07/09/2023

Im Gespräch mit Mitgliedern des Neuberg College, Thomas Kain und Thomas Kalcher (beide Studio Magic) und Felix Reinstadler (Versatorium), geht es um den Umgang mit Denkmalen und DenkmalschützerInnen, um Auf-Schiene-Sein und Entgleisungen, um Verortungen der Kultur, nichtökonomische Werte und nicht zuletzt um die Frage, warum es manchmal vorteilhaft ist, zu einem langsamen und behutsamen Vorgehen genötigt zu werden. 

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Aus dringlichen Gründen haben wir die Spätsommerpause unterbrochen, um das Interview zu veröffentlichen.

07/09/2023

Neuberg College, Außenansicht

©: Studio Magic

Neuberg College, Eingangsbereich

©: Studio Magic

Neuberg College, Innenansicht

©: Studio Magic

Neuberg College, Innenansicht

Neuberg College, Innenansicht

©: Studio Magic

Neuberg College, Toilette

©: Studio Magic

Neuberg College, Arbeitsprozeß ©: Versatorium

Neuberg College, Arbeitsprozeß ©: Versatorium

Der ehemalige Bahnhof in Neuberg an der Mürz aus der Gründerzeit wurde nach seiner Stilllegung durch die ÖBB von der Marktgemeinde erworben und stand dann mehrere Jahre leer. Im Jahr 2015 wurden Mitglieder von Versatorium, Verein für Gedichte und Übersetzen mit Sitz in Wien, auf das langsam verfallende Gebäude am Rand des Ortes aufmerksam, und zusammen mit dem Architektur-Kollektiv Studio Magic und in enger Zusammenarbeit mit der Gemeinde begannen sie, gemeinsam das Neuberg College aufzubauen. 
Im Gespräch mit Thomas Kain und Thomas Kalcher (beide Studio Magic) und Felix Reinstadler (Versatorium) geht es um den Umgang mit Denkmalen und DenkmalschützerInnen, um Auf-Schiene-Sein und Entgleisungen, um Verortungen der Kultur, nichtökonomische Werte und nicht zuletzt um die Frage, warum es manchmal vorteilhaft ist, zu einem langsamen und behutsamen Vorgehen genötigt zu werden. 

Ihr arbeitet nun schon lange an dem Projekt Neuberg College, könnt Ihr euch überhaupt noch an die Anfänge erinnern? 

Thomas Kalcher:
Für uns, also für das Studio Magic, hat es eigentlich mit der ersten Architekturtour 2015 begonnen, als wir mit einem Pop-Up-Büro von Bad Radkersburg quer durch die Steiermark nach Bad Aussee gefahren sind und Architektur für Speck und Knödel angeboten haben.

Thomas Kain: 
Der Verein Versatorium, der aufgrund der Ernst-Jandl-Tage in Neuberg war, hatte gerade den Bahnhof entdeckt, und suchte nach einem Partner, um dort eine Bildungseinrichtung zu entwickeln: Deren Inhalte und der Ort, an dem sie vermittelt werden, sollten gemeinsam wachsen. Bestehendes Wissen, bestehendes Gebäude, aber neu gedacht, neu diskutiert, neu interpretiert und so Neues generierend. 
Sie haben über einen Grazer Kollegen von unserem Projekt gehört und uns zu einem Gespräch eingeladen. Schon als wir uns zum ersten Mal an diesem Bahnhof getroffen haben, haben wir aus Abfällen vom Altstoffsammelzentrum neben dem Bahnhof provisorische Sitzmöbel für das kleine Lagerfeuer auf der Wiese vor dem Bahnhof gebastelt – die Feuerstelle gibt es heute noch.
Wir haben sofort gemerkt, wie sehr sich die Arbeitsweisen von Versatorium und Studio Magic ähneln. Bei ihrer speziellen Art der Übersetzung passiert viel im Gespräch, gemeinsam am Tisch sitzen, am Wort arbeiten, und bei uns passert ja auch viel im gemeinsamen Tun, beim Schrauben, Machen.
Die Grenzen zwischen den beiden Kollektiven haben sich an diesem Ort, bei dieser Aufgabe dann auch sehr schnell verwischt: Übersetzungen wie Architekturen entstehen durch Gruppenarbeit, durch einen Konsens, der verschiedene Möglichkeiten zulässt, ausleuchtet und respektiert. Mittlerweile haben sich die Arbeitsgebiete stark verschränkt.

Thomas Kalcher:
Nur PlanZEICHNEN tun noch immer wir. (lacht)
Am Bahnhof von Neuberg bilden und sind wir aber gemeinsam das Neuberg College.
Dabei wurden wir auch vom Black Mountain College in North Carolina inspiriert, das ja auch ganz viele Berührungspunkte mit dem Bauhaus hatte: Wissenschaft und Kunst sind gleichberechtigt, und das Wissen wird in einem demokratischen Prozess ausgetauscht: Wir lernen nicht VON EINER Autorität, sondern VONEINANDER. Das Neuberg College ist eine Alternative zu klassischen Bildungsinstitutionen. Hier wird disziplinenübergreifend gedacht, geforscht und gearbeitet, und jeder, der diesen Geist mittragen möchte, ist willkommen.

Felix Reinstadler: 
Gesetzlich gegründet wurde das Neuberg College dann in den Jahren 2018/19, als wir mit BürgerInnen, dem Bürgermeister Peter Tautscher und der Gemeindevertretung zusammen überlegt haben, wie man den Bahnhof wieder zu einem öffentlichen Ort machen kann, zu einem Ort, der auch ohne Gleise ein Netzwerk aufspannt. 
Das Neuberg College ist ein Verein für Übersetzung der Gesellschaft, und daher ist es auch unser Anspruch, diesen Bahnhof, der so abseits und beinahe vergessen neben dem Altstoffsammelzentrum vor sich hindämmerte, in die Gemeinde Neuberg zurückzuholen. Wir wollen einen gemeinsamen Raum für BürgerInnen, Gemeinde und College schaffen, wo nicht finanzielle oder kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen, und in diesem Sinn konnte zwischen Gemeinde und Verein ein Entwicklungs- und Zusammenarbeitsvertrag über 15 Jahre abgeschlossen werden.

Man sieht dem Bahnhof an, dass hier etwas entsteht, aber die Fassaden sind noch nicht auf Hochglanz gebracht? 

Thomas Kain: 
Das liegt einerseits daran, dass wir auf die Kulturförderungen von Land und Bund sowie auf Bedarfszuweisungen angewiesen sind, um die wir und die Gemeinde jedes Jahr neu ansuchen müssen, und dass auch dann das Budget nicht übermäßig groß ist. 
Wenn man wenig Geld zur Verfügung hat, muss man sehr genau überlegen, was einem am wichtigsten ist: In unserem Fall war das nicht das Äußere, sondern zunächst, dass man das Gebäude wieder nutzen kann, drin was machen kann. 
In den Jahren 2019/2020 waren wir damit beschäftigt, die Basics wiederherzustellen: Kanal und Wasseranschluss, Stromzufuhr. 
Dank der langen Planungszeit konnten wir diese Infrastruktur aber dann so anlegen, dass sie möglichst flexibel und für viele mögliche Nutzungen geeignet ist.
Von diesen ersten Arbeiten konnte man ja fast nichts sehen, aber sie waren notwendig, um die Station wieder bespielen zu können.

Habt Ihr ein fixes Raumprogramm für das College aufgestellt?

Thomas Kalcher:
Nein, es gibt sehr absichtlich kein festgelegtes Raumprogramm, sondern Anforderungen, die auftreten. Wir gehen von einzelnen Räumen aus, die dann entwickelt werden. Der Devise von Cedric Price folgend geht es nicht darum, einen Idealzustand zu erreichen, sondern darum, Potenziale aufzuspüren.

Thomas Kain:
Im Prinzip versuchen wir, den beschädigten Bestand zu reparieren, schädliche Einbauten auszuräumen und grundlegende Infrastrukturen herzustellen.
Alles andere, was nicht die Hardware, also die Grundstruktur und die Installationen betrifft, sehen wir als Software, wo wir in den Räumen einzelne Situationen auf Zeit testen können. Das bedeutet leichte Einbauten, die einfach adaptiert werden können.

Der Bahnhof in Neuberg steht ja unter Denkmalschutz – waren Eingriffe in die Bausubstanz deswegen besonders schwierig?

Thomas Kain: 
Nein, ganz im Gegenteil, die Zusammenarbeit mit dem BDA ist hervorragend. Wir hatten nie einen fertigen Plan, sondern sind mit unseren Ideen zu ihnen gegangen und haben in einem dialoghaften Vorgang miteinander gearbeitet. Das BDA wurde bereits beim Entwurf einbezogen, und hat das langsame, behutsame Vorgehen begleitet. Dr. Hilzensauer vom Landeskonservatorium Graz, der das Projekt wirklich immer unterstützt hat, weil er auch von der Vorgehensweise überzeugt ist, hat einmal gesagt, „Das Wichtigste ist, dass sich jemand um diese Bausubstanz kümmert“. 
Von Anfang an war klar, dass der Hofwartesaal in keiner Weise verändert, sondern nur restauriert oder konserviert werden darf, und das äußere Erscheinungsbild darf auch nicht verändert werden, aber im übrigen Inneren geht es um Feinabstimmungen. 
In der Küche befindet sich zum Beispiel ein Gesimse unter der Decke, das muss geschützt werden. Der Wanddurchbruch darunter ist kein Problem, vor allem dann nicht, wenn man auf alten Plänen sieht, dass hier ohnehin schon einmal einer war.

Felix Reinstadler: 
Tatsächlich haben wir uns ja von Anfang an sehr für die Baugeschichte interessiert – das hat uns sicher im Umgang mit dem Denkmal und dem Denkmalamt sehr geholfen. 
Als uns die bestehenden Umbauten und Eingriffe am Gebäude aufgefallen sind, wollten wir wissen, wie die ersten Ausführungspläne von 1875 bis 1879 ausgesehen hatten. 
Mit der Zeit hat sich eine kleine Bauforschungsgruppe gebildet, gemeinsam haben wir das Österreichische Staatsarchiv in Wien, das Archiv im Südbahnmuseum in Mürzzuschlag und das Landesarchiv in Graz besucht. In der Abteilung Verkehrsministerium haben wir eine kompetente Ansprechpartnerin gefunden.
Die Menge an Akten zu einem 150 Jahre alten Bahnhof ist ja immens, das sind viele Kisten, wo alle Unfälle, Neubesetzungen, Personalstand usw. dokumentiert sind. Wir waren einige Male ganztägig im Archiv, und das war in Coronazeiten zusätzlich schwierig. 
Irgendwann saßen wir aber tatsächlich vor diesen ersten Ausführungsplänen, wunderschöne Pläne, natürlich handgezeichnet, in einem unglaublichen Detailreichtum.
Die Ausstattung des Bahnhofes war beeindruckend, die Holzverkleidungen, die nicht mehr bestehen, die Deckenkonstruktion, oder das Vorhandensein einer eigenen Toilette nur für den Kaiser – alle anderen hatten ein Abort außerhalb des Bahnhofes zu benutzen.

Wie greifen die historische Bauforschung und die Aktionen auf der Baustelle ineinander?

Thomas Kalcher:
Wenn man sich die Zeit nimmt, das Gebäude auf sich wirken zu lassen, sieht man, wo etwas „falsch“ ist – und in den alten Plänen sieht man, wie es richtig war. 
Manchmal geht man ums Eck, und denkt sich, warum ist da eigentlich keine Tür, das würde ja Sinn machen? Und dann sieht man in den alten Plänen, aha, da war ja eine!
Und wenn man beweisen kann, dass hier im vorigen Jahrhundert tatsächlich eine Tür vorgesehen war, ist es überhaupt kein Problem, sie wiederherzustellen.

Thomas Kain: 
Das war auch beim Lavatorium so: Da waren WC und Duschplätze aus den 60er-Jahren, da wurde bis zu den Wänden betoniert, und ein Bogen wurde ausgemauert. Diese nachträglichen Einbauten waren Bauschäden, die den Raum kaputt gemacht haben, und die konnten wir wieder entfernen – und wir konnten auch den Bogen wieder öffnen. 
Mit diesen Argumenten ließ sich der Dialog mit dem BDA gut führen, weil sich nachvollziehen ließ, wie durch den Rückbau die Räume wieder konzeptuell zusammenhängen im Sinne der Gebäudetypologie.

Felix Reinstadler:
Für ein grundlegend besseres Verständnis haben wir auch allgemein zur Typologie der gründerzeitlichen Bahnhofsgebäude, der Hochbauten der Bahn, geforscht: Für deren Planung waren in Wien eigene Büros mit Architekten und Ingenieuren zuständig, die sogenannte „Normalienpläne“ oder „Standardpläne“ entwickelt haben – ein Baukastenprinzip, damit man diese ganzen Stationen relativ rasch in beliebiger Größe planen und errichten konnte.

Gibt es einen besonders überraschenden Fund in der Bauhistorie?

Felix Reinstadler:
Am meisten verblüfft war ich eigentlich über die Planung der freistehenden Toilettenanlagen, die bis ins Kleinste ausdetailliert waren: die Scharniere, die Handgriffe der Türen, der Griff für den Toilettendeckel, das ist faszinierend, wenn man sich das heute anschaut. Ich finde diese profanen Pläne der Toilettenanlagen mindestens so schön wie die der Holzkassettendecke im kaiserlichen Wartesaal.
Zudem gehörte eigentlich ein ganzes Ensemble zu dieser Station Neuberg, eine große Remise, ein Lagerschuppen, ein kleines Drehkreuz und ein Wasserturm. Es waren auch unterschiedliche Gartenanlagen geplant, die wahrscheinlich mit den kaiserlichen Empfangsräumen zusammenhingen.

Große Teile der Ausstattung und der Nebengebäude sind im Laufe der Jahre verloren gegangen oder wurden bei Umbauten entfernt. Gibt es Pläne, das wieder „originalgetreu nachzubauen“?

Felix Reinstadler:
Nein, und manchmal bin ich auch froh, dass bestimmte Dinge nicht mehr da sind. Es wäre eine eigene Forschungsfrage, zu untersuchen, wann und warum bestimmte Dinge entfernt wurden: Warum man das Sternparkett herausgerissen oder die Öfen entfernt hat, warum man einen Spiegel von der Wand genommen hat, oder die Wandvertäfelung. Oder auch der Abriss der Toilette für den Kaiser, das wäre doch auch toll, wenn man die noch hätte? Gleichzeitig ist es vielleicht für die Nachnutzung ganz gut, denn so lohnt es nicht mehr, die Bahnstation zu einem Museum zu machen, in dem gezeigt wird, hier hat der Kaiser gewartet, hier ist er aufs Klo gegangen. 
Das alles ist schon vor unserer Zeit entfernt worden, der kaiserliche Schmuck ist nicht mehr herstellbar. Eine mehr oder weniger gut laufende Touristenattraktion, wo sich die Leute einen KAISERBAHNHOF anschauen, der gar nicht mehr original da ist – das wäre die nächste Verrücktheit.

Der Kaiser kommt ja auch nicht mehr?

Thomas Kain:
Genau, es geht nicht darum, einen nostalgischen Vergangenheitsaspekt wiederherzustellen, sondern die Kernqualitäten in der Bearbeitung und der Neunutzung zu bewahren und diese in etwas Neues zu überführen. Die Qualität des Gebäudes war, dass es ein öffentlicher Raum war, dass es etwas Verbindendes war, ein Verkehrsanknüpfungspunkt. Das wollen wir in eine andere Dimension heben, halt ohne Schienen. 
Und seit dem Zeitpunkt, wo wir wieder Strom und Wasser hatten, gab es auch schon regelmäßig Veranstaltungen, Symposien mit internationaler Beteiligung und letztens ein Konzert, bei dem Traude Holzer, die auch die Greisslerei betreibt, gesungen hat.

Wie kann man dieses Gebäude räumlich bewahren, und ideell gleichzeitig etwas ganz Neues auf- und einbauen?

Felix Reinstadler:
Ich denke, unser Ansprechpartner Dr. Hilzensauer vom Denkmalamt schätzt dieses Projekt gerade deshalb, weil ein produktiver und positiver Umgang mit dem Gebäude gesucht wurde. Es geht ja nicht nur darum, diese Mauern oder dieses Äußere zu schützen und zu bewahren, sondern um einen gedanklichen Umgang mit dem Raum.
Es soll ein College entstehen, ein Bildungshaus, und jede Tätigkeit, die am Bahnhof passiert, muss auch dem ästhetischen, künstlerischen oder wissenschaftlich-forschenden Anspruch genügen. Das heißt, es ist nicht nur ein Ort, an dem etwas wiederhergestellt oder bewahrt oder konserviert wird, sondern wo aus diesem Bewahren gleichzeitig ein Verstehen der damaligen Planung und Ausführung wird. Was können wir daraus lernen, wenn wir ein solches Detail lesen, wie ist das alles mit heutigen Ansprüchen vereinbar?

Der Bahnhof wird also nicht als Hülle hergestellt, um das Neuberg College zu beherbergen, sondern ist schon das erste Projekt und Teil des College?

Felix Reinstadler:
Ja, das ist an diesem Projekt so wertvoll: Wir haben hier die Materialkunde, die Handwerkskunst, den Umgang mit alter Substanz – ein bisschen Kartause Mauerbach im Kleinen. 
Der neue Holzboden, der heuer eingebaut wurde, wurde genau in der Art und Weise gemacht, wie er höchstwahrscheinlich schon zu der damaligen Zeit eingebaut wurde: die gleiche Dicke, die gleiche Technik. Eine sehr schöne Arbeit, aber auch eine große Herausforderung.

Thomas Kain: 
Vor Ort gab es einen Tischler, den Herrn Rudi Prassel, der hat das mit seinem ehemaligen Gesellen, der heute auch eine Tischlerei hat, gemacht. Er wusste, wie es gehen muss, aber gemacht hatte er es auch noch nie. 
Er hat die Herausforderung fantastisch gemeistert. Und so geht auch dieses Wissen nicht verloren, sondern wird weitertradiert. Das ist etwas, was an diesem Projekt sehr wertvoll ist.

Wie gehen Denkmalschutz und Low Budget zusammen?

Thomas Kain:
Unser großes Glück war vielleicht, dass es immer nur sehr kleine Budgets gegeben hat. Wir konnten nur sehr langsam, von innen heraus, Raum für Raum, manchmal nur Fläche für Fläche, entwickeln, hatten so aber die nötige Zeit, um das Gebäude sehr genau kennenzulernen. Wir müssen in kleinen Stücken arbeiten, auch um die hohe handwerkliche Qualität zu halten.
Im jedem Sommercollege, wo wir zwei oder drei Wochen gemeinsam vor Ort waren, wurden diese ganzen Themen rund um das Gebäude gemeinsam erforscht und ergründet.
So konnte es gar nicht passieren, dass man sagt, jetzt wird einmal die linke Hälfte vom Gebäude komplett fertiggestellt. Es war kein Druck dahinter.

Thomas Kalcher: 
Es geht auch deshalb, weil wir eben keine „klassische“ Restaurierung anstreben, sondern weil es uns darum geht, das Ganze erstmal nutzbar zu machen: Was brauche ich, um dort Aktivitäten stattfinden zu lassen? Weil so vieles durch vorherige Baumaßnahmen beschädigt wurde, muss jetzt erstmal ein roher Grundzustand hergestellt werden, von dem aus das Gebäude weitergenutzt, weiter gepflegt, weiter repariert werden kann. Wenn momentan eine Reparatur zu teuer ist, helfen wir uns mit Provisorien. 

Wird man als Architekt nicht doch manchmal ungeduldig, wenn sich ein Projekt so lange zieht? Gibt es Ermüdungserscheinungen?

Thomas Kain:
Nein, eigentlich im Gegenteil: Jetzt, wo Corona vorbei ist, sollte es so richtig losgehen, und das Projekt macht uns sehr viel Freude. 
Die größte Schwierigkeit ist, dass durch die neuerwachte Aufmerksamkeit für dieses Gebäude, das nie wer wollte, plötzlich auch Begehrlichkeiten von anderer Seite entstehen, die auch Unterstützung bekommen, weil einige – hier wie immer und überall – sich nicht auf diese Art des prozesshaften Denkens einlassen wollen oder können.

Felix Reinstadler:
Wir haben einen auf 15 Jahre laufenden Vertrag mit der Gemeinde, und wir hoffen, dass Neuberg hinter uns steht. Es wäre schade, wenn diese Möglichkeit, die sich da auftut, zerstört werden würde. Dieses Projekt braucht Zeit, um sich entwickeln zu können, um seine Qualität zu entfalten. Diese Zeit sollten wir ihm widmen, und es nicht den kommerziellen Interessen Einzelner opfern.

Nachdem ihr bereits so viel Zeit, Energie und Liebe in das Neuberg College gesteckt habt, klingt das undenkbar. Aber nachdem die allgemeine Wertschätzung für Bildung, Kunst und Kulturarbeit in Österreich nun mal so ist, wie sie ist, ist es leider nicht unvorstellbar.

Danke für das schöne Gespräch!

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Nachwort:

Einige Tage nach dem Interview-Termin am 25. August 2023 wurde das Neuberg College darüber informiert, dass an die Gemeinde ein Angebot zum Kauf des Bahnhofs herangetragen wurde, das von einem Teil des Gemeinderats unterstützt wird. Anstelle eines offenen Ortes der Kultur soll ein Caféhaus entstehen. 
Am Freitag, dem 8. September 2023 findet deshalb ein offenes Gespräch zwischen dem Gemeinderat, dem Neuberg College und allen interessierten BürgerInnen statt, um die Zukunft des Bahnhofes zu klären.

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Dieser Artikel erscheint im Rahmen von GAT+.

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