27/09/2023
27/09/2023

01_Jakob von Alt, Franz J. Sandmann, Lithographie (Ausschnitt Gries), 1850
 

02_ Andreas Trost, Kupferstich (Ausschnitt), 1728 - „Lendplatz und Josefigasse“

03_Fotografie, Sammlung Karl Kubinsky, (Josefigasse - Marschallgasse) um 1900 

04_Wastlerplan 1912, Josefigasse

05_Luftbild v. 1991, Helfried Langhans, aus dem Buch „GRAZ, Bilder einer Stadt“ Hrsg.: Gerhard-Michel Dienes, Verlag für Sammler Graz, 1991 - „Struktur der Murvorstadt“

06_Ecke Keplerstraße Josefigasse, 2023

©: Jördis Tornquist

07_Josefigasse 57,61,63: linke Straßenseite und 42,48: rechte Straßenseite, 2023

©: Jördis Tornquist

08_Josefigasse, 2023

©: Jördis Tornquist

09_Josefigasse 7 und Am Damm, 2023

©: Jördis Tornquist

10_Am Damm 10, 12, 2023

©: Jördis Tornquist

Die Prägung der Stadtlandschaft von Lend und Gries durch die vormaligen Murauen ist heute noch deutlich erkennbar. Der Name Lend kommt von der Murlände, als Landeplatz für Flößer, und der Name Gries zeugt von einst sandigen, schottrigen Uferplätzen entlang des Flusses. (Abb. 01)

Das Geflecht an unregelmäßigen Wegen am rechten Murufer, die das Gebiet von Norden nach Süden durchziehen, sind ein Charakteristikum der Murvorstadt. Neubaugasse, Grenadiergasse, Ägidygasse sind nur einige von vielen typischen Straßenzügen. Im Laufe der Zeit haben sich an diesen Linien, die sich dem Fluss und den Wasserständen der Auen anpassten, Häuser angesiedelt und sukzessive die Kanten der Straßenräume auf die vielfältigste Art herausgebildet. (Abb. 05)

Auf dem Kupferstich von Andreas Trost aus 1728 lässt sich gut erkennen, wie sich im Westen des Lendplatzes schon früh eine Gasse gebildet hat, die vermutlich angesichts der von der Mur ausgehenden Überflutungsgefahr in dieser Lage zu einer verlässlichen Dienstleistungs- und Handelsstraße wurde. (Abb. 02, Abb. 03, Abb .04) Dieser Straßenzug ist nun die Josefigasse. Sie ist der bauchige Offset des Lendplatzes im Westen und als „Hintergasse“ war in der Nachkriegszeit dort einer der Orte des Rotlichtmilieus von Graz. Heute ist die bauliche Substanz zwischen der Mariahilferstraße und der Volksgartenstraße durch das GAEG (Altstadterhaltungsgesetz) als Teil der Zone 3 geschützt und zudem Bestandteil der Pufferzone des Weltkulturerbes (ICOMOS). In Richtung Norden ist sie seit Jahrzehnten ihrem Schicksal überlassen worden.

Der gültige Flächenwidmungsplan, der in manchen Abschnitten Dichten von 1,4 und 2,5 zulässt, begünstigt den zuvor schleichenden und in den letzten 10 Jahren rasanten Abbruch der historischen Murvorstadt. Laut räumlichem Leitbild wird dort jedes Bauvorhaben mit dem Ziel der Blockrandbebauung behandelt. So wird an der Ecke Keplerstraße demnächst ein altes Gasthaus (Abb. 06) geschliffen – was wohl mit dem kleinen Haus, das schräg in der Gasse steht, passiert, kann man nur erahnen. Im Jahr 2012 wurde auf der Parzelle Josefigasse 57, nördlich der Keplerstraße, wo vormals ein giebelständiges mittelalterliches Häuschen stand, (siehe Graz-Wiki) ein sieben- bis achtgeschossiges Wohngebäude errichtet und dabei die Gasse aufgeweitet und begradigt. Vermutlich hatte das Stiegenhaus im Gebäude keinen Platz, da die Vorstadtparzellen eine sehr geringe Tiefe aufweisen. So steht dort nun eine Art Fluchtstiegenhaus in Stahlbauweise im Vorgarten. Die angrenzenden beiden giebelständigen Häuser Nr. 61 und 63 sollen in Kürze abgebrochen werden. (s. Abb. 07) Es gibt dort ein baubewilligtes Projekt für ein fünfgeschossiges Gebäude mit Penthouse. Da die Parzelle auch hier eine geringe Tiefe aufweist, wurden auf der straßenabgewandten Seite Fensteröffnungen direkt an der Grundstücksgrenze bewilligt, was bei Neuvorhaben nach dem steiermärkischen Baugesetz unzulässig ist. Bei diesem Projekt hat, wie auch bei Nr. 57, die Behörde eine Abtretungsfläche verordnet, um die Gasse weiter zu begradigen und auf das gründerzeitliche Maß zu erweitern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befinden sich zweigeschossige Gebäude, unter anderem eine historische, unter Schutz stehende Kaserne. Künftig stehen sich dort also hochwertige historische Bauten und banale Investorenarchitektur gegenüber. Der typische Straßenraum mit seiner Vielfalt im Grundriss, in der Bebauung und in der Funktion ist vernichtet. Auch das vorstädtische Grün muss weichen.

Dieser alte Weg setzt sich in Richtung Norden in der Gasse Am Damm fort. Leider wurde Am Damm schon vor längerer Zeit zugunsten des Betriebsgeländes der Firma AVL abgetrennt und privatisiert. (Abb. 11) In diesem Sack gibt es noch ein paar wenige Vorstadthäuser auf kleinen Parzellen, die dem Verwertungsdruck und der Begradigungslogik ausgesetzt sind. (Abb. 09, Abb. 10) Es wäre zu hoffen, dass sie verschont bleiben. Manchmal machen solche Grundstücke profitable Bebauungen unmöglich und generieren reizvolle Situationen (Abb. 08) – vorausgesetzt, die Baubehörde erkennt deren Wert an und kollaboriert nicht mit Ausnahmen und Dichteüberschreitungen – wie bei den oben beschriebenen Bauvorhaben.

Zudem tut sich an diesem Beispiel die Frage auf, warum fast alle Schutzzonen in Graz die Form isolierter Flächen aufweisen, warum gibt es – mit Ausnahme der Eggenberger Allee – keine linearen Schutzzonen – wie eben zum Beispiel die alten Grazer Vorstadtstraßen mit ihren unregelmäßigen Führungen, vielfältigen Raumkanten, Querschnitten, mit ihrem Bewuchs und Durchblicken zu Grünräumen?

Auch in der Bebauungsplanung, die in der Regel einzelne Blöcke erfasst, wird oft die Wirkung auf den Straßenraum vernachlässigt. Das Interesse richtet sich auf die Bauplätze. Wer aber kümmert sich um den Straßenraum? Straßen müssen immer ganzheitlich und auch im historischen Kontext gesehen werden, als Zusammenspiel von öffentlicher Verkehrsfläche und Bebauung – und zwar auf beiden Straßenseiten.

Nur so entstehen Räume, die dazu beitragen, dass das Zufußgehen und das Radfahren attraktiv und sicher ist und dass man sich in der Stadt zuhause fühlt.

Noch herrscht reges und buntes Leben im beschriebenen Abschnitt der Josefigasse und sie kann sich eigentlich nur aus ihrem gewachsenen Charakter heraus weiterentwickeln und nicht durch Begradigung und Aufweitung der Straße und neue geschlossene Gebäudefronten. Die Regierenden und die Behörde glauben „Innenverdichtung“ und „Straßenbegradigungen“ wären notwendig, aber in den historischen Gebieten ist dieses „Aufräumen“ eine Politik von vorgestern. Man könnte heute auf die ohnehin zu schmalen Gehsteige verzichten und auf verkehrsberuhigende Maßnahmen setzen – das wäre zeitgemäß. Verwischen wir doch nicht alle Spuren und schützen wir doch die letzten Reste der nie wiederherstellbaren Vielfalt der historischen Vorstadt!

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