11/07/2023

Stadtplanungsamt in Geiselhaft der Investoren?

Mit dem Bebauungsplanentwurf 04.40 zäumt das Stadtplanungsamt wieder einmal das Pferd von hinten auf. Investoren liefern Konzepte, die höchste Renditen versprechen. Das Stadtplanungsamt segnet diese Projekte rückwirkend ab. Dabei wird gegen Gesetze, Verordnungen und eigene Zielvorgaben verstoßen. 

11/07/2023

Bebauungsplanentwurf 04.40, 3D-Visualisierung des Stadtplanungsamts

Planungsgebiet

Neubau Josefigasse 57 mit Einzelgutachten und Abstandsunterschreitungen bewilligt. Diese Abstandsunterschreitungen werden als Argument für weitere Abstandsunterschreitungen widerrechtlich herangezogen.

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Anstatt diesem Vorstadthaus ist 4-5-geschossiger Neubau mit Fenstern und Loggien an Grundgrenze baubewilligt.

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

druchgehende Traufe in der Gabelsbergerstrasse muss 8-geschossigem Eckturm weichen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

8-geschossiges Punkthaus darf respektlos vor vorhandene Baulinie springen und keinen Platz für Bäume lassen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

5m Grün-Baumstreifen am Freigarten wird vom Stadtplanungsamt nicht fortgeführt

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

vorhandener Vorgarten mit Bäumen sollte Leitbild für Bebauungsplan sein

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bäume auf Baufeld A des Investors werden durch Bebauungsplan nicht geschützt

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

4-5 geschossiger Bestand soll 8 geschossigem Eckturm weichen

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Für utopische Blockrandschließvision der Stadtplanung müssten diese Fenster weichen.

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Für das Gebiet „Am Freigarten – Josefigasse-Keplerstraße-Gabelsbergerstraße“ besteht Bebauungsplanpflicht zum Schutz und zur Revitalisierung von Innenhöfen und Vorgärten. Dennoch wurden in der Josefigasse 57 und 61 schon zwei Bauvorhaben ohne Bebauungsplan abgewickelt. Es wurden lediglich städtebauliche Gutachten eingeholt. Das städtebauliche Gutachten für Josefigasse 61 ist mit 22. Juli 2022 datiert und wurde interessanterweise sehr zeitgleich mit dem Bebauungsplan 04.40 von ein und demselben Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes bearbeitet. Historische Vorstadthäuser müssen einem 5-geschossigen spekulativen Neubau mit 100 % Wohnnutzung weichen, der als Assanierungsprojekt mit Wohnbauförderung gefördert wird. 

Das Stadtplanungsamt schenkte dem Investor eine Dichteüberschreitung von 1,4 auf 4,0 und ermöglichte gesetzeswidrige Abstandsunterschreitungen. Und weil die Investorengier noch nicht satt war, gab man noch Spiel- und Parkplatzbefreiung als Sahnehäubchen dazu. Das Stadtplanungsamt agierte als reiner Erfüllungsgehilfe für ein höchst rentables, aber fragwürdiges Investorenprojekt. In seinem Gutachten beschreibt DI Dröscher-Mentil akribisch das Neubauprojekt, das ein halbes Jahr davor bei der Baubehörde eingereicht wurde. Alle Überschreitungen und Übertretungen finden seine Zustimmung. Raumplanung nach der Einreichplanung ist wohl die verkehrte Reihenfolge. 

Nun zum Bebauungsplanentwurf 04.40
Auch dieser Plan folgt ausschließlich den Interessen des antragstellenden Investors BWSG. Nach genauer Betrachtung und erst recht nach der öffentlichen Präsentation durch die verantwortlichen Mitarbeiter*innen des Stadtplanungsamtes tun sich so einige Fragen bzw. Kritikpunkte auf:
Obwohl im Planungsgebiet viele Bausünden aus den 70er-Jahren in Form von dichter Hofverbauung und starker Versiegelung vorliegen und somit hoher Sanierungsbedarf besteht, konzentriert sich das Stadtplanungsamt hauptsächlich auf Festlegungen für die Grundstücke des Antragstellers. Für diesen kreiert es das Baufeld A. Auffällig ist, dass das Grundstück Josefigasse 61 fast nicht berücksichtigt wurde. Keine Rede von der im Einzelgutachten festgelegten und in der Einreichung umgesetzten Dichteüberschreitung auf 4,0. Ein Widerspruch zum laufenden Bauverfahren. Bei der öffentlichen Präsentation erfahren die Anwesenden so nebenbei, dass dieses Bauverfahren derzeit beim Landesverwaltungsgericht gelandet ist. 

- Warum legt das Grazer Stadtplanungsamt einen Bebauungsplanentwurf vor, der im eklatanten Widerspruch zum Baugesetz und wesentlichen planerischen Zielvorgaben der Stadt, wie dem Flächenwidmungsplan, dem Stadtentwicklungskonzept, der Stadtklimaanalyse und der seit Oktober verpflichtenden klimaorientierten Stadtentwicklung steht?

- Warum gibt es kein Gestaltungskonzept der Stadtplanung, sondern vom Investor erstellte Projektstudien, aus denen das Konzept von Gangoly & Kirstiner Architekten ausgewählt wurde? 

- Warum wird diese Studie in der Informationsveranstaltung nicht gezeigt, sondern nur ein absurd anmutendes 3D Modell der möglichen Baumassen? Warum diese Geheimniskrämerei? 

- Warum schreibt das Stadtplanungsamt von einem „zugrundeliegenden Projekt“ des Investors und beschreibt dieses akribisch und parteiisch? Offensichtlich wurde auch hier das Pferd verkehrt aufgezäumt. Statt Festlegung wichtiger städtebaulicher Rahmenbedingungen, die die Interessen der Stadt, der Anrainer*Innen und des Investors abwägen und in Einklang mit klimaorientierter Stadtentwicklung bringen, wird das gewinnorientierte Projekt des Investors abgesegnet.

- Warum wird die durchgehende Traufhöhe der Gabelsbergerstraße zugunsten eines gebietsfremden 8-geschossigen „Punkthauses“ aufgegeben, obwohl laut STEK Verdichtung von Beständen unter Berücksichtigung des Gebietscharakters erfolgen sollte? 

- Warum wird der vorhandene 5 m breite Vorgartenbereich beim Baufeld des Investors nicht weitergeführt und keine Fortführung der Baumreihe ermöglicht und damit gegen die 2022 im Gemeinderat beschlossene „klimaorientierte Stadtentwicklung“ verstoßen? Diese legt u. a. fest:
„Ein attraktives Angebot an lebenswerten, öffentlichen Räumen mit ausreichend Grünräumen inkl. Baumstandorten ist ein selbstverständlicher Bestandteil einer interdisziplinären Strategie für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung. Die Entwicklungsziele für eine klimaorientierte Stadtentwicklung sind in Fachstrategien und Raumordnungsinstrumente aufzunehmen.“ 

- Warum wird dem Investor eine Überschreitung der Bebauungsdichte von max. 1,4 auf 2,26 ermöglicht? DI Mahr, Referatsleiterin Bebauungsplanung, begründete auf Nachfrage von Anrainer*innen dies so: „Wir geben die Dichte, die der (zum Abbruch vorgesehene) Bestand auch hat.“ 
In der Verordnung des Bebauungsplanentwurfs steht: „Die Bebauungsdichte für Baufeld A wird gemäß § 3 der Bebauungsdichteverordnung mit 2,26 festgelegt.“ Auszug aus dem zitierten Paragrafen der Dichteverordnung: 
(1) Die im Flächenwidmungsplan und in §2 angegebenen Höchstwerte der Bebauungsdichte können durch Festsetzungen in einem Bebauungsplan bei Vorliegen von städtebaulichen Gründen oder aus Gründen des Ortsbildes überschritten werden. Als derartige Gründe kommen insbesondere jene der Verkehrserschließung, einschließlich der Vorsorge für den ruhenden Verkehr, der Versorgung durch öffentliche Einrichtungen, der Einfügung in die umgebende Bebauung, Ensemblekomplettierung, städtebauliche Schwerpunktsetzungen, Dachraumausbauten und Zubauten in Betracht.
Alle diese Gründe liegen hier nicht vor.

- Warum wird ein Baufeld B für das Grundstück einer 10-geschossigen Eigentumswohnanlage festgelegt, für das kein Bauwunsch besteht? Dennoch beschäftigt sich DI Dröscher-Mentil in Form einer Fleißaufgabe damit und plant eine utopische Blockrandschließung zwischen Baufeld B und dem Projekt für Haus Josefigasse 61. Um das realisieren zu können, müssten die (80!) Eigentümer*innen von Baufeld B auf Fenster verzichten. Hier fehlt es gehörig an Sachverstand! 

- Warum erlaubt das Stadtplanungsamt gesetzeswidrige Abstandsunterschreitungen? 
Im Erläuterungsbericht findet sich folgende „schräge“ Begründung: „Abstandsunterschreitungen sind demnach innerhalb der Blockrandbebauung ebenso als typisches Element im Bestand vorhanden.“ 
Abstandsunterschreitungen sind laut Stmk. Baugesetz § 13 (7) für Gebäude auf demselben Bauplatz und (8) nur für Nebengebäude, oder wenn dies im Interesse des Ortsbildschutzes, der Altstadterhaltung, des Denkmalschutzes oder der Erhaltung einer baukulturell bemerkenswerten Bausubstanz liegt. Das alles trifft hier nicht zu und ist daher gesetzeswidrig.

Und zum Schluss die wichtigste Frage:
- Warum bringt der Gemeinderat gesetzeswidrige Bebauungspläne zur Auflage und beschließt diese in der Regel auch? Warum handelt der Gemeinderat entgegen seines einstimmigen Beschlusses zur klimaorientierten Stadtentwicklung? Gemeinderat und die verantwortlichen Politiker*innen begeben sich damit auf gefährliches Terrain.

Info: Der Plan ist im Entwurfsstadium und kann also noch geändert bzw. verbessert werden. Einwendungen seitens der Grazer Bevölkerung sind noch bis 13. Juli möglich. 

Dipl. Dolm. Peter Laukhardt

Was sich in Graz die Stadtplanung erlaubt, ist einfach unfassbar. Da werden alle Vorkehrungen durch übergeordnete Planwerke einfach negiert und durch krause Begründungen genehmigt.
Wenn hier die Stadtregierung nicht endlich eingreift, werden wohl Gerichte das Grazer Planungsgeschehen unter die Lupe nehmen müssen.

Mi. 12/07/2023 13:04 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+