20/09/2023

Wahrnehmung und Erleben von Räumen gehört zu den grundlegendsten Erfahrungen von Kindern. Die Landesregierung und die Stadt Graz bekennen sich zur Baukultur. Der Einsatz von Autoreifen in Spielgärten öffentlich geförderter Kinderbetreuungseinrichtungen ist der Gipfel von BauUNkultur.

20/09/2023

GIP-Kinderbildung Reininghausstrasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Reifen im Spielgarten der GIP-Kinderbildung Reininghausstrasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

GIP-Kinderbildung Cool City

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Kinderbildung Cool City, Quelle: GIP

Der Spielgarten der Kinderbildungseinrichtung in der Cool City über der offenen Garage

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

GIP-Kinderbetreuungseinrichtung Vinzenz-Muchitsch-Strasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

GIP-Kinderbildungseinrichtung Handelsstrasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

GIP-Kinderbildungseinrichtung Handelsstrasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

WIKI-Kinderbetreuungseinrichtung Waagner-Biro-Strasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Freiraumqualität durch Architektenplanung, Architekturbüro Pernthaler, GIP-Kinderbildung Eckertstrasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Definition von Baukultur: (Quelle: 4. Baukulturreport)
„Der Begriff Baukultur bezieht sich auf gebaute Objekte, also Gebäude, Freiräume oder Infrastrukturbauten, Städte und Dörfer – aber nicht nur darauf, sondern auch auf die Abläufe, die damit zusammenhängen.“

Sowohl das Land Steiermark als auch die Stadt Graz bekennen sich zur Baukultur. Das Land hat 2009 die baukulturellen Leitlinien beschlossen. Die Stadt Graz bekennt sich im Grundsatz 9 des STEK 4.0. zu seiner gelebten Baukultur und verordnet zur Zielerreichung im §28 (7) u.a. folgende Maßnahmen:
- „Erhalt des Engagements der Stadt Graz für eine hochwertige Baukultur:
- Bekenntnis zu qualitätsvoller architektonischer Gestaltung und weiterhin Forcierung des Wettbewerbswesens bzw. anderer qualitätssichernder Verfahren zur Erreichung einer hohen städtebaulichen und architektonischen Qualität.“

Diese Bekenntnisse sollten – so möchte man meinen – dazu führen, dass Land Steiermark und Stadt Graz in ihren Zuständigkeits- und Wirkungsbereichen auch dementsprechend handeln.

Im Steiermärkischen Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz wird viel geregelt, aber in keinem der 70 Paragrafen finden sich Begriffe wie Baukultur, Architektur oder qualitätsvolle Gestaltung. Im § 42 werden Angaben zum Raumprogramm und den Freiflächen gemacht. Auch hier keine Angaben zu baukulturellen Qualitätskriterien. Zur Ausgestaltung von Freiflächen findet sich unter Punkt (3) lediglich dieser lapidare Absatz: „Für jede Kinderbildungs- und -Betreuungseinrichtung ist im unmittelbaren Anschluss an die Einrichtung ein Spielplatz im Freien mit möglichst 20 Quadratmeter je Kind, ab der 4. Gruppe möglichst 10 Quadratmeter je Kind, vorzusehen, der es ermöglicht, die Aufgaben der Kinderbildungs- und -Betreuungseinrichtungen (§§ 4 bis 6) zu erfüllen."

Das Nichterwähnen von Baukultur in einem Gesetz, das die Qualität der elementarpädagogischen Bildung und der dafür vorgesehenen Räume regelt, ist ein starkes Stück. Das Gesetz wurde erst 2023 novelliert. 2018 brachte das Land Steiermark in Erweiterung der 2009 beschlossenen Baupolitischen Leitsätze ein Argumentarium zum Themenschwerpunkt Freiraum heraus. Warum fanden diese Leitsätze keinen Eingang ins Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz?

Die Stadt Graz gewährt Trägern, die am einheitlichen Tarifsystem für städtische Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen teilnehmen, eine Trägerförderung nach Maßgabe einer eigenen Richtlinie. Im §3 Fördervoraussetzungen wird vieles geregelt, es finden sich jedoch keine Vorgaben hinsichtlich der Einhaltung architektonischer oder baukultureller Qualitätskriterien. Im Punkt 9 der Fördervoraussetzungen wird jedoch darauf hingewiesen, dass „der Betreiber verpflichtet ist, bei Führung und Betrieb der Kinderbildungs- und - Betreuungseinrichtung die Grundsätze der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.“  
Das städtische Amt für Jugend und Familie erklärte, dass das Land die Aufsicht über alle Einrichtungen habe, selbst sei man nur für die städtischen Einrichtungen verantwortlich.

In Graz gibt es 160 Kindergärten und 112 Kinderkrippen, davon betreibt die Stadt 44 Kindergärten und 18 Krippen selbst. Die meisten elementarpädagogischen Einrichtungen werden somit von gemeinnützigen Trägervereinen oder kirchlichen Einrichtungen geführt.

Bei diversen Stadtspaziergängen fiel mir auch die qualitätsbefreite Gestaltung der Freiräume von Kinderbildungseinrichtungen auf. Schockiert hat mich aber der Einsatz von Autoreifen. Gehäuft finden sich alte Reifen als Gestaltungselement in den Spielgärten der von GiP betreuten Kinderbildungs-einrichtungen. GiP betreibt 21 Kindergärten und 29 Kinderkrippen in Graz. Sieben Einrichtungen schaute ich mir von außen an, alle übrigen mittels Google Luftbild. Autoreifen gibt es nahezu überall.

Das Unternehmen GiP beschreibt sich in seinem Web-Auftritt so: „GiP– Generationen in Partnerschaft, ist eine gemeinnützige und überparteiliche Organisation, welche im Kinderbildungs- und -betreuungsbereich, mit vielfältigen Konzepten, dem Modell „Generationenhaus“ und hunderten engagierten Kolleginnen seit über zehn Jahren innovative Maßstäbe setzt. Das von Sonja und Peter Schwarz im April 2010 gemeinsam mit PartnerInnen aus dem Sozialbereich gegründete Unternehmen beschäftigt mit Stand 31.12.2022 über 500 Mitarbeiter*innen, die in neun Generationenhäusern, 69 Kinderkrippen- und 34 Kindergartengruppen täglich mit großem Engagement und Einsatz über 1.800 Kinder bilden und betreuen. Schwerpunkte in allen unseren Einrichtungen liegen auf der qualitätsvollen Entwicklung und Realisierung individueller pädagogischer Konzepte, die das Wohl der Kinder und der Eltern im Fokus haben.“

Ich erkundigte mich beim Verein GiP, warum dieser in seinen Kinderbildungseinrichtungen standardmäßig Autoreifen einsetzt. Die Antwort war verblüffend: Die Autoreifen seien Teil des pädagogischen Konzepts und mitgeplant. Sie dienen unter anderem als Kinderparcours und als Pflanzgefäße. Meine Bedenken, dass Autoreifen weder schöne noch gesunde Materialen sind, teile man nicht. „Noch niemand hat sich aufgeregt und den Kindern gefällt‘s.“ Auf meine Frage, woher man wisse, dass es den Kindern gefällt, kam die Antwort: „Die Kinder kraxeln ja darauf herum.“ Auf meine Frage, ob GiP für die Freiflächengestaltung Fachplaner*innen beauftrage, bekam ich die Antwort, man verstehe den Zweck meiner Fragen nicht, außerdem dürfe ich kein Personal befragen und auch alleine keine Einrichtungen betreten. Die Geschäftsführung schickte sogar ein Warn-Mail an die Mitarbeiterinnen, worin sie mich als verwirrte Dame bezeichnete, die Kolleg*innen belästige!!!! Lügen und Beleidigungen! In welches Wespennest bin ich da getreten?

Autoreifen enthalten viele chemische Substanzen, die allergen und krebserregend sind. Daher rät das deutsche Umweltbundesamt aus Vorsorgegründen von der Nutzung von Autoreifen als Spielgeräte in Kindergärten ab. Auch Reifenhersteller Conti erklärt, dass Autoreifen auf Spielplätzen nichts verloren haben. Ich erkundigte mich beim Referat für Kinderbildung und Betreuung (Land Steiermark), ob die Verwendung gesundheitsbedenklicher Autoreifen erlaubt sei. Sämtliche Spielgeräte würden von TÜV geprüft werden. Bezüglich Autoreifen gebe es keine Vorgaben und daher könne man diese auch nicht beanstanden. Von gesundheitlichen Gefahren, die von Autoreifen ausgehen würden, habe man bisher nichts gewusst. Ich möge die Fachaufsichtsleitung darüber informieren, möglicherweise wird etwas „angestoßen“.

Auch der Trägerverein WIKI setzt mitunter Autoreifen in seinen Einrichtungen ein.

Zum Schluss meiner Recherche bin ich ordentlich frustriert. Bloße Bekenntnisse zur Baukultur führen nicht ans Ziel. Es müssen Taten folgen. Land Steiermark aber auch die Stadt Graz müssen baukulturelle Qualitätskriterien von den Errichtern und Betreibern geförderter Kinderbildungseinrichtungen einfordern. Baukultur und das Wissen darüber beginnt in der Kinderkrippe. Wahrnehmung und Erleben von Räumen gehört zu den grundlegendsten Erfahrungen von Kindern.

Die Stadt Graz verwendet ausdrücklich keine Autoreifen in ihren Kinderbildungseinrichtungen.

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