18/09/2018

Filmpalast – 01

Filmkritik

PHAIDROS
von Mara Mattuschka,
Österreich, 98 Minuten
KIZ RoyalKino

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18/09/2018

PHAIDROS von Mara Mattuschka

Mara Mattuschkas Film über Platos gleichnamigen Dialog macht alle Drohungen in der Vorschau auf diesen Filmpalast wahr. Der Film fordert die Bereitschaft zu neuen Erfahrungen ein und setzt sich, indem er mit Genreregeln respektlos und virtuos spielt, über viele liebgewordene Empfindungs- und Sehgewohnheiten hinweg: Ein Viertel der Besucher (zwei von acht) verließ bei Phaidros den Saal2 im KIZ. Dafür verwandelte sich meine ursprüngliche Skepsis als bekennender Heterosexueller in tiefe Bewunderung und helles Amusement. Phaidros ist also das ideale Programm für diesen Filmpalast.

Erzählt wird von den Proben zu diesem Dialog über das Wesen der Liebe in einem Theater namens „Wiener Freihheit“. Die Schauspieler im gefilmten Theater wie im Film selbst leben und spielen die Essenz von Platos Dialog über die Liebe, sprechen sie manchmal sogar aus. Und bei aller Absurdität geht es bei ihrer Selbstverspieltheit auch immer wieder um Macht und Unterwerfung. Dass dieser cineastische Diskurs insgesamt in einem atmosphärisch schwer gesättigten Schwulenmilieu spielt, ist nur folgerichtig. Auch bei den klassischen Griechen war die ernsthafte Liebe eine Sache unter Männern.
Der internationale Theaterstar Werner Maria als Sokrates (Karl Maria B.?) will seinen jungen Kollegen Emil Bach alias Phaidros verführen. Aber Emil verliebt sich lieber in den „Transzender-Ladyboy“ Lorelei. Der alte Maurizuio, wiederum, bei dem Emil zur Untermiete lebt, ist eifersüchtig auf jeden und besonders auf den Werner Maria. Und die langjährige Beziehung zwischen dem Theaterstar und seiner geheimnisvollen, dominanten Schauspiellehrerin O., die ihrerseits Emil als neuen Schüler begehrt, ist im Auslaufen. Indem Mattuschka unterschiedliche Phasen der Liebe durchpermutiert, demonstriert sie, dass das Geschlecht nebensächlich ist.
Alle, mit Ausnahme von Emil, spielen ihre jeweils verschiedenen Liebesphasen überlebensgroß und mit Verve. Und jeder einzelne der grellen Truppe scheint in seiner gespielten Grandiosität der Liebe dichter auf der Spur, als ein beliebiger Hetero. Der genormte Mythos des Funktionierens wird durch opernhafte Mythen der Selbstinszenierung ersetzt, die „Großen Gefühle“ werden durch die gespielte Überlebensgröße echter als echt. Und der Realismus in „guten Filmen“ wird als Konvention entlarvt, Mattuschkas Protagonisten – Professionals oder Laien – verlustlos durch ihr Outrieren ersetzt.
Mattuschka kehrt das Innere ihrer Protagonisten in sorgfältig inszenierten Sets nach außen. Sie lässt sie in pompösn altmodischen Wohnungen, unheimlichen Häusern, Figurenkabinetten und immer wieder in überdekorierten Bars agieren. Dabei scheinen die einzelnen Aktionen in diesen reich mit Spiegeln versehenen Sets für sich genommen oft unbedeutend, insgesamt ergeben sie aber ein dichtes Netz aus Leitmotiven und einander überlagernden Leitmotiven a la „die Unschuld muss man sich erst erwerben“. Selten hat jemand ätzendere Kommentare zum Theater äußern dürfen, als Werner Maria: "Ich lass schon lange keinen Regisseur mehr an mich heran".  Und die trübe Vision vom düsteren Ende seiner Karriere besteht darin, „von einem Nachwuchsfilmer mit nichts in der Birne“ engagiert zu werden.
Mara Mattuschkas Film entzieht sich jedem Genre – Melodram, Theater- und   Literaturverfimung, Tatort, Revuefilm, philosophischer Diskurs – und bringt doch alle deren Elemente in einem virtuosen Metafilm zusammen. Die gefinkelte Erzählstruktur beginnt mit der Mitte der Geschichte, setzt dann mit dem Anfang fort und mündet genau zur Halbzeit wieder in der Mitte (Filmeröffnung). Eva Maria ist tot, überfahren, wer ist der Täter? Es gehört zu Mattuschkas Ironie, dass die ermittelnden Polizeitransvestiten statt eines Polizeiwagens einen burgunderroten Renault Clio fahren, und am Ende neckisch auf Stangen in einem Ballettstudio kreisend, resumieren, dass es zwar vier Mordverdächtige, aber in Wahrheit keinen Fall gegeben habe.
Mattuschka inszeniert nachdrücklich, ohne voyeuristisch zu werden, vermeidet sozusagen den besitzergreifenden männlichen Blick. Bei ihrem sexualisierten Welttheater denkt man an Almodovar, allerdings erscheint der Spanier verglichen mit Mattuschkas extremer Künstlichkeit, geradezu als Klassiker des Realimus. Die Tanzszenen in den Clubs erinnern an die Nachtclubszenen in den Filmen Melvilles, aber während dieser auf Vollkommenheit zielt, demonstriert Mattuschka immer wieder, wie gut schlechter Geschmack sein kann.

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