30/08/2023

Balkone mit Gehsteiganschluss und Dichtegeschenk für Investor - Stadtplanung vom Feinsten

Das Grazer Stadtplanungsamt erfüllt aus unerklärlichen Gründen leidenschaftlich Investorenwünsche und betreibt so Statt:Planung statt Stadtplanung.

30/08/2023

Balkonwohnen mit Gehsteiganschluss

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

geschöntes Projektrendering, Quelle: Tonweber

gebaute Realität

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

abweisender Laubengang zum privaten Innenhof

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Das Architekten-Spiel mit Öffentlichkeit und Privatheit ist gebauter Zynismus.

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

nüchterne Laubengangerschließung ist ein Fremdkörper und hat mit echter Blockrandbebauung nichts zu tun

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Balkonfassade zur Strasse ist ein städtebauliches Missverständis

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Orientierung der Balkone und Wohnungen zum ruhigen grünen Innenhof wären die städtebaulich korrekte Lösung gewesen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Privatgrundstücke der EG-Wohnungen mit vertraglich gesicherter Möglichkeit auf individuelle Gartenhütten

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

37 m2 WE Grundriss Spiegel, Quelle: S Real

Google-Luftbild des Bebauungsplangebiets

Dieses „städtebauliche und architektonische Meisterwerk“ in der Reininghausstraße 56 stammt aus der Feder von Architekt DI Helmut Zieseritsch. Der Entwurf folgte offensichtlich dem noch immer vorherrschenden Dogma, Südbalkone seien ein absolutes Muss für einen erfolgreichen Immobilienverkauf, auch wenn diese direkt an der Straße liegen und damit das Private zum Öffentlichen machen. Vielleicht wurden die Balkone ja deshalb im Rendering als Pseudologgien getarnt und den Erdgeschossbalkonen eine grüne Hecke vorgestellt. Diese Planung geht auf ein Bebauungsplanverfahren aus dem Jahre 2017 zurück. Für das Gebiet „Reininghausstraße – Karl-Morre-Straße – Bauernfeldstraße – Gaswerkstraße wurde zur „Sicherstellung einer geordneten Siedlungsentwicklung“ der Bebauungsplan 14.18.0 erstellt und im März 2018 beschlossen.

Das geschönte Schaubild des Architekten diente wohl auch dazu beim Stadtplanungsamt einige Vorteile für den Projektentwickler Tonweber herauszuholen. Immerhin nannte dieser seine Projektentwicklung „Smart Invest“. Der Architektenentwurf diente dem Stadtplanungsamt vermutlich auch als Gestaltungskonzept, auf welches im Erläuterungsbericht zum Bebauungsplan verwiesen wird. Die geschönten Renderings – viel aufputzendes Grün wurde vom Architekten auf fremden Nachbargrundstücken dargestellt – haben sich offensichtlich rentiert. Denn das Stadtplanungsamt erlaubte eine Dichteüberschreitung ohne Grenze nach oben und nahm trotz Vorgabe des Räumlichen Leitbildes keine Festlegungen für eine Nichtwohnnutzung im Erdgeschoss vor.

Sowohl die Dichteüberschreitung wie auch die Wohnnutzung im Erdgeschoss dienten ausschließlich den Interessen des Projektentwicklers. 
Eine Erklärung für die Dichteerhöhung findet sich im Erläuterungsbericht: 
„Die Überschreitungsmöglichkeit des Bebauungsdichtehöchstwerts soll Dachgeschoßausbauten in den Bestandsgebäuden ermöglichen. Im Bereich der Neubebauung ist die zukünftige Baumasse derart festgelegt, dass Überschreitungen nur in geringem Ausmaß zu erwarten sind.“ 
Diese Behauptung des Stadtplanungsamts wollte ich überprüfen und berechnete auf Basis des EG-Planes, der auf der Webseite des Architekten zu finden ist, die Bebauungsdichte des Tonweberprojekts. Sie beträgt 1,75-1,8 statt dem Maximalwert im Flächenwidmungsplan von 1,2.  Das bedeutet eine Überschreitung um 145 %!!!
Ein satter Gewinn für Tonweber. Dieser wickelte das 36-Wohneinheiten Projekt mit 35 Kleinstwohnungen und einer 3-Zimmerwohnung bis zur Baubewilligung ab und verkaufte es anschließend an die Projektentwicklungsfirma Wohnbau-Brunner weiter. 
Und da gierige Investoren auch kostengünstigste Erschließungen bevorzugen, wurde der 49 Meter lange Wohnbau mit nur einem offenen Lift-Stiegenhaus und einem 49 m langen Laubengang auf der ruhigen privaten Hofseite geplant und auch errichtet.

Der Laubengang zum grünen Innenhof ist ein Fremdkörper in dieser Gegend. Das Räumliche Leitbild schreibt hier angelehnt an den gründerzeitlichen Bestand eine Blockrandverbauung vor. Balkonwohnen zur Straße und Laubengänge zum Innenhof haben mit qualitätsvoller Blockrandverbauung nichts zu tun.

Dieses Projekt ist das absolute Gegenteil einer ordnungsgemäßen Siedlungsentwicklung, die mittels Bebauungsplan sichergestellt werden sollte. Der Architekt schien das anders zu sehen, hier ein Auszug aus seiner Projektbeschreibung: „Das am ganzen Projekt spürbare Spiel zwischen Öffentlichkeit und Privatheit bildet das Fundament für die Konzeptgestaltung und lässt den Wohnbau in einem zeitgenössischen Stil erstrahlen.“
Diese Beschreibung verdient es nicht einmal kommentiert zu werden, so absurd ist sie.

Zum Rendering, sei noch angemerkt, dass die dargestellte Hecke zwischen Gehsteig und den Balkonen niemals möglich gewesen wäre und somit reiner Verkaufsschmäh war. Denn der Bebauungsplan erlaubte nur direktes Anbauen an die Straßenfluchtlinie bzw. den Gehsteig. Leider sind auch Käufer diesem Trugbild auf den Leim gegangen. So erzählte mir der vor kurzem eingezogene Eigentümer einer EG-Wohnung, dass er dachte, es würde noch eine Hecke vor seinem Balkongeländer gepflanzt werden, nun sehe er allerdings, dass gar kein Platz dafür vorhanden sei. Er möchte sich nun einen höheren Sichtschutz zur Straße bauen! Ich erklärte ihm, dass das zwar verständlich aber gesetzlich nicht möglich sei. Im Kaufvertrag wurde auch vereinbart, dass die Eigentümer der EG-Wohnungen auf ihren abgezäunten Gartenparzellen im Innenhof Gartenhütten in einem bestimmten Ausmaß errichten dürfen.

„Von der Bau- und Anlagenbehörde wurde eine rechtliche Beratung durchgeführt und die Verordnung redigiert.“ Das schreibt der Referent unverblümt im Erläuterungsbericht.
Diese Form von Rechtsberatung ist nicht Aufgabe der Bau-und Anlagenbehörde und es stellt sich die Frage, ob wir Steuerzahler*innen dafür bezahlen. Die Mitarbeiter*innen im Stadtplanungsamt sollten mit dem Gesetzen und Vorschriften ausreichend vertraut sein, um einwandfreie Bebauungspläne zu erstellen. Siehe fachliche Voraussetzungen aus einer Stellenausschreibung weiter unten.
Leider ist das nicht immer der Fall. Auch die Aufsichtsbehörde FA 13 b bemängelte die vielen fehlerhaften Bebauungspläne und ersuchte schon vor längerer Zeit das Amt um ein Gespräch.  Stattgefunden hat das bisher noch nicht.

Wie lauten eigentlich die Jobvoraussetzungen für Referent*innen im Stadtplanungsamt, die ja im Falle von städtebaulich-raumplanerischen Gutachten und Bebauungsplänen als Sachverständige agieren?
Auf GAT findet sich eine Stellenausschreibung aus dem Jahr 2013 mit folgenden Anforderungen:

Fachliche Voraussetzungen

•  Abgeschlossenes Studium der Architektur bzw. Raumplanung

•  Erfahrung mit städtebaulichen Aufgabenstellungen durch mehrjährige berufliche Praxis – bevorzugt im Kontext eines Architekturbüros bzw. Raumplanungsbüros

•  Erfahrung in der Erstellung von Bebauungsplänen bzw. städtebaulichen Beurteilungen bzw. Erfahrung in der Platzgestaltung von Vorteil

•  Kenntnisse der bau- und raumordnungsrechtlichen Grundlagen sowie der Grazer Raumplanungsinstrumente Stadtentwicklungskonzept, Flächenwidmungsplan, Räumliches Leitbild

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