08/02/2022

Kolumne
Wolkenschaufler_55
Kunst, Maschinen Realität

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

08/02/2022

The Next Rembrandt, Screenshot, Bearbeitung Mraček (www.nextrembrandt.com)

Das Bild zeigt einen Mann in niederländischer bürgerlicher Tracht des 17. Jahrhunderts mit dunklem Hut und weißer Halskrause. 

Um lernenden Algorithmen Rembrandts Malweise beizubringen, wurden 346 Originalgemälde mit 3D-Scannern untersucht, per Gesichtserkennung wurden für Rembrandt typische geometrische Muster gefunden, Farb- und Schichtanalysen vorgenommen. Aus den gewonnen Daten und Musterdateien kalkulierten GANs (Generative Adversarial Networks; erzeugende gegnerische Netzwerke) im Jahr 2016 das Pseudoporträt eines Niederländers im Stil des Meisters, das schließlich im 3D-Verfahren gedruckt wurde. Dabei wurde auch die pastose Oberfläche simuliert, als wäre sie mit Pinsel in mehreren Schichten aufgetragen. Bild und Projekt dieser Kooperation der TU Delft, des Mauritshuis und des Museum Het Rembrandthuis tragen den Titel The Next Rembrandt. Nach Aussagen der am Projekt Beteiligten handelte es sich jedenfalls nicht um den Versuch, Rembrandts Malweise zu kopieren. Vielmehr ging es um eine Umfassende Analyse der Arbeitsweise Rembrandts, an deren Ende die Summe der Erkenntnisse in Form eines anschaulichen Objekts stand. Man hatte etwas wie die künstlerische DNA des Barockmalers gefunden. Freilich ist damit auch der Werbeeffekt für die Museen und die Softwareentwickler verbunden. Software, mit der man in adaptierter Form auch andere Dinge bewerkstelligen könnte, etwa nach Personen suchen, Texte wie historische AutorInnen schreiben oder Musik wie die von Gustav Mahler komponieren.

Letzteres kann eine Maschine namens MuseNet, ein Deep Neural Network. Gefüttert mit allem Verfügbaren Material Mahlers erkennt auch MuseNet Muster in der Kompositionsweise und kann daraus „Vorhersagen“ kalkulieren. Gustav Mahlers unvollendete 10. Sinfonie wurde um circa sieben Minuten „vervollständigt“ und im Rahmen des Ars Electronica Festivals im Herbst 2019 vom Anton Bruckner Orchester uraufgeführt – quasi ohrengleich. Dirigent Markus Poschner merkte an, „in der Annahme eines „Blindversuchs“, würden wir der Maschine auf den Leim gehen“. „Aber“, fragte Poschner auch, „was bedeutet das Ganze?“, nämlich etwas, das, mangels anderer Bezeichnung, als „Kunstwerk“ aus einer Maschine kommt. „Es bedeutet nichts“, schließt der Dirigent, „es handelt sich nur um eine Simulation.“ (In Angelika Kellhammers Film Der Code des Künstlers, 2019) Eine Simulation ohne Autor, müsste man ergänzen.

Und nochmals Rembrandt. Ebenfalls 2019 analysierten Mitarbeiter des Amsterdamer Rijksmuseums abermals Rembrandts Maltechnik, um daraus „Malanleitungen“ zu entwickeln. Die entstandenen Texte wurden ins Neuniederländisch des 17. Jahrhunderts übersetzt. WissenschafterInnen von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh schrieben infolge ein Programm, das auf Basis von Rembrandts Selbstporträts, seiner Physiognomie, die Stimme des Malers rekonstruieren kann. Kopfanatomie und geschätztes Lungenvolumen seien neben anderen Parameter gewesen. Im Netz sind seither sechs zehnminütige Rembrandt Tutorials abzurufen, in denen der Meister van Rijn seine Malweise „mit eigener Stimme“ erklärt.

Freilich lebt niemand, der die Authentizität dieser Stimme bestätigen könnte. Einmal mehr werden hier wohl neuronale Netzwerke und GANs zur Mustererkennung an Stimmsamples von Personen zur Anwendung kommen, die Rembrandt ähnlich sehen. Die Funktion der Maschine kann damit umgekehrt werden. Aufgrund einer Stimmprobe könnte auf das wahrscheinliche Äußere einer Person geschlossen und die Maschinen aus dem Kunstkontext zur Überwachung verwendet werden. Ist das schon Realität oder Science Fiction?

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