13/06/2023

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

13/06/2023

1_ Aus der Serie „Blaupausen“, 2022 (©Heinz Pöschko)

2_ Aus der Serie „Reservate“, 2012 (©Heinz Pöschko)

3_ Aus der Serie „Chalets“, seit 2021 (©Heinz Pöschko)

4_ Aus der Serie „Landstriche“, 2021 – 2022 (©Heinz Pöschko)

Irgendeine Firma für Fertighäuser stellt in ihrer Produktwerbung die Möglichkeit in Aussicht, das Haus ganz nach gewünschten Anforderungen gestalten zu können. Firma und Kunde würden gemeinsam das individuelle Traumhaus verwirklichen. Dem ist im Grunde ja nichts entgegen zu halten und das Prinzip der „Montagehäuser“ wurde auch nicht zuerst von Walter Gropius propagiert. Da steht zum Beispiel der inzwischen als Denkmal geschützte Alpengasthof Radwirt an der Hohen Veitsch, ausgewiesen als „ältestes Fertigteilhaus der Welt“. 1873 hatte sich der in Wien lebende Graf Franz Hardegg dieses Montagehaus von der Wiener Weltausstellung gekauft und es als Jagdhaus auf seinen Landsitz gestellt. Vielleicht könnte man sogar die offenbar nach Baukastensystem zwischen 1873 und 1919 in ganz Europa errichteten Opern-, Konzert- und Schauspielhäuser der Wiener Architekten Fellner & Helmer dem Prinzip des Montage- beziehungsweise Fertighauses zuordnen – zumindest entlang dem Gedanken, Individualität im Rahmen eines Systems zu ermöglichen.

Solcher Konfektionsware nimmt sich der Grazer Fotokünstler Heinz Pöschko in einer Serie unter dem Titel Blaupausen an – ein Wortspiel um die frühe Kopiertechnik, nach der Originalzeichnungen mittels Cyanotypie als Negative vervielfältigt wurden. Eingegangen in den Sprachgebrauch bezeichnet die „Blaupause“ etwas wie die Reproduktion des immer Gleichen, ein Muster sozusagen nach verlorenem Original. Die Serie digitaler Fotografien solcher Musterhäuser, aufgenommen 2022 in einem Musterhaus-Park, ist jeweils ins Negativ gewandelt und der Blauanteil im Bild wurde hervorgehoben. Gleiches wird mit Gleichem vergeldet (sic.).

In der Ausstellung der Galerie Marenzi sollen entsprechend dem Titel Zwischenräume (imaginierte) Korrespondenzen zwischen Fotoserien, Einzelbildern mit seriellen Strukturen respektive auch um Behausungen hergestellt werden. In mehrfachem Sinn entsteht damit ein harter Kontrast zu den Fotoserien der in Serien hergestellten Einfamilienhäuser, wenn in der schwarzweiß aufgenommenen Bildfolge Reservate die nun wirklich individuelle, wenn auch ehemalige Behausung eines Aussteigers in der Nähe von Graz gegenüber gestellt erscheint. Der sichtlich zwangsläufig auf pure Existenzbedingungen ausgerichtete Bau führt wiederum in den Vergleich mit Farbaufnahmen von Chalets. Was im selben Rahmen zunächst als die mehrfache Abbildung einer Fassade erscheinen mag, sind wieder die einander gleichenden Fronten mehrerer Häuser im Stil historisch alpenländischer Architektur. Diesen Aneinanderreihungen (im Bild) liegt allerdings keine Kritik an touristisch orientierten Geschäftsmodellen zugrunde. Vielmehr führt Heinz Pöschko hier mittels Fotografie einen Diskurs um den Wirklichkeitsgehalt der Abbildung gegenüber den existierenden Motiven. Mit Vilém Flusser, Günther Anders, Jean Baudrillard, wenn nicht Roland Barthes könnte man daran denken, dass wirklich nur ist, was sich Vervielfältigen lässt beziehungsweise durch die Vielfalt seiner Abbildungen erst zur Wahrnehmung führt. Dass die Abbildung des gleichen oder desselben per Standpunkt, per Arrangement des Motivs im ausgearbeiteten Bild manipuliert wird, macht schließlich den Fotografen zum Autor von Fiktion, die auf irgendeine Weise mit etwas Wirklichem in Verbindung steht. 

Sinngemäß etwa meinte Vilém Flusser, man „tanzt“ um das Motiv, stellt mehrere Abbildungen her und versucht – verzweifelt – ein „wahres Bild“ als Dokument der Wirklichkeit zu erzeugen.

Deutlicher noch wird dieser Ansatz bei Heinz Pöschko mit dem Konzept der Rotogramme (2022). Mehrere, nämlich immer weiter gedrehte Ansichten eines entrindeten Baumstammes zeigen Reliefs, die aus den Behausungen von Borkenkäfern entstanden sind. Abgesehen von den Strukturen, die an Schnitzereien denken lassen, ist man nach Pöschkos Darstellung geneigt, mehrere Baumstämme zu vermuten, wo es sich aber nur um ein und denselben handelt.

Ein Spiel – und Wortspiel – wiederum mit dem immer Gleichen führt Pöschko in der Serie Landstriche (2021 - 2022). Digitale Panoramafotos von Gebäudeensembles im Anschluss an nicht verbaute Areale werden in einem mittleren Bereich auf ihre Farbstruktur analysiert. Ein Farbbalken (wie ein Barcode) bezeichnet respektive interpretiert eine Datenmenge des Bildausschnitts. Dasselbe wird damit zum formal anderen und könnte – wie ein Bild gegenüber seinem „wirklichen“ Motiv – in Variationen interpretiert werden. Oder: Der „Barcode“ könnte auf irgendeine Weise dechiffriert werden zu einer Information, die auf anderes als das „ursprüngliche“ Bild verweist. 

Wie im richtigen Leben gilt es, Datenmengen zu interpretieren und es bleibt die Frage um das Vera icon. Dem Bild nun welcher Wirklichkeit?

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Heinz Pöschko, Zwischenräume. Bis 22. Juli 2023, Galerie Marenzi, Bahnhofstraße 14, Leibnitz.

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