19/03/2021

Kultur im Bau?

Der Bauprozess ist hart umkämpft und damit auch die Rollen und Positionen, die damit einhergehen. Dabei geht es um Kosten, Macht, Einfluss und Verantwortung. Und dabei sollte es auch um Baukultur gehen – um eine Baukultur im engeren Wortsinn, von der wir letztlich alle profitieren! Es darf nicht auf die Baukultur vergessen werden, auch wenn auf die Wirtschaftlichkeit geachtet werden muss. Es braucht klare Qualitätskriterien und eine neue Kultur im Bau!

Bettina Landl berichtet vom TURN ON TALK anlässlich des Neubaus des MCI Management Center Innsbruck

Videomitschnitt
siehe Links unten

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19/03/2021

Zitat Margit Ulama, Festivalleiterin TURN ON, beim TURN ON TALK anlässlich des Neubaus des MCI Management Center Innsbruck

©: Bettina Landl

Zitat Daniel Fügenschuh, Vorsitzender Bundessektion der ArchitektInnen, Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen 

©: Bettina Landl

Zitat Peter Krammer, Mitglied des Vorstands der STRABAG SE

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Zitat Wolfgang Andexlinger, Leiter der Stadtplanung Innsbruck

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Zitat Sibylle Bucher, Dipl.-Architektin ETH SIA BSA, Zürich

©: Bettina Landl

„Wer baut Architektur? Wer macht Architektur? Wem gibt man die Gestaltungskompetenz für unsere gebaute Umwelt?“ führt Festivalleiterin Margit Ulama in den diesjährigen TURN ON TALK ein und betont die Brisanz des Themas. Den Anlassfall bildet der Neubau des MCI Management Center Innsbruck, der die Beantwortung der Frage, ob Architekturwettbewerb und/oder Totalunternehmerschaft noch drängender macht. Dabei geht es um zwei gänzlich voneinander getrennte Verfahrensweisen betreffend der Realisierung von Architektur und welches Modell in welcher Situation das geeignete Instrument darstellt. Und ob beide getrennt voneinander definiert werden sollen oder eine Anpassung denkbar ist.

Bewusst vereinfacht Festivalleiterin Margit Ulama die Positionen: Handelt es sich um einen Architekturwettbewerb, wird im Rahmen eines aufwändigen Verfahrens von einer Jury das beste architektonische Projekt prämiert. „Allein das ist ein anspruchsvoller, vielschichtiger und somit schwieriger Prozess, werden doch die ArchitektInnen des prämierten Projekts im Zuge dessen mit der Generalplanung beauftragt und berechtigt, die Realisierung und damit die Qualität der Umsetzung ihres Entwurfes zu steuern – von der räumlichen Konzeption bis zum Detail, bis zur Materialität. Das alles macht gute Architektur und Baukultur aus.“
Auf der anderen Seite steht der Totalunternehmer oder Generalübernehmer, der sämtliche Bauleistungen inklusive Planung verantwortet. Dieses Unternehmen beauftragt dann die ArchitektInnen, die FachplanerInnen, Handwerksfirmen etc. als Subplaner bzw. Subunternehmer. „Wenn man über den Totalunternehmer spricht, muss man auch über den wettbewerblichen Dialog sprechen. Das ist jenes Verfahren, das zur Auswahl des Totalunternehmers führen soll bzw. führt.“

Der Bauprozess ist hart umkämpft und damit auch die Rollen und Positionen, die damit einhergehen. „Dabei geht es um Kosten, Macht, Einfluss und Verantwortung. Und dabei sollte es auch um Baukultur gehen – um eine Baukultur im engeren Wortsinn, von der wir letztlich alle profitieren!“ betont Ulama.

Ein befürchtetes Finanzdebakel führte in Innsbruck zur Umkehr und man entschied sich, den laufenden Architekturwettbewerb zu stoppen und stattdessen einen Totalunternehmer mit diesem Projekt zu beauftragen. Dazu wurde auf das Instrument des wettbewerblichen Dialogs zurückgegriffen, das im europäischen Vergaberecht bzw. Bundesvergabegesetz geregelt ist. „Eigentlich wäre dieser Vorgang für besonders komplexe Materien vorgesehen und sollte für die Vergabe eben solcher Aufträge zur Anwendung kommen, wie zum Beispiel großer Infrastrukturprojekte. In der Praxis findet diese Verfahrensart jedoch immer öfter auch bei gängigen Bauaufgaben Anwendung, weshalb die Vorgangsweise rund um das MCI exemplarischen Charakter hat“ betont Ulama, und fragt danach, inwieweit diese Wendung auch richtungsweisend sein könnte? „In wessen Hände legt man das Bauen? In die der ArchitektInnen oder in die der Baukonzerne?“ Als „work in progress“ war es kaum möglich, zu Informationen zu kommen, heißt es vonseiten der Festivalleitung. Details zum Verfahren wurden nur wenige öffentlich gemacht, weshalb explizit Dokumente angefragt werden mussten. Externe BeraterInnen und QualitätsmanagerInnen sind aktuell mit der Entwicklung des neuen Prozesses betraut. Dabei ist auch ein Architekturbüro mit an Bord.

Die knapp einstündige Diskussion, die über die Webseite des Festivals gestreamt werden kann, sollte die sich gegenüberstehenden Positionen klar erkennbar und deren Unvereinbarkeit und geteiltes Missverstehen offenkundig werden lassen. Die „Sicht der Stadt“ vertrat Wolfgang Andexlinger (Leiter der Stadtplanung Innsbruck), eine „internationale Sicht“ verkörperte Sibylle Bucher (Dipl.-Architektin ETH SIA BSA, Zürich), Daniel Fügenschuh (Vorsitzender Bundessektion der ArchitektInnen, Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen) machte erneut seine Position zu neuen Verfahren wie im Falle des MCI klar, während Peter Krammer (Mitglied des Vorstands der STRABAG SE) als Vertreter der Bauwirtschaft in dieser Runde in der Minderheit war, aber deutlich die Haltung der STRABAG SE vermittelte, die immer wieder als Totalunternehmerin auftritt. Als Nachfolger Hans Peter Haselsteiners vertritt er nun als Branchensprecher den Fachverband für Bauindustrie und die Vereinigung industrieller Bauunternehmungen Österreichs.

Es wurde (gar nicht erst) versucht, eine Erklärung dafür zu finden, warum das erste Verfahren gescheitert ist. Die Gründe für den Verfahrenstop wurden nicht nachvollziehbar kommuniziert. Fügenschuh betonte als Schutzpatron des Wettbewerbsverfahrens die Bedeutung eines Findungsprozesses. Laut Vergaberecht müssen transparente Vergabeformen sichergestellt sein sowie eine Orientierung an Klein- und Mittelbetrieben und die Wahrung einer Baukultur. „Es macht nach wie vor Sinn, Planung und Ausführung zu trennen! Es ist völlig unverständlich, wie man nach Jahrzehnten von dieser bewährten Tradition abrücken kann.“
Krammer erwidert, der eine sei „ein vorgeschalteter Prozess, der andere ein nachfolgender“. Dabei möchte Krammer die beiden Bereiche nicht so strickt getrennt wissen. „Building Information Modeling wird immer wichtiger.“ Es sei eine integrative Notwendigkeit, Planen und Bauen ineinander überzuführen, was nicht bedeute, dass Totalunternehmer daran interessiert wären, jegliche Planungs- und Architekturbüros „aufzusaugen“. Es gehe vielmehr darum, Vertragsmodelle zu (er)finden, „bei denen PlanerInnen und Bauunternehmer ihr Optimum einbringen, um gemeinsam etwas für die NutzerInnen und den Investor zu schaffen“.

Diese Aussagen zeigen, warum Baukultur und die gesamte ArchitektInnenschaft enorm unter Druck geraten sind. Bloß weil es juristisch möglich ist, derlei Verfahren bei jedem noch so kleinen Projekt anzuwenden, dürfte nicht jeder Kindergarten in dieser Form abgewickelt werden, erklärt Fügenschuh. Dabei sind sich alle einig. Es gäbe eine „ganz klare Matrix“, betont Krammer. „Es wurde bereits klar festgeschrieben, wofür welches Vergabeverfahren sinnvoll ist. Der Architekturwettbewerb wird nicht infrage gestellt.“ Es gehe lediglich um Optimierung. Krammer zweifelt an den Kompetenzen aufseiten der ArchitektInnen, weshalb er diese nicht mit den gesamten Planungs- und Umsetzungsagenden betraut sehen möchte.

Bucher erläutert den „Gesamtleistungswettbewerb“, wie er in der Schweiz üblich ist. Dabei unterhält der Unternehmer die führende Rolle und beauftragt ArchitektInnen. Dieses Modell habe sich teilweise bewährt. Der große Unterschied ist dabei, dass sich Architekt, Unternehmer und Bauträger gemeinsam mit einem Projekt in einem Konkurrenzverfahren bewerben. Es gebe daher eine Gemeinschaft von Anfang an. Diese Verfahren kommen beispielsweise bei Stadienprojekten zum Einsatz. Hingegen hätte sich ein anderes Modell gut bewährt: „Indem ein konventioneller Architekturwettbewerb ausgeschrieben wird, sichert sich die Bauherrschaft ab, um überhaupt erst eine Bestellung formulieren zu können. Eine Generalunternehmerofferte erfordert eine hohe Bestellerkompetenz.“

„Ich habe durchaus Verständnis, dass die Baufirma und die Ausführenden früher einbezogen werden wollen. Ich bin aber der Meinung, dass der Totalübernehmer nicht die richtige Antwort darauf ist. Wir (Anm.: Kammer) vertreten die Ansicht, dass es eine Trennung zwischen Planung und Ausführung braucht, weil sonst die Kontrolle verloren geht. Die Partnerschaft, die man als Planer mit dem Bauherren hat, macht mehrfach Sinn. Bei komplexen Aufgaben ist es richtig unter laufendem Betrieb mit der Baufirma früher in Kontakt zu treten und dadurch die Abwicklung des Bauverfahrens und damit die Abläufe zu verbessern.“
„Die Trennung zwischen Planung und Bauausführung ist Schnee von gestern und ein österreichisches Spezifikum“
ist Krammer überzeugt. Es gehe allein darum, gemeinsam zum Wohle der NutzerInnen, der KundInnen ein Objekt zu errichten. Dabei solle jeder das einbringen, „was er am besten kann, in einer Art und Weise, die der Vertrag zulässt“.
Bucher ergänzt, dass es einen kulturellen Wandel im Verständnis der Totalunternehmer brauche. „Bislang sind das in der Schweiz sehr gewinnorientierte bauausführende Firmen. Anpassungen sollten in die Gestaltung des Modells einfließen. Es ist notwendig, das gemeinsam zu diskutieren!“
„Es darf nicht auf die Baukultur vergessen werden, auch wenn auf die Wirtschaftlichkeit geachtet werden muss“, so Andexlinger. Es ist fraglich, wer die Qualitätskriterien festlegt und wie Begriffe wie Baukultur definiert werden. Hier herrschen unterschiedliche Vorstellungen. „Es braucht Klarheit in Bezug auf Transparenz, Angemessenheit, (intellektuelle) Dienstleistungen und Gleichberechtigung aller Teilnehmenden. Es stellt sich vor allem die Frage, wer den Bauherren begleitet, wenn man eine Totalübernehmervergabe macht. Leistet man sich ein teures Qualitäts- und Koordinationsmanagement?“ Bucher streicht die unangenehme Verschiebung in Sachen Administration, Koordination und Verwaltung heraus, die sich in diesen neuartigen Verfahrensprozessen als Nebenerscheinung jedoch in den Vordergrund drängen. Dabei leide die Qualität der Projektbearbeitung. „Das ist die größte Gefährdung jener Sorgfalt, die ArchitektInnen bei ihren Bauten anwenden, weil diese während der Bauphase nicht mehr gefragt werden. Wenn der Bauherr diese Architekturleistung, für die er auch bezahlt, vom Totalübernehmer nicht einfordert, treten Probleme auf.“

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