23/08/2021

Salzamtsgasse 6 – ein Appell

Bettina Landl zur Unsichtbarkeit von historischen Figuren im öffentlichen Raum anlässlich des FrauenStadtSpaziergangs Hidden Figures im Rahmen der Ausstellung Ladies First! – bis 19. Sept. in der Neuen Galerie Graz.

Weiterer Termin des FrauenStadtSpaziergangs Hidden Figures: 10. September 2021

Noch erinnert keine Gedenktafel daran, dass in der Salzamtsgasse 6 in Graz die Künstlerin Therese Eissl wohnte und hier ab 1831 eine Mal- und Zeichenschule für Mädchen führte. Möchte man jedoch als Stadt, als Gesellschaft, eine lebendige und zeitgemäße Erinnerungskultur pflegen und das kulturelle Gedächtnis entsprechend „vervollständigen“, ist das Anbringen von Zusatztafeln (an Wirkungsstätten), insbesondere von weiblichen Akteur*innen, im Stadtgebiet unumgänglich.

23/08/2021

FrauenStadtSpaziergang "Hidden Figures“ – Auf den Spuren steirischer Künstlerinnen von 1850-1950 in Graz" am 28. Juli 2021; Herren(?)gasse, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt

©: Bettina Landl

Vor der ehemaligen „Ständischen Zeichenschule“ in der Hans-Sachs-Gasse 1, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt

©: Bettina Landl

Spurensuche am Tummelplatz, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt

©: Bettina Landl

Erinnern an Grete Paunovic-Zahrastniks (1910-1998) und das von ihr geleitete Unternehmen „Foto Baldur“ am Tummelplatz, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt.

©: Bettina Landl

Wie erinnern? Vor der fehlenden Gedenktafel an Therese Eissl in der Salzamtsgasse 6, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt

©: Bettina Landl

Wo positionieren? Kulturelle Identität und Erinnerungskultur, Burgtor, Graz, 1. Bezirk, Innere Stadt

©: Bettina Landl

Noch erinnert keine Gedenktafel daran, dass in der Salzamtsgasse 6 in Graz die Künstlerin Therese Eissl (1784-1850) wohnte und hier ab 1831 eine Mal- und Zeichenschule für Mädchen führte. Das sollte sich bald ändern, beginnt doch auch die von Gudrun Danzer und Günther Holler-Schuster kuratierte Ausstellung Ladies First! in der Neuen Galerie Graz mit dieser bedeutsamen künstlerischen Position. Eissl – zeit ihres Lebens Autodidaktin – und weitere Künstlerinnen, deren Arbeiten erstmals einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich sind, waren auch Gegenstand des geführten FrauenStadtSpaziergangs unter dem Titel Hidden Figures – Auf den Spuren steirischer Künstlerinnen von 1850-1950 in Graz am 28. Juli, der am 10. September (siehe Link) ein 2. Mal angesetzt ist.(1)

Kunst
Der Zeitraum ab 1850 wurde von den Kurator*innen deshalb gewählt, weil es erst für die um 1850 geborenen Frauen überhaupt denkbar war, den Beruf der Künstlerin zu ergreifen und damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine Künstlerexistenz als weiblicher Lebensentwurf war um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kaum realisierbar. In unterschiedlichen Gesellschaften und Zeiten ist belegt, dass Frauen künstlerische Fähigkeiten ganz abgesprochen wurden oder ihre künstlerische Betätigung behindert oder verhindert wurde. Bis in das 19. Jahrhundert konnte eine künstlerische Berufsausbildung für Frauen in Europa nur in einem kirchlichen, höfischen oder zünftischen Kontext – etwa eines Klosters, in Adelskreisen oder der väterlichen Werkstatt – durchlaufen werden. Frauen waren von akademischer Ausbildung, so auch der künstlerischen, allgemein ausgeschlossen.(2) „Bis Ende des 19. Jahrhunderts war es Frauen meist nicht erlaubt, vor dem unbekleideten (männlichen oder weiblichen) Aktmodell zu zeichnen – eine schwerwiegende Beschränkung, wenn man bedenkt, dass das Aktstudium in diesen Perioden eine wesentliche Voraussetzung für die ‚Mythologische Malerei‘, aber auch die Genre- und Historien-, ja sogar die Landschaftsmalerei gewesen ist.“(3)

Geschlecht
Künstlerisch tätige Frauen waren seit jeher im Bereich des Kunstgewerbes vertreten oder nahmen privaten Unterricht. Stärker als bei den männlichen Kollegen befand sich das berufliche Selbstverständnis von Künstlerinnen im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. in einem Spannungsverhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft und im Besonderen zu ihrer gesellschaftlich zugeschriebenen Rolle als Ehefrau und Mutter. Die Ausbildungsmöglichkeiten beschränkten sich vor allem auf eine musisch-ästhetische Erziehung, wie Tanz, Zeichnen und Musizieren, mit dem Ziel, als Ehefrau die Gestaltung des privaten Lebensraumes und die Repräsentation der Familie nach außen übernehmen zu können.
Mit der Gründung des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin 1867 und des Münchner Künstlerinnenvereins 1882 bildeten sich „Damenakademien“. 1868 wurden die ebenfalls privat geführten Académie Julian und Académie Colarossi in Paris gegründet, die unter anderem auch Damenklassen anboten. Die Ateliers orientierten sich mit ihrem Lehrbetrieb an den königlichen Akademien, mussten jedoch ohne staatliche Förderung auskommen und ein monatliches Honorar verlangen.(4) Obwohl auch Frauen in Graz bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts die Zeichnungsakademie (1819 in der Hans-Sachs-Gasse 1 als „Ständische Zeichenschule“ eingerichtet), besuchen durften und mit der Gründung der Kunstgewerbeschule ab 1876 eine weitere künstlerische Ausbildungsmöglichkeit bestand, blieb ihnen eine akademische Kunstausbildung bis 1920 verwehrt.(5)

Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs 

Im Unterschied zu den meisten anderen Künstlerinnen in der Ausstellung ist das Leben und Schaffen von Marie Egner gut dokumentiert: Publikationen wie auch Werkverzeichnisse sind vorhanden. In Radkersburg geboren, hatte sie ihren ersten Kunstunterricht in Graz, studierte dann in Düsseldorf, Wien und London. Ab 1878 gab sie selbst Unterricht. Sie engagierte sich besonders dafür, weibliches Kunstschaffen in der Szene zu etablieren. 1901 war sie Gründungsmitglied der „Gruppe der Acht Künstlerinnen“, der ersten Künstlerinnenvereinigung Österreichs, woraus sich die bis heute bestehende „Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs“ (VBKÖ) entwickelte.

Politik
Sobald es möglich war, haben Künstlerinnen ihre Werke ausgestellt und waren damit erfolgreich. Dieser emanzipatorische Prozess dauerte bis in die 1930er Jahre und wurde durch den aufkommenden Nationalsozialismus und den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich radikal beendet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde von männlichen Kunsthistorikern die Kunstgeschichte unter Auslassung der Künstlerinnen, ihrer Werke und ihres Beitrags zur Entwicklung der Kunst bis in die 1930er Jahre „neu“ geschrieben. Künstler konnten an frühere Netzwerke anknüpfen, Frauen war das oftmals nicht möglich. Damit blieb nach 1945 eine geschlechtsspezifische Unterdrückung von Künstlerinnen bestehen und in androzentrisch geprägten Gesellschaften unterliegt die Arbeit von Künstlerinnen selbst heute noch kulturellen Beschränkungen, sozial kontrollierten Verboten und misogynen Karrierehindernissen.

Frauen erinnern
Der FrauenStadtSpaziergang führte vom Joanneumsviertel in die Landhausgasse, über die Herrengasse in die Hans-Sachs-Gasse zum Tummelplatz, weiter über die Binder- in die Burggasse zum Burgtor, wo vor einem Motiv Grete Paunovic-Zahrastniks (1910-1998) an sie erinnert wurde.  Paunovic-Zahrastniks wurde im Fotostudio und -geschäft Cilli Hahn/Foto Baldur in der Grazer Stubenberggasse zur Fotografin ausgebildet. Später übernahm sie das Geschäft der Familie Hahn, das ab 1950 seinen neuen Standort am Tummelplatz bezog. Ihr Betrieb „Foto Baldur“ wurde ein bekanntes Grazer Fotofachgeschäft. Weiters unterrichtete Paunovic-Zahrastnik an der Berufsschule für Drogist*innen in der Handelsakademie Graz Fotografie. Neben ihrer kommerziellen Arbeit widmete sie sich der künstlerischen Fotografie. Mit Fotos von Theater- und Opernaufführungen machte sich die Künstlerin einen Namen. Seit ihrer Jugend stand Paunovic-Zahrastnik anarchistischen Gruppierungen nahe, die sich gewaltfrei für humanitäre Ideale einsetzten.

Lediglich nach der in der Ausstellung vertretenen Künstlerin Susanne Wenger (1915-2009) wurde 2016 ein Weg im Stadtpark benannt und auf Norbertine von Bresslern-Roth (1891-1978) verweist eine Tafel in der Lange Gasse 29, im 3. Bezirk, Graz-Geidorf. Die Ausstellung schlägt damit auch viele weitere historische Personen vor, die bei der Namensfindung für die noch zu benennenden oder umzubenennenden öffentlichen Plätze oder Straßen Abhilfe schaffen können. Auch das Anbringen von Zusatztafeln (an Wirkungsstätten) im Stadtgebiet ist dringend erforderlich, möchte man eine lebendige und zeitgemäße Erinnerungskultur pflegen und das kulturelle Gedächtnis entsprechend „vervollständigen“.

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(1) Seit 1991 finden in Graz die FrauenStadtSpaziergänge im Bildungsprogramm des Frauenservice statt, um Frauengeschichte zu vermitteln und beim Besuch von bestimmten Orten nicht-erzählte Geschichte(n) und unbeachtete Spuren sichtbar zu machen.

(2) Martina Schaser, „Wahre Kunst und künstlerisches Frauenschaffen. Zur Konzeption des Künstlers bei Gertrud Bäumer“, in: Martina Kessel (Hrsg.), Kunst, Geschlecht, Politik: Geschlechterentwürfe in der Kunst des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, 2005

(3) Wolfgang Ruppert, Der moderne Künstler. Zur Sozial- und Kunstgeschichte der kreativen Individualität in der kulturellen Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1998

(4) Gislind Nabakowski, Frauen in der Kunst. Die späten Opfer des Naturzustands, 1980: siehe Link > web.archive.org

(5) 1787 wurde die Ständische Zeichnungsakademie vom steirischen Kupferstecher Johann Veit Kauperz gegründet. vgl. Roberta-Maria Klarner, Die Geschichte der ständischen Zeichnungs-Akademie in Graz, Phil. Diss, Graz 1945. Siehe auch: Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz, 7.11.2014-21.2.2015, Ausstellungskatalog, Neue Galerie Graz: siehe Link > issuu.com

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