11/07/2023

Wolkenschaufler_72
Der Ofen des Poeten

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

11/07/2023

Freiflughalle, Hong Kong

©: Zita Oberwalder

Walter Köstenbauer: “NO-GO-AREA – feat. E. Schiele“; 2015; Collage auf originaler Druckgrafik, 32 x 42,5 cm (Foto: Köstenbauer)

Walter Köstenbauer: „OH-LA-LA, WAS HAMMA DA !! – und wer findet Raffaels Bogenschützen?“; 2015 (Foto: Köstenbauer)

Walter Köstenbauer: „DIE WARME STUBE BLEIBT KALT – feat. Carl Spitzweg“; 2015 (Foto: Köstenbauer)

Ausstellungsansicht

©: UMJ/J.J. Kucek

Walter Köstenbauer: Profane Animalismen und andere Viechereien. Graz 2023 (Verlag edition keiper)

Im Müllcontainer einer Schule fand der Grazer Künstler Walter Köstenbauer entsorgte Schautafeln mit Tierdarstellungen für den Biologieunterricht. Damals, 1994, interessierte ihn zunächst eine Tafel mit Pfauen in der afrikanischen Savanne, in die er einen Van-Gogh-Himmel malte – Idee und Ausgang für Bildkonzepte, die in den folgenden Jahren ausgearbeitet werden sollten.

Weil solches Anschauungsmaterial für den Unterricht durch den Einsatz neuer Medien zusehends obsolet und deshalb an etlichen Schulen ausgemustert wurde, war es Köstenbauer möglich, über die Jahre eine Sammlung von Schautafeln mit Tier- und Pflanzendarstellungen anzulegen, die auch bald um hand- und altkolorierte Lithografien ergänzt wurde. Nachdem in den 1990ern im Kunstbetrieb allenthalben von einem Ende des Tafelbildes, will heißen der Malerei, die Rede war, nannte Köstenbauer sein von 1994 bis 2007 angelegtes Projekt Errettung des Tafelbildes. Ein Wortspiel um die vormals im Schulunterricht verwendeten Bildtafeln (großformatige Rollbilder), die nach Übermalung entsprechend Kunstterminologie als Tafelbilder bezeichnet werden.

In einer Kooperation mit der Neuen Galerie sind nun einige dieser Arbeiten in der Ausstellung mit dem Titel Viechereien inmitten von Präparaten der Schausammlung des Grazer Naturkundemuseums zu sehen. Die Tierdarstellungen auf den Rollbildern sind jeweils um Zitate aus der Kunstgeschichte erweitert beziehungsweise „featured“ Köstenbauer Künstlerinnen und Künstler von der Renaissance bis in die Gegenwart wie in LEICHTE BEUTE – feat. Christo und Jeanne –Claude (2002), in dem ein auf seinem Horst landender Adler neben einer verhüllten und verschnürten Vogelfigur erscheint.

Köstenbauers Sammlung umfasst inzwischen mehr als 100 von ihm überarbeitete Tier- und Pflanzenbilder, wobei der überwiegende Teil – und in der Schau davon etwa 30 Arbeiten – aus dem Folgeprojekt PROFANE ANIMALISMEN und andere Viechereien (2015 bis 2023) stammt. Dabei handelt es sich um Lithografien, die gleichfalls zu Unterrichtszwecken aus Bänden von Christian F. A. Kolbs Naturgeschichte des Tierreichs: ein Anschauungs-Unterricht für Schule und Haus gelöst worden waren. Köstenbauer fand die jeweils doppelseitigen Lithografien mehrerer Auflagen seit 1868. Die meisten dieser Blätter sind an den Rändern durch Klebebänder aus Papier vor Abnützung geschützt, tragen damit schon eine Art Rahmen, durch den allerdings auch die unten angeführten Bildlegenden teilweise unlesbar gemacht wurden. Nun sind es collagierte Details, die Köstenbauer einbringt und wieder featured er Kunstwerke von der Antike bis in die Gegenwart. Manche Tafeln muten an wie Wimmel- oder Suchbilder, im Titel beispielsweise die Aufforderung, nach einem „Bogenschützen“ (Amor) von Raffael in einer Umgebung von Schmetterlingen, Schmetterlingspuppen, Wasserpflanzen und einem Flamingo zu suchen. Der originalen Typografie aus der Naturgeschichte des Tierreichs entsprechend stehen jeweils am rechten Rand Titel wie DIE KLIMAERWÄRMUNG MACHT’S MÖGLICH – feat. Caspar David Friedrich (2015): In der Polarlandschaft mit Walross, Seekuh und Narwal findet sich auch ein Krokodil und irgendwo steht der Friedrichsche Wanderer über dem Nebelmeer (um 1818) in Rückenansicht auf einem Felsstück. Nicht zuletzt über Köstenbauers Werktitel und der bildlich inhaltlichen Verknüpfung entstehen immer wieder ironische, wenn nicht witzige Brechungen zwischen den Bildinhalten originaler Lithografie und collagierter Reproduktionen von etwa einem Bodenmosaik aus Aquileia, in dem Jonas auf seiner Flucht per Schiff von Seeleuten über Bord geworfen wird. Unter der Wasseroberfläche ist bereits der Wal zu sehen, der den Jonas verschlingen wird. Mit DO BLEIBST, JONAS! erzählt Köstenbauer aber ein eigentlich ganz anderes Ereignis in einer Seelandschaft mit Blindschleiche, Aal, Molch und Stör.

Spitzwegs Armer Poet dichtet auf dem einen Blatt in der Gesellschaft verschiedener Eulen. Auf einem nächsten Blatt werden die Dachschräge des Poeten und sein Regenschirm zum Gehege für Wachtel und Rebhuhn. Und im dritten wärmt sein Ofen nun Lemming, Hausmaus und Hamster.

Kurator Roman Grabner führt Köstenbauers Werkblöcke in einen weiter reichenden Kontext, wenn er die Arbeitsweise des Künstlers als „Montage“ bezeichnet. Die nämlich „ermöglicht es dem Künstler, die Festschreibung von Geschichte und Wirklichkeit nach anderen ‘Spielregeln’ ablaufen zu lassen“ und „neue wie originäre Querverweise und Verwandtschaften aufzuzeigen“, indem er nicht nur die Bildzeichen an- oder gegeneinander montiert, sondern auch Sprachspiele einbezieht.

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Die Ausstellung Viechereien von Walter Köstenbauer ist bis zum 5. November 2023 im Naturkundemuseum, Universalmuseum Joanneum, in Graz zu sehen.

Buch:
Walter Köstenbauer: Profane Animalismen und andere Viechereien. Graz 2023 (Verlag edition keiper); ISBN 978-3-903322-96-7; Euro 28,--

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