21/02/2024

Bau- und Immobilienwirtschaft setzen schon seit längerem auf die (Nach)Verdichtung beim Wohnbau, ebenso die Grazer Stadtplanung. Argumentiert wird das jetzt gerne mit kurzen Wegen im Sinne einer 15 Minuten Stadt. Doch gerade dafür greift dieser Ansatz viel zu kurz. 

21/02/2024

Paris als Vorbild der 15-Minuten-Stadt © Paris En Common

Leitbild 15-Minuten-Stadt © Die Stadtgestalter

Bei einem Runden Tisch haben unlängst [November 2023, A.d.Red.] Vertreter der Bau- und Immobilienwirtschaft über die „15-Minuten-Stadt“ diskutiert, die Ergebnisse wurden im GRAZER publiziert. Es ging dabei vor allem um die Nachverdichtung in zentralen Lagen, wobei primär ans Wohnen gedacht wurde. Das ist jedoch eine sehr einseitige Interpretation dieses Konzepts, die aber nachvollziehbar ist, da sie den wirtschaftlichen Interessen dieser Branche entspricht. Bedenklich ist hingegen, dass auch die städtebauliche Praxis in Graz dieser Sichtweise folgt und damit die Idee einer ‚Stadt der kurzen Wege’ missbraucht und sogar untergräbt.  

Leben im Viertelstunden-Radius

Kern dieses Konzepts ist, dass Orte und Einrichtungen, die von Stadtbewohner:innen regelmäßig genutzt werden, zu Fuß oder per Rad innerhalb von 15 Minuten erreichbar sind (mehr zu Herkunft und Anwendung des Konzepts in den weiterführenden Links). Dies erfordert einen weitreichenden Umbau urbaner Räume, mit dem Ziel, Stadtteile wieder zu Versorgungszentren zu entwickeln, wo die meisten Bedürfnisse in einem Umkreis von 3-4 km gedeckt werden können. Jedes Stadtviertel sollte wie eine eigene, kleine Stadt funktionieren. Dies bedeutet einen tiefgreifenden Wandel der planerischen Herangehensweise. Nur eine gut durchdachte und geplante Durchmischung verschiedener Funktionen ermöglicht es, dass Wege kürzer werden und (Auto)Verkehr vermieden werden kann.

In solchen multifunktionalen Stadtvierteln würde das Auto seine Bedeutung als Fortbewegungsmittel verlieren. Straßen gehören folglich nicht mehr bevorzugt den Autos, sondern auch anderen Verkehrsarten. Und sie werden vermehrt zu Orten der Begegnung und Erholung. Der öffentliche Raum kann somit anders verteilt, teilweise entsiegelt und begrünt werden. Dies würde nicht nur die Lebensqualität der Bewohner:innen erhöhen, sondern hätte auch erhebliche Effekte hinsichtlich Umwelt und Klima (Verkehrslärm, Luftverschmutzung, CO2-Ausstoß etc.).

Zuletzt hat die Pandemie die Schwächen der städtebaulichen Trennung einzelner Funktionen klar aufgezeigt. Aufgrund dieser Erfahrungen und der verstärkten Nutzung von Homeoffice haben sich auch die Ansprüche gewandelt. Die Stadt beginnt vor der Haustür, die Bewohner schätzen die räumliche Nähe von Bildungs- und Versorgungsinfrastruktur und erkennen die Bedeutung von nahen Erholungsräumen, attraktiven Begegnungszonen und guter Luft.

(Wohn)Verdichtung ist ein falscher Zugang

Graz hätte durchaus gute Voraussetzungen für das Konzept der 15-Minuten-Stadt, denn es setzt sich aus gewachsenen Ortschaften zusammen. Doch gerade die Außenbezirke verlieren zusehends den Charakter ihrer Zentren, wichtige Funktionen und damit an Attraktivität als Lebensraum. Ein wichtiger Grund dafür ist die enorme Wohnbautätigkeit der letzten Jahre, bei gleichzeitiger Vernachlässigung anderer Funktionen und der Konsequenzen für den Verkehr.

Weder der Wohnbau noch die Nachverdichtung sind geeignete Ansatzpunkte für eine 15-Minuten-Stadt – sie können diese im Gegenteil sogar behindern. Etwa wenn die Ausschöpfung der maximalen Bebauungsdichte dazu führt, dass der angrenzende öffentliche Raum derart beengt wird, dass oft nicht einmal Platz für Gehsteige oder Radwege bleibt. Oder wenn Mindestabstände unterschritten oder versprochene Qualitäten von Gebäuden und Grünflachen nicht realisiert werden, wodurch die Lebens- und Wohnqualität für alle beeinträchtigt wird. Gerade in Kerngebieten kann Wohnen in Erdgeschosszonen andere Nutzungen verdrängen, die für eine Durchmischung wichtig wären. Durch die Schließung von Baulücken werden oft Freiräume beseitigt, die auch anderweitig genutzt werden und so zu einer Steigerung von Lebensqualität beitragen könnten.

Dichte braucht mehr Raum

Verdichtung allein ist noch kein städtebauliches Konzept. Wer dichtere Quartiere möchte, muss auch das ‚Dazwischen’ denken. Denn der Raum zwischen den Gebäuden und Wohneinheiten entscheidet über die Qualität und die Gestaltung des Lebensalltags. Dieser Zwischenraum ist auch prägend für das Stadtklima im weitesten Sinne. Verdichtete Strukturen benötigen deshalb nicht weniger, sondern mehr Raum – zusammenhängende Freiräume sowie Orte für Begegnung, Versorgung und Erholung. Verdichtung sollte zudem nur in Kombination mit Mobilität gedacht werden, insbesondere der Straßenraum hat eine Schlüsselrolle für die Gestaltung dichter Quartiere. Denn bei der 15-Minuten-Stadt geht es um die Schaffung von positiv wahrgenommener Nähe – und dazu gehört Vielfalt, Kleinteiligkeit und Aufenthaltsqualität.   

Eine 15-Minuten-Stadt erfordert daher die Verknüpfung von Wohnen mit den übrigen Daseinsfunktionen, die in ihrer Gesamtheit die Attraktivität eines Quartiers als Wohn-, Lebens- und Wirtschaftsraum ausmachen. Dies erfordert in erster Linie eine enge Verzahnung von Stadt-, Verkehrs- und Grünraumplanung. Und die Bereitschaft der Stadt, die Gestaltung und Nutzung von Gebäuden und Räumen aktiv zu beeinflussen. Dies soll weder dem Markt überlassen noch den Interessen von (Wohnbau)Investoren untergeordnet werden.

Die Möglichkeiten effektiver nutzen

Die neue Grazer Stadtregierung hat bereits einige Schritte gesetzt, die dem Prinzip der 15-Minuten-Stadt entsprechen: Die neue Mobilitätsstrategie mit ihrer Priorität für Fuß- und Radverkehr, der Ausbau von Radwegen und Öffentlichem Verkehr, die Einrichtung von Begegnungszonen (zumindest in Innenstadtlagen) und die im STEK verankerte Stärkung der Bezirks-/ Stadtteilzentren. Letzteres verlangt jedoch, dass die verschiedenen Maßnahmen gemeinsam geplant und koordiniert umgesetzt werden. Ansonsten bleiben diese Ansätze Stückwerk, ohne die Qualitäten einer 15-Minuten-Stadt je erreichen zu können.

Dafür bietet sich insbesondere die partizipative Erstellung von Stadtteil-Leitbildern an, die unlängst für den Bezirk Jakomini erprobt wurde. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass auch jene Personengruppen an der Erstellung beteiligt werden, die von einer 15 Minuten Stadt am meisten profitieren würden (und bei der Stadtplanung oft vernachlässigt werden): Frauen, Kinder, Personen mit Behinderungen und ältere Menschen.

Die funktionale Durchmischung eines Stadtteils sowie die Erreichbarkeit von Orten und Einrichtungen kann durch den Flächenwidmungsplan vorausschauend beeinflusst werden. Mit Bebauungsplänen hätte die Stadtplanung weitere Gestaltungsmöglichkeiten, die aber derzeit kaum genutzt werden. So könnten städtebauliche Analysen Grundlagen für eine standortgerechte Kombination von Verdichtungszonen und (Zwischen)Räumen liefern. Gerade in zentralen Lagen sollte auch der Bedarf an sozialen, kulturellen oder kommunalen Einrichtungen und deren räumliche Ansprüche erhoben und integriert werden. Damit könnten öffentliche Interessen bei der Planung berücksichtigt werden und in die Gestaltungsvorgaben einfließen (z.B. für Erdgeschosszonen). Nicht zuletzt sollten Verkehrsaspekte und öffentliche Räume als integraler Bestandteil von Bebauungsplänen angesehen werden.

Dipl. Dolm. Peter Laukhard

Danke für diese hervorragende Darstellung! Ich brauche ja wohl nicht erwähnen, dass in Graz die Bebauungsplanung immer noch an der Außenhaut der Gebäude endet. Ich halte überhaupt den Begriff für nicht mehr zielgerecht. In vielen Fällen geht es ja nicht mehr um Bebauung, sondern um Ersatz oder Einfügung oder Zubauen. Wo es keine Lücken gibt, werden sie einfach konstruiert, dann kann man künftig bis 40 m lange Ein- oder Zubauten auch ohne Bebauungsplan hinklotzen.
Was mir bei der Aufzählung der Elemente (in den weiterführenden Links) fehlt, ist: "das Ambiente". Parks und Grünflächen sind essentiell, aber es gibt ein wichtiges Qualitätsmerkmal, das den Aufenthalt "im Viertel" bestimmt. Es ist das "Stadtbild". Und da von der modernen Architektur nur in Ausnahmsfällen Stadtbild geschaffen wird, müssen wir uns viel mehr um das Bauerbe bemühen, das uns die Vorfahren hinterlassen haben. Und das kann nicht nur in der Innenstadt oder in Schutzzonen gefunden werden, es muss auch in der Peripherie gewahrt bleiben. Graz hatte ein so reichhaltiges Erbe an solchen Orten, und wir müssen sie als lebensfreundliche "Oasen in der immer mehr zur Betonwüste werdenden Stadt" pflegen. Dass dazu noch immer die richtigen Gesetze fehlen, ist dem Versagen der Politik zuzuschreiben.

Mi. 21/02/2024 19:49 Permalink
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