04/08/2023

Jördis Tornquist wägt in ihrem Kommentar Alte Regulierungslinien infrage stellen! Vor- und Nachteile gesetzter Baufluchtlinien ab.

04/08/2023

Ansicht vom Geidorfgürtel

©: Jördis Tornquist

1894, Stadtplan – spätere Gürtelregulierungslinie in Weiß

2002, Luftbild Stadtvermessungsamt, Rot=eliminiert, Blau=stehen noch

2011, Rosenberggürtel 33 ©Foto Weidenhoffer

2021, Rosenberggürtel 51

©: Jördis Tornquist

2023, Luftbild mit Regulierungslinie (Grundlage google)

Straßenerweiterung und Abbruch Josefigasse 61 und 63

©: Jördis Tornquist

Zu den trivialen Werkzeugen der städtebaulichen Planung im Bestand gehört es, durchgehende Baufluchten zu verordnen. Im realen Raum gerät diese „Ordnung“ bald zur Eintönigkeit. Anhand des Beispiels Rosenberggürtel, sieht man, wie sich manches trotz Regulierung heute zum Guten wenden kann.

Die vormalige Eisengasse am Fuße des Rosenberges wies im 19. Jahrhundert fast zur Gänze eine durchgehende Vorstadtzeile auf. Diese war angereichert durch eine kleine Fabrik und Gärten. Im Jahr 1875 wurde von Josef Wastler hier eine Trasse für einen Ostgürtel geplant. Nachdem dieser 1901 im Gemeinderat beschlossen worden war, verordnete man eine Regulierungslinie, um den gewünschten Querschnitt sicherzustellen.  Als man in der Folge begann, diese städtebauliche Idee umzusetzen, entstanden erste Zinshäuser und das Taubstummeninstitut, eine öffentliche Einrichtung. In der Zwischenkriegszeit kamen an der Ostseite auf dem Gelände der Fabrik einige individuelle Reihenhäuser dazu. Nach Errichtung einer Kette von Wohnhochhäusern Anfang der 1970-er Jahre und einem späteren Wohnbau auf Bauplatz Nr. 27 verblieben neben der gründerzeitlichen Bebauung noch ein paar eingeschossige Vorstadthäuser, die über die historische Baulinie ragten – darunter das Gasthaus Klöcherperle. Es folgten zahlreiche kleinteilige Veränderungen: Verbauung Garten zu Rosenberggürtel 7b, Abbruch Haus Nr. 11, Eliminierung des kleinen Pförtnerhauses Rosenberggürtel 33, Ecke Humboldtstraße und Neubau sowie Rosenberggürtel 51 - Eliminierung eines Häuschens mit Garten und Neubau. Zuletzt folgten mit Verbauung der Wiesen der Universität (vormals Anna Kinderspital) Wohnhäuser: Geidorfgürtel 7, 15 und 29.

Die aktuelle Bebauung besteht nun aus großvolumigen Bauten an der Regulierungslinie und Vorsprüngen an den Ecken der Querstraßen Rosenberggasse, Humboldtstraße und Heinrichstraße. Hier zeichnet sich die alte Vorstadtbebauung ab. Für den Autoverkehr ist diese vor- und rückspringende Baulinie mit nur einer engen Fahrspur dysfunktional. So ist durch die vermeintliche Inkonsistenz der städtebaulichen Planung ein großzügiger, durchgrünter, fußläufiger Raum entstanden!      
Ein wirklicher Geniestreich war, dass das Gebäude der ehemaligen Klöcherperle, Heinrichstraße 45, heute als Restaurant Al Pomodoro betrieben, im Oktober 1994 unter Denkmalschutz gestellt wurde und im November desselben Jahres auch das angrenzenden Haus Heinrichstraße 43 - beide als Einzelobjekte, weil es im Gesetz keinen Ensembleschutz gibt. Maßgeblich beteiligt am Denkmalschutz waren Bürgerinnen und Bürger und das Engagement der Stadtplanung.

Dieses Ensemble kann sich sehen lassen! Die beiden Häuser haben nur durch den Denkmalschutz bis heute der Gürtelbaufluchtlinie widerstehen können und bereichern den öffentlichen Raum. Durch den Erhalt des Bestandes wurde es zudem möglich, den Autoverkehr zu eliminieren und einen Rad- und Fußweg einzurichten. Dieser ist mittlerweile ein beliebter Spazier- und Schulweg und Teil einer Fahrradachse.

Anderswo in Graz wird an der Idee der Regulierung alter Straßenzüge festgehalten. 
In der Josefigasse soll im Zuge einer Substandardbebauung die Baulinie begradigt werden, nur steht hier nicht wie am Rosenberggürtel ein in bürgerlichen Kreisen beliebtes Gasthaus im Wege, sondern Vorstadtgasthaus ähnlichen Charakters, das zuletzt als Laufhaus genutzt war. 
Unangebracht ist auch die Aufweitung der Schörgelgasse mit der Eliminierung der Altbestände. Die Verengungen und die Vielfalt der Bebauung sind wesentlich für den Erhalt und für die Weiterentwicklung attraktiver Straßenräume. Diese unterstützen nicht nur die Mobilitätswende, sondern sind ganz allgemein und generationenübergreifend von großer Bedeutung für die klimagerechte Stadt.

Die Instrumente für diese Art von Städtebau sind leider mangelhaft. Zu viele Entscheidungen werden noch fachlich von „raumplanerischen“ Kriterien wie „Verdichtung“ getrieben – mit der Baulobby im Hintergrund. Der stets objektbezogene Denkmalschutz kann diese Räume nicht schützen. 
Das Potenzial alter Gebäude kann jedoch durch gute Architektur und mit Maß, inklusive einem Mehr an Wohnfläche, revitalisiert werden. Dabei wird meist auch Grünraum nachhaltig erhalten und die Zufriedenheit der dort Lebenden gesteigert.

Es darf nicht weiterhin darauf hinauslaufen, dass wegen „Innenverdichtung“ und einhergehender Versiegelung die Menschen, die es sich leisten können, ins suburbane Umland fliehen, wo sie ein Vielfaches an negativen Umwelt- und Klimaeffekten produzieren und jene, die es sich nicht leisten können, müssen mit den negativen Effekten in der Stadt zurückbleiben.
Man sollte also vom positiven Beispiel Rosenberggürtel den konstruktiven Umgang mit bestehenden Stadträumen lernen. Als kulturelles Erbe sind sie von großem Wert für die Zukunft der Stadt.

Anonymous

Vielen Dank, Frau JT., Ihrem Kommentar ist nichts hinzuzufügen, hoffentlich erwachen die zuständigen Stellen rechtzeitig.

Mo. 07/08/2023 17:20 Permalink
Anonymous

Dem Artikel von Frau Dipl. Arch Tornquist ist nichts hinzuzufügen. Bedenken Sie, was Menschen interessiert, die in einer Stadt sich wohlfühlen wollen. Die Probleme der Wohnsilos sieht man am deutlichsten in Frankreich. Warum auch müssen die Häuser in Reininghaus dunkelbraun sein? Aber solche Flächen wie in R. kann man nutzen für solche Bauten, die Innenstadt - und die Nähe Kepler brücke zählt aus meiner Sicht dazu - sollte wirklich mehr Schutz erfahren.

Mo. 07/08/2023 17:11 Permalink
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16. + 17.11.2023
 
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