24/01/2022

Eugen Gross, Werkgruppe Graz, erinnert sich an Friedrich Kurrent, der im Januar 2022 neunzigjährig verstorben ist. 1969 hatte Kurrent als Juror maßgebend die Grazer Ausstellung trigon 69 Architektur und Freiheit mitbestimmt, deren Rezeption auch international beachtlich ist.

Mit Sprechen über Architektur – Friedirch Kurrent stellt die ZV der ArchitektInnen Österreichs einen Vortrag Friedrich Kurrents vom 09.08.2020 online zur Verfügung. 

24/01/2022

v. rechts nach links: Fritz Kurrent, Ada Gsteu-Lücking, Konrad Wachsmann, Fotograf (unbekannt), Peter Schmid, Dame (unbekannt), Eugen Gross. Zusammentreffen in Salzburg.

©: Archiv Eugen Gross

Entwurfsprojekt der Teilnehmer*innen mit Fritz Kurrent und Johannes Spalt, Sommerakademie Salzburg, 1957

©: Archiv Eugen Gross

Innenansicht der Kirche in Parsch, Salzburg (abfotografiert, E. Gross, aus Buch)

©: Archiv Eugen Gross

Außenansicht Pfarrkirche St. Josef, Styer-Ennsleiten, mit Johann Georg Gsteu (abfotografiert, E. Gross, aus Buch)

©: Archiv Eugen Gross

Planzeichnung, Bildungshaus des Kollegs St. Josef, Salzburg (abfotografiert, E. Gross, aus Buch)

©: Archiv Eugen Gross

Szene der Geburtstagsfeier zum 80. Geburtstag von Fritz Kurrent in Sommerein vor der Ausstellungshalle für Maria Biljan-Bilger, 2011

©: Eugen Gross

Künstlerhaus Graz zur Ausstellung "Architektur und Freiheit", trigon 69, mit schiefer Ebene, 1969

©: Eugen Gross

Ausstellungsisometrie zu trigon 69 (Foto einer Seite aus dem Ausstellungskatalog)

©: Archiv Eugen Gross

Strukturgrafik, Organigram des Trigon Reflex Programms (Foto einer Seite aus dem Ausstellungskatalog)

©: Archiv Eugen Gross

Als ich Fritz Kurrent 1957 bei der Sommerakademie bei Konrad Wachsmann kennen lernte, hatte er schon mit seinen Partnern der ARBEITSGRUPPE 4, Johannes Spalt, Wilhelm Holzbauer und Otto Leitner, die Erweiterung der Pfarrkirche Salzburg-Parsch als frühes Schlüsselwerk der Nachkriegsmoderne geplant. In Salzburg unterstützten Kurrent und Spalt als Assistenten Konrad Wachsmann, der die Lehre als interaktives Werk gemeinsam mit den 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sah und neben dem Entwerfen die reflexive Phase der Zwischenbewertung vorsah. Diese für eine österreichische Architekturschule neue Arbeitsweise, die im Werk Wendepunkt im Bauen ihren Niederschlag fand, prägte auch Fritz Kurrent. Er überprüfte zeit seines Lebens seine intensiven Entwurfsprozesse, indem er auch Maß nahm an den österreichischen Vorbildern der klassischen Moderne der 20er – Jahre wie Adolf Lois, Josef Frank, Josef Hoffmann und dem Philosophen Wittgenstein. Diese erschloss er in Publikationen der Architektengeneration der 50er und 60er Jahre, der ich mich zugehörig fühle.

Kurrent wurde am 10. September 1931 in Hintersee in Salzburg geboren, besuchte die Gewerbeschule Salzburg und studierte anschließend bei Clemens Holzmeister an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Schon damals entwickelte sich eine Freundschaft mit Johannes Spalt, die in eine Partnerschaft mündete. Von 1968 – 1971 war er Assistent bei Ernst A. Plischke an der Akademie Wien, ehe er 1973 an die Technische Universität München berufen wurde, wo er das Institut für Entwerfen und Raumgestaltung leitete. Daneben hielt er Vorlesungen über den Sakralbau, ein Thema, das ihn aufgrund seines Bezuges zur Metaphysik interessierte. Gerade im Sakralbau sah er einen Reichtum an formalen Elementen, die als Ausdruck von Gemeinschaft von der Vergangenheit in die Gegenwart wirken.

Von seinen Studenten erwartete er ein gegenseitiges Lernen, indem er für Semesterprogramme nur eine Aufgabenstellung vorgab, um die Wahrnehmung der vielen Ausdrucksmöglichkeiten einer Aufgabe zu fördern.

Zu einem der frühesten Bauten der A4 – nach Ausscheiden von Leitner in der Diktion von Anna Lülja-Praun „Die Dreiviertler“, die ihr Stammcafé so nannten – zählt das Seelsorgezentrum Steyr-Ennsleiten, gemeinsam mit Johann Georg Gsteu 1958 geplant. Der mit einem höhergezogenen Portal zweihüftige Flachbau hebt erstmals die konstruktiven Elemente als X – förmige Tragglieder hervor, die den Kirchenraum in zweigeschossiger Gliederung in der Synthese von horizontalen und vertikalen Kräften bestimmen. Dies ist zugleich der Ausdruck der Wachsmann`haften Prinzipien wie der Neuorientierung des Kirchenbaus zum gemeinschaftlichen Seelsorgezentrum mit vielfältigen Funktionen.

Der katholische Missionsorden, der die Parscher Kirche an die A4 beauftragt hatte, ließ 1961 von den Architekten das Kolleg St. Josef in Salzburg-Aigen auf einem Parkgelände mit reichem Baumbestand errichten, das ursprünglich die Villa Trapp enthielt. Bei quadratischem Grundriss umschließen Funktionsräume zum Wohnen und Arbeiten einen zentralen Freiraum, der eine Kirche mit wechselnden Nutzungsmöglichkeiten birgt. Der in Stahl errichtete zweigeschossige Bau mit leichter Überdeckung kontrastiert in rot zum umliegenden Grün der Landschaft. Mit diesem Bau hat Kurrent die vielleicht nachhaltigste Visitenkarte hinterlassen, da er in seiner Maßstäblichkeit und konstruktiven Stringenz das Denken des Baukünstlers vermittelt.

Der Aussage von Friedrich Achleitner, dem Freund und Weggefährten, muss man zustimmen: „Friedrich Kurrent ist ein Moralist von der unbestechlichen, aber auch anstrengenden und unbequemen Art, dem man nicht leicht verzeihen kann, dass er meist Recht hat“. Dieser streitbare Zeitgenosse hat in zahlreichen Artikeln und Kommentaren zur Wiener Baupolitik Stellung bezogen und beispielsweise vorausschauend die Sanierung von Bauten wie des Alten AKH zur Schaffung eines UNI-Campus propagiert und aktiv mitgestaltet. Entwürfe sind entstanden für Sanierungen eines Baukomplexes in der Blutgasse und eines Hauses am Spittelberg. Auch Wettbewerbsentwürfe finden sich in seinem Portfolio wie das Museum der Stadt Wien am Karlsplatz und eine Wohnraumschule, die Klassen in freier Zuordnung um einen zentralen offenen Bereich sammelt. Neben einem Umbau der Zentralsparkasse Floridsdorf und einem Wohnturm in Krems sind auch kleine Bauaufgaben wie Einfamilienhäuser in Wien, Oberösterreich und Kärnten sowie eine Bergkapelle in Ramingstein aus Kurrents Feder hervorgegangen.

Die „Feder“ hat im Falle des „Raumdeuters“, wie er auch bezeichnet wurde, die Form von Bleistiftstummeln angenommen, die, so viele wie möglich, neben zahlreichen leeren Zetteln in seinem Sakko Platz fanden. Der leidenschaftliche Besucher von Antiquariaten hatte immer das Werkzeug des Architekten bereit, um interessante architektonische Aussagen zu notieren und Handskizzen zu machen, die später – vielleicht – für die Entwurfsarbeit von Wichtigkeit sein könnten. Er folgte damit seinem Mentor Wachsmann, der im Atelier keine Papierkörbe duldete, da alle, auch noch so kleinsten Gedankenskizzen, später wieder aufgenommen und entfaltet werden könnten.

Eine Bauaufgabe, die persönliche Züge zu seiner Lebensgefährtin Maria Biljan-Bilger aufwies, war an den kleinen burgenländischen Ort Sommerein mit seinen Kellergassen gebunden. Bereits 1967 entstand dort das Wohnhaus der Keramikkünstlerin – mit Bezug zu Graz als Absolventin der Ortweinschule – die an der Kunstakademie in Wien lehrte. Im Jahre 2004 entstand dann eine Ausstellungshalle für seine Lebensgefährtin, die im formalen Duktus ganz an die Kellergassen anknüpft. Mir war es vergönnt, dieses Haus anlässlich von Kurrents 80. Geburtstag 2011 kennenzulernen und die umsichtige Sorgfalt zu spüren, mit der er subtile Preziosen der Kunst mit der Architektur in Einklang brachte.

Seit dieser Zeit hatte er den Wunsch, in Wien am Schmerlingplatz in bevorzugter Lage eine Synagoge zu errichten, die er als Wiedergutmachung der den Juden in der NS-Zeit angetanen Leiden ansah. Dieser Wunsch ist bisher nicht in Erfüllung gegangen.

Bleibt zu erwähnen, dass neben dem Erfolg zahlreicher Publikationen auch Ehrungen nicht ausgeblieben sind wie der Theodor Körner Preis 1959, die Kulturpreise der Stadt Wien 1967 und 1979 sowie 2017 das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Mit Graz verband Kurrent seine Jury-Tätigkeit für die Dreiländerausstellung trigon 69, die dem Thema „Architektur und Freiheit“ gewidmet war. Gemeinsam mit Helmut Strobl, Jörg Mayr, Herbert Missoni und Richard Kriesche war ich damals für die Gestaltung der „Schiefen Ebene“ im Künstlerhaus, mit einem zentralen Objekt von SUPERSTUDIO, zuständig. Diese Ausstellung, die neben den ausgestellten Objekten erstmals eine Interaktion mit den Besuchern im „Trigon Reflex Programm“ vorsah, bereitete den Weg für weitere architektonische Interventionen, die schließlich in der sogenannten „Grazer Schule der Architektur“ mündeten.

Lassen wir aber zum Schluss den Meister sprechen: „Ich bin nicht nur Kurrent, sondern auch mein eigener Konkurrent“. Auch wenn er sich mit „Augenzwinkern“ als verhinderter Architekt sah, der nicht viel zu bauen vermochte, war er doch sich selbst treu als der TITAN, wie man ihn nennen kann, der ein Jahrhundert österreichische Kulturgeschichte prägte und der Architektur in Programm und Werk zu einer gesellschaftlichen Stellung verhalf, von der wir heute noch profitieren.

Für mich war er auch ein guter Freund, der mich immer etwas zerstreut anredete: „Servus Gross“.

„Servus Kurrent“.

 

Eugen Gross
Graz, 19.01.2022

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