist auch in andere Hände gekommen. Die Einreise von Sándor Wettendorfer in die USA ist in Schiffsregistern dokumentiert, konnte aber von mir nicht genau datiert werden.

Zum Abschluss meine Wünsche an die neue Stadtregierung: Das einzigartige Ensemble der Prangelgasse ist auf wunderbare Weise durch Eigentümer und Investoren vor negativen Veränderungen bewahrt worden, jetzt gehört dies aber durch eine Altstadt-Schutzzone besiegelt. In diese Zone wäre aber auch gleichzeitig die nördliche Seite der Eggenberger Alle zwischen dem Eckhaus zur Alten Poststraße und der Vinzenzgasse einzubeziehen. So könnte auch das Areal des ehemaligen Bier-Depots mit dem schönen Herrenhaus bewahrt werden; übrigens ist auch das Hofgebäude 18 a noch aus jener Zeit erhalten geblieben, wie ein Vergleich mit dem Stadtplan von 1905 zeigt. Vergeblich bleiben wird wohl mein Anliegen, dass sich auch Architekten von heute die baukünstlerischen Leistungen ihrer Vorgänger zum Vorbild nehmen könnten.

Stefan Jaklitsch

Danke für den tollen Artikel.
Wir dürfen seit kurzem das Haus Prangelgasse 3 verwalten, mir ist auch gleich aufgefallen, dass die Häuser hier von der Architektur besonders sind, dass sie gespiegelt sind ist mir nicht aufgefallen.

Di. 21/12/2021 10:13 Permalink
Astrid Kohlfürst

Lieber Peter Laukhardt,
diese Gasse kenne ich sehr gut, da ich oft beim Billa Plus in Eggenberg einkaufe und dann durch die Seitengassen zu einem behinderten Freund fahre, um ihm die Einkäufe zu liefern.
Ich denke oft: lieber Gott, lass die Immo-Haie diese Gasse nicht entdecken, man taucht von der verschlimmbesserten Eggenberger Allee plötzlich in ein Viertel ein, das zeigt, wie ich Graz immer empfunden habe und das man jetzt bald mit der Lupe suchen muss.
Ich danke für diesen Beitrag und wünsche frohe Feiertage!
Astrid

Di. 21/12/2021 1:38 Permalink
Anonymous 64

Danke für diesen Beitrag, so wunderbar wie alles in dieser Kolumne!
Ja, die Prangelgasse kenne ich gut. Bekannte von mir haben einmal in einem dieser Häuser gewohnt und der Jugendstil-Dekor ist mir schon früh aufgefallen. Habe da auch Fassaden fotographiert. - Um die Villa von Eggenberger Allee Nr. 10 tut mir heute das Herz noch bluten. Ich hoffe inständig, dass jetzt ein Umdenken im Rathaus einsetzt!!!

Mi. 22/12/2021 8:23 Permalink
Netzwerktreffen
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